von Jan Opal, Gniezno
Das von Jarosław Kaczyński geführte Lager kennt am 13. Oktober 2019 nur das eine Ziel – die absolute Mehrheit an Parlamentssitzen verteidigen. Der seit 2015 erfolgende nationalkonservative Umbau von Staat und Gesellschaft soll ohne störende Koalitionsrücksichten fortgesetzt werden. Auch wenn aktuelle Umfragen den Regierenden stabil Werte von über 40 Prozent der abgegebenen Stimmen versprechen, ist die Nervosität nicht zu übersehen. Kaczyński schickte die Sejm-Abgeordneten in der letzten Sitzungswoche vor den Wahlen nach nur einem Tag überraschend nach Hause, die restlichen beiden Sitzungstage werden erst nach dem Wahltag nachgeholt. Die Begründung ist grotesk, meinte der nationalkonservative Parteiführer doch, die Abgeordneten müssten sich nun erst einmal in Ruhe um den Wahlkampf kümmern. Es wirkt tatsächlich wie eine zusätzliche Absicherung, denn ganz egal, wie das Ergebnis am 13. Oktober nun ausfallen wird, ist die sichere Stimmenmehrheit an beiden Sitzungstagen ohnehin garantiert. Manche Beobachter vermuten, dass an beiden Tagen ein bereits mehrfach angekündigtes Gesetzespaket zu erweiterten Sozialabgaben für die Arbeitgeberseite verabschiedet werden könnte, das vor den Wahlen zusätzlich Unruhe verbreitet hätte.
Interessant ist indes, dass Kaczyński in den zurückliegenden Tagen kaum eine Gelegenheit ausgelassen hatte, seiner Vision des Landes kräftigen Ausdruck zu verleihen: Polen werden unter seiner Führung die goldenen Jahre des Westens – die 50er und 60er Jahre im letzten Jahrhundert – nachholen. In spätestens 21 Jahren werde man Deutschland im Pro-Kopf-Einkommen eingeholt haben, so das verwegene Versprechen des immer ein wenig gehetzt wirkenden Parteiführers. Da Kaczyński tiefer auf das 20. Jahrhundert zurückgreift, sei hier kurz an die 70er Jahre erinnert, denn damals versprach ein anderer visionärer Parteiführer – getrieben durch ein Knäuel schier unlösbarer Widersprüche –, aus dem Land an der Weichsel bald ein zweites Japan zu machen.
Der große Sprung, den Kaczyński jetzt eifrig an die Wand malt, setzt allerdings eine höhere gesellschaftliche Disziplin voraus, ohne die im weltweiten Wettbewerb für die Polen nichts auszurichten sei und für die im politischen Spektrum alleine die Nationalkonservativen ausreichend sorgen könnten. Polens Gesellschaft müsse nämlich festgefügt auf dem christlichen Fundament gegründet bleiben, dürfe nicht zulassen, dass dieses Fundament – egal mit welchem vorgeschobenen liberalen Argument auch immer – zerstört werde. Im Augenblick, so Kaczyńskis Kassandraruf, werde die polnische Familie gefährlich attackiert, indem den Menschen eingeredet werde, die Familie aus Mann und Frau sei nur eine von unterschiedlich – außerdem gleichberechtigten – Varianten beziehungsweise Möglichkeiten menschlichen Zusammenlebens. Zwar sei die Familie aus Mann und Frau, was überhaupt in der Natur sozialer Erscheinungen liege, keineswegs eine vollkommene, doch sei sie schließlich, so Kaczyński im kühnen metaphysischen Schluss, jene gesellschaftliche Zelle, die unmittelbar mit derjenigen Zivilisation zusammenfalle, die dem Menschen am meisten gewogen sei – mit der christlichen Zivilisation nämlich. Deshalb höre die Toleranz der von ihm geführten Formation dort auf, wo gemeint werde, dass in dieser für den Fortbestand der christlichen Zivilisation entscheidenden Frage jeder selbst entscheiden solle, was er zu tun gedenke.
Die Nationalkonservativen stellen sich demzufolge konsequent als eine katholisch-nationale Familienpartei heraus, als letzter Behüter der von allen Seiten bedrohten Interessen der polnischen, also katholischen Familien. Einst gab es im polnischen Parlament eine erzkatholisch-nationalistische Partei, die sich nahezu verniedlichend als Liga der polnischen Familien bezeichnet hatte. Nachdem die Kaczyński-Leute in den zurückliegenden vier Regierungsjahren verschiedene Säue durch das Dorf getrieben haben – mal waren es die noch immer gleich Gespenstern herumirrenden Kommunisten, ein anders Mal die das wiedererwachende Polen beargwöhnenden Juden, dann kamen die Deutschen als ewiger Feind der Polen an die Reihe, schließlich wurden die verschiedenen Timmermans und Tusks in Brüssel sowie die Lesben und Schwulen im Lande vorgeführt –, breiten sie nun gütig die Flügel aus zum Schutz der polnischen Familie, um Einheit und so etwas wie überzeitliche Dauer zu stiften.
Am Wahltag werden Polens Wähler genau wissen, wem sie die Stimme geben. Irrtümer sind ausgeschlossen. Kaczyński rechnet mit einem deutlichen Votum für seine abstruse und aus der Zeit gefallene Vision. Doch eine Größe hat er nicht in der Rechnung: Das Regierungslager hat sich in der Hatz, die der Gesellschaft vier Jahre hindurch mit allen erdenklichen Mitteln verordnet wurde, selbst kräftig verschlissen. Es könnte sein, dass diejenigen, die sich jetzt bereits als die Sieger vom 13. Oktober fühlen, bald danach zu den Getriebenen werden.
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