von Mathias Iven
Martha Elisabeth Fontane wurde am 21. März 1860 in Berlin geboren. Mete, wie sie im Familienkreis bald schon genannt wurde, war der Liebling des Vaters. „Da wir unseren Kindern sonst nichts hinterlassen können“, so Fontane, sollten sie sich wenigstens gediegene Sprachkenntnisse aneignen. Und so schickte man die Zehnjährige für ein Jahr zu Bekannten nach London. Nach ihrer Rückkehr besuchte sie eine private Mädchenschule und absolvierte schließlich eine Ausbildung als Lehrerin an Mittleren und Höheren Lehranstalten.
Im April 1878 erhielt sie ihr Zeugnis und nur wenige Wochen später wartete bereits eine Anstellung auf sie. Im Haus des mit Fontane befreundeten Kammersängers Julius Stockhausen sollte sie sich ab September um die Erziehung der vier Kinder kümmern. Doch war die von der Mutter eingefädelte Entscheidung wirklich richtig? Offenbar nicht. Kurz vor dem geplanten Dienstantritt eröffnete Martha ihrem Vater, dass sie der Familie Stockhausen nicht nach Frankfurt folgen werde. Eigentlich hatte sie die Stelle ja antreten wollen, da dem Vater Zuverlässigkeit und Pflichterfüllung das Wichtigste seien, doch sie habe sich in Stockhausen verliebt. Fontane zeigte Verständnis, erklärte den Stockhausens die Situation, und Martha blieb in Berlin.
In der Folgezeit erwies sie sich „als nachdenkliche Gesprächspartnerin und anregende Stichwortgeberin“. Fontane übersah aber auch nicht ihre ausgeprägte „Anlage und Vorliebe für absolutes Chaiselongue-Leben“. Des Öfteren ging Martha auf Reisen und hielt sich – oft über Wochen hinweg – bei Freunden und Bekannten auf. „Zwischendurch sucht sie Stellen, findet aber keine“, so Fontane am 7. April 1880.
Endlich, im Sommer 1880, war eine Arbeit für sie gefunden. Auf dem östlich der Oder gelegenen, Hauptmann a. D. Max von Mandel gehörenden Rittergut Klein Dammer würde sie sich um die Erziehung der im Haus lebenden vier Kinder kümmern. Weg von Berlin, spürte sie alsbald die Nachteile des Landlebens. Es gab nur wenig gute Lektüre und die abendlichen Gespräche der Schlossbewohner waren alles andere als geistreich. Die einzige Verbindung zur „Außenwelt“ waren Briefe, namentlich die des Vaters. Marthas Mitteilungen an ihn waren lebendige Schilderungen des Alltäglichen – gesehen mit den Augen des Vaters und auf das gerichtet, was ihn am meisten interessierte: die gesellschaftlichen Verhältnisse. Nach nur einem Jahr kündigte Martha. Ausschlaggebend dafür war vor allem das Verhältnis zu Ella, der ältesten Tochter der von Mandels, die im Unterricht oft genug „mit patzigen Antworten“ daherkam. Zurück im Elternhaus war das Thema Berufstätigkeit für die Fontanes vorerst vom Tisch.
Martha war jetzt 21 Jahre alt. Wenn es offenbar mit dem Beruf nicht klappte, sollte dann nicht Ausschau nach einem passenden Mann gehalten werden? Seit Jahren war sie Gast im Haus des Geheimen Regierungsrats Otto Scheiner. Für die Eltern war klar, dass sie Rudolph, den Sohn des Hauses, heiraten würde – doch daraus wurde nichts. In einem Brief vom Juli 1882 schilderte Martha die Situation wie folgt: „Seit 1–2 Jahren habe ich mich für gebunden gehalten.“ Doch dann wurde er von den Fontanes zu einem Abendessen eingeladen. „Er fand uns alle nett, klug, witzig, geistreich, aber wie er gesagt haben soll, er ist sich so entsetzlich unbedeutend und überflüssig vorgekommen.“ Dagmar von Gersdorff, die erst unlängst eine Biographie zu Julia Mann vorgelegt hat (siehe Blättchen 7/2019), urteilt über diese Situation: „Das hohe Gesprächsniveau […] hatte den Kandidaten in seinem Selbstwertgefühl getroffen.“ Martha, so Gersdorff, „hatte hohe Ansprüche – und wenige Freunde“.
Im Oktober 1884 nahm Martha eine Stelle als Lehrerin an der von Auguste Leyde geleiteten, nur wenige Gehminuten von der elterlichen Wohnung entfernten Mädchenschule an. Sie fühlte sich wohl und „machte ihre Sache vorzüglich“. Doch nach nicht einmal sechs Monaten musste sie ihre Tätigkeit bereits wieder aufgeben. Fontane berichtete darüber: „Sie hat eine Milz-Anschwellung und befindet sich, was die Hauptsache ist, in einem jammervollen Nervenzustande. Es dauert sicher noch viele Wochen und dann wird sie monatelang Rekonvaleszentin sein.“ Krankheiten suchten sie auch in den kommenden Jahren immer wieder heim. Für die Ärzte handelte es sich zumeist nur um „hysterisches Verhalten“. Der Erfolg der Behandlungen stand somit immer in Frage. Sie erklärte in einem Brief vom Januar 1891: „ […] ob ich die wesentlichen Dinge, Unfrohheit, Schlappitüde und die große Angst je loswerde, ist mir mehr als zweifelhaft“, und anstatt der Unterschrift war zu lesen: „Familienwrack Martha F“.
Der Vater mit seinem Esprit und seinem liebenswürdigen Wesen war für Martha der Maßstab aller Dinge. An ihm musste sich jeder Bewerber messen lassen, um schlussendlich zu scheitern. So vergingen die Jahre. Anfang 1898 gab Martha die Verlobung mit dem 22 Jahre älteren Architekten Karl Emil Otto Fritsch bekannt. In der Familie löste diese unvorhergesehene Entscheidung keine große Freude aus. Zeitzeugen berichten, die Mutter sei „der Länge nach im Zimmer hinschlagend“ in Ohnmacht gefallen. Der Vater, der Fritsch seit einigen Jahren kannte, habe „sich tagelang in seinem Arbeitszimmer [eingeschlossen], verweigerte fast jede Nahrung und sprach kein Wort“. Am 16. September 1898 fand die offizielle Verlobungsfeier statt, für den Vater ein „Zauberfest“. Geheiratet wurde am 4. Januar 1899, Marthas „wundervolle Tochterschaft“ war damit zu Ende.
Das Paar bezog eine komfortable Wohnung in Berlin-Schöneberg, außerdem erwarb man einen „ländlichen Besitz“ in Waren an der Müritz. Fritsch war für Martha „ein spätes, ernstes Lebensglück“. Er hatte das, was sie an Männern besonders schätzte: „Enthusiasmus für seinen Beruf. Humor. Anständige Gesinnung.“ Als Fritsch 1915 starb, blieb sie allein in der großen, kalten Villa zurück. In einem ihrer Briefe klagte sie: „Mir selbst geht es leider sehr schlecht, und ich zittre manchmal, ob ich mich halten werde.“ Am 10. Januar 1917 nahm sich Martha Fontane durch einen Sturz vom Balkon ihres Hauses in Waren das Leben. Im Kirchenbuch der Gemeinde notierte der Pastor als Todesursache „Nervenleiden“.
Nicht einmal sechs Jahrzehnte währte das Leben von Fontanes Tochter. Vom Vater wurde Martha geliebt, von der Mutter kritisiert und auf Abstand gehalten. Am Ende ihrer einfühlsamen, an den Quellen ausgerichteten Biographie schreibt Dagmar von Gersdorff: „Es war ihre Tragik, nicht das geworden zu sein, wozu sie veranlagt war.“
Dagmar von Gersdorff: Vaters Tochter. Theodor Fontane und seine Tochter Mete, Insel Verlag, Berlin 2019, 200 Seiten, 18,00 Euro.
Schlagwörter: Dagmar von Gersdorff, Martha Elisabeth Fontane, Mathias Iven, Theodor Fontane