22. Jahrgang | Nummer 21 | 14. Oktober 2019

Alles auf Anfang

von Joachim Lange

Diese Ausstellung ist schlichtweg eine Sensation! Es steht zwar „Bauhaus Meister Moderne” und „Das Comeback“ oben drüber, aber es ist keineswegs „nur“ noch eine weitere Ausstellung zum Bauhausjubiläum oder die x-te Expressionistenschau mit den üblichen Ikonen. Da die Sammlung in Halle bis zur Machtübernahme der Nazis, und dann vor allem ihrer berüchtigten Kahlschlag-Aktion „Entartete Kunst“ eine Hochburg für die damals zeitgenössische Kunst in ganz Deutschland war, spielen Bauhaus-Meister natürlich eine Rolle. Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Georg Muche und Oscar Schlemmer werden in der großen Box im zweiten Oberschoss mit ausgewählten Werken und Erläuterungen – zusätzlich zur Präsenz in der Ausstellung – auch separat gewürdigt.
Aber es geht um wesentlich mehr.
Soweit möglich hat Moritzburg-Direktor Thomas Bauer-Friedrich die exquisite Sammlung der Moderne rekonstruiert, die seine legendären Vorgänger im Amt aufgebaut und vehement verteidigt haben. Sogar noch über das politisch dekretierte Ende der Moderne 1937 hinaus.
Die Nazis beschlagnahmten 147 Schlüsselwerke als „entartete Kunst“ und zerstörten damit die Einzigartigkeit der Sammlung. Mit enormem Einsatz und jahrelanger Vorarbeit ist es gelungen, immerhin 40 dieser zum Herz der Sammlung gehörenden Werke als Rückkehrer auf Zeit – zusammen mit den in der Sammlung verbliebenen Werken, Schenkungen und fünfzehn Rückerwerbungen – zu präsentieren.
Aber was heißt hier präsentieren?
Eigentlich ist es eine Inszenierung vom Allerfeinsten.
Für die man sich Zeit nehmen und die man mehrfach genießen sollte.
Beim Aufbau jener Sammlung, die jetzt ihre Rückkehr feiert, leistete Max Sauerlandt (1880–1934) in den Jahren seiner Direktion von 1908 bis 1919 richtungsweisende Pionierarbeit. Mit dem Ankauf von Emil Noldes Abendmahl (1909) löste er im Jahre 1913 eine deutschlandweite Feuilleton-Kontroverse darüber aus, ob Museen überhaupt Zeitgenössisches ankaufen sollten. (Dass Nolde entgegen der Legende, die Siegfried Lenz in seinem Roman „Deutschstunde“ kolportiert hat und die selbst in der jüngsten Verfilmung – wenn auch nicht explizit – gepflegt wird, sich den Nazis ideologisch verbunden fühlte, steht auf einem anderen Blatt und ist durch die große Schau im Hamburger Bahnhof in Berlin, aber auch in der Moritzburg aufgearbeitet worden.) Halles legendärer Oberbürgermeister von 1906–1933 Richard Robert Rive jedenfalls hielt Sauerlandt – obwohl ihm nicht alles, was der ankaufte, selbst gefiel – politisch den Rücken frei. Dessen Nachfolger Burkhard Meier und Paul Thiersch blieben auch nach Sauerlandts Rückkehr nach Hamburg bei dessen Linie.
An den gestaltenden Anfangselan knüpfte von 1926 bis 1933 vor allem Alois J. Schardt (1889–1950) beherzt an. Mit dem Erwerb der illustren Expressionisten-Sammlung von Ludwig und Rosy Fischer 1924 und den Ankäufen unter anderem von Marc, Feininger, Kokoschka, Klee und Kollegen rückte er mit der Kunstsammlung in die nationale Spitzenriege auf. Bis heute wirkt für das Selbstverständnis der Hallenser ein Ankauf von 1931 nach: Lyonel Feiningers Halle-Zyklus samt der dazu gehörigen 29 Zeichnungen!
Die liefern denn auch einen perfekt inszenierten Höhepunkt der ganzen Ausstellung! Mitten im umgebauten und mit einer zusätzlichen Freitreppe ins Obergeschoss versehenen Westflügel der Moritzburg, großzügig in einem Halbrund vereint, verschlägt es dem Besucher regelrecht die Sprache: Von den insgesamt elf 1929 in Auftrag gegebenen und hier vor Ort entstandenen Halle-Bildern Feiningers sind sieben (drei eigene, vier Leihgaben) wieder vereint. Alles exemplarisch gut gehängt und ausgeleuchtet. Die sechs Hochformate sind auf einen Blick erfassbar und greifen – nun ja – ans Herz. Allein deswegen würde sich ein Besuch dieser Schau schon lohnen!
Schardt gelang es tatsächlich bis zu seinem Rausschmiss 1935 und trotz des braunen Gegenwindes aus der Politik, die Ausstellung noch so, wie sie war, offen zu halten. Selbst seinem kommissarischen Nachfolger Hermann Schiebel, dem Rektor der Kunsthochschule Burg Giebichenstein, gelang es eine gewisse Zeit, wenn auch verdeckt, an der Moderne fest- und sie zugänglich zu halten. Erst 1939 hatten die Nazis mit Robert Scholz einen willfährigen Direktor installiert, der der Moderne für die Restlaufzeit des Nazireiches sozusagen das Licht ausknipste.
Es ist ein Vorzug der jetzigen Ausstellung, dass sie neben der Begegnung mit einzigartigen Kunstwerken auch die Entstehung und Verteidigung einer Sammlung zwischen den Jahren 1908 und 1939 dem zum Teil visionären Wirken der jeweiligen Museumsdirektoren zuschreibt. Da die natürlich ästhetische Vorbehalte und politische Widerstände zu überwinden hatten, ist es ein Ausflug in ein Kapitel der deutschen Kulturgeschichte, bei dem sich die Relevanz für die Verwerfungen unserer Gegenwart geradezu von selbst erschließt. Besonders, was die Vorboten und dann den Schlag der Nazis gegen die sogenannte „entartete Kunst“ anbelangt. Die Ideologien einer Alternative zu Demokratie und Freiheit fingen auch damals ihren Kampf auf den Feldern der Sprache und der Kunst an.
Die Schau reicht aber noch weiter: Sie lässt eine Vision auferstehen, die, wenn sie Wirklichkeit geworden wäre, der Stadt Halle als Ort der Moderne Weltrang gesichert hätte. Kein Geringerer als Walter Gropius hat nämlich 1927 für einen Wettbewerb ein weitläufiges Kultur- und Sportforum als spektakuläre Stadtkrone auf den Felsen an der Saale entworfen. In Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Multimedia/VR-Design der Kunsthochschule Burg Giebichenstein wird der jetzt als 3D-Vision erlebbar
Die Burgleute haben das vorgesehene Museum aber auch gefüllt. Zur Ausstellung, die mit der Aura der Originale glänzt, kommt ein fiktiver Rundgang durch dieses Museum mit seiner damaligen Sammlung. Mit der 3D-Brille hat man schnell den Bogen raus, wie man hier von einem Bild zum anderen wandern und die Erläuterungen dazu aufrufen kann. Das Ganze ist ein atemberaubendes Abenteuer. Ein Ausflug in ein Stück kontrafaktische Vergangenheit, eine Exkursion in ein Was-wäre-wenn. Also in eine Zeit ohne den zivilisatorischen Bruch kurz vor der Mitte des vorigen Jahrhunderts.
Die Ausstellung in Halle macht die Verluste deutlich und fasziniert als grandiose temporäre Rückkehr. Der Moritzburg-Direktor Thomas Bauer-Friedrich hat mit dieser Ausstellung sein Meisterstück abgeliefert. Es ist ihm etwas herausragend Exemplarisches gelungen, das so doch nur in Halle und mit dieser Sammlung möglich ist.
Unbedingt hingehen!

Die Ausstellung „Bauhaus Meister Moderne. Das Comeback“ läuft bis zum 12. Januar 2020. Öffnungszeiten: montags, dienstags, donnerstags bis sonntags sowie feiertags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs geschlossen. Eintritt: 12,00 Euro, ermäßigt 9,00 Euro.
Zur Ausstellung gibt es einen 90-minütigen Audioguide sowie einen Katalog mit 448 Seiten und mehr als 600 Abbildungen (Sonderpreis zur Ausstellung an der Museumskasse 29,90 Euro).
Umfangreiches Begleitprogramm. Näheres im Internet.