von Jan Opal, Gniezno
Am 13. Oktober 2019 sind die Wähler in Polen aufgerufen, über die neue Zusammensetzung der beiden Kammern des Parlaments zu befinden. Entscheidender ist zunächst das Rennen um die 460 Plätze im Sejm, dem Unterhaus. Die Nationalkonservativen unter Jarosław Kaczyńskis Führung frohlocken bereits seit Wochen, zeigen doch die Umfragen ein stabiles Hoch von meistens deutlich über 40 Prozent der Stimmen. Viele Beobachter gehen bereits davon aus, dass das Regierungslager nach dem Wahltag die Alleinregierung fortsetzen kann. Und Kaczyński verweist erneut auf das weitergehende Ziel, denn – ganz dem Beispiel Budapests folgend – soll absehbar sogar die Verfassungsmehrheit erreicht werden, also eine Zweidrittelmehrheit im Sejm, um die ungeliebte Verfassung von 1997 mit legalen Mitteln aus dem Verkehr ziehen zu können.
Weniger optimistisch und natürlich auch unübersichtlicher schaut es im Lager der demokratischen Opposition aus, das von der – allerdings recht knappen – Niederlage bei den EU-Wahlen Ende Mai noch nicht erholt scheint. Schnell war die Idee vom Tisch, mit einer gemeinsamem Liste anzutreten, um den Stier bei den Hörnern zu packen. Als erste gingen auf der konservativen Seite die moderaten Agrarier der PSL von Bord, die meinten, ihre Wähler seien am 26. Mai in Größenordnungen von der Wahl weggeblieben, weil sie den Schulterschluss der Liberalen mit den Linkskräften und vor allem die Öffnung bis hin zu Feministinnen und zur Lesben- und Schwulenbewegung nicht mitgetragen hätten.
Das rettende Ufer suchen die PSL-Agrarier nun in einer Flucht nach rechts, auch wenn tapfer behauptet wird, lediglich die traditionellen Werte der Partei zu verteidigen. Durch den stabilen und hohen Zuspruch von über 60 Prozent, den das Kaczyński-Lager in den ländlichen Regionen mittlerweile hat, sind die PSL-Agrarier mächtig unter Druck geraten, denn der zu erwartende eigene Stimmenteil auf dem Dorf wird wohl nicht mehr ausreichen, um landesweit gerechnet die obligatorische Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Als Ausweg ist nun ein Zweckbündnis mit der hilflos herum rudernden Kukiz-Bewegung geschlossen worden, die im heutigen Sejm deutlich rechts von den Kaczyński-Leuten sitzt und die noch vor wenigen Jahren die PSL öffentlich als eine Verbrecherbande bezeichnet hatte, weil die sich doch erdreiste, die gehasste Verfassung (also das System) zu verteidigen. Paweł Kukiz selbst rettet sich mit dem eigenartigen Schritt vor dem drohenden Verschlucken durch die Nationalkonservativen, allerdings verfügt er nur noch über Reste der einstigen Herrlichkeit von vor vier Jahren.
Mit dem Weggang der PSL-Agrarier brach auch der andere Flügel weg, was aber immerhin zu einer interessanten Entwicklung führte. Vor vier Jahren traten zwei linksgerichtete Gruppierungen an, eine radikale als Partei Razem sowie eine gemäßigte, angeführt von den Linksliberalen der SLD und von Janusz Palikot. Beide blieben unter den obligatorischen Prozenthürden, indes feierten die Razem-Leute am Wahlabend neben der errungenen staatlichen Parteifinanzierung vor allem schadenfroh die Niederlage der SLD-Leute. Dass damit Kaczyńskis Alleinregierung das Tor geöffnet wurde, blieb weniger wichtig.
Jetzt aber ist alter Streit vergessen oder gar überwunden, denn drei Richtungen haben sich aufgemacht, gemeinsam das Wahlziel zu stemmen: den Einzug in den Sejm. SLD, Razem und Robert Biedrońs Frühlingspartei (Wiosna) haben sich zusammengeschlossen, werden als eine Linke-Liste antreten, die auch bereits in wichtigen Parametern ausbalanciert ist. So wird in Warschau Adrian Zandberg, das bekannte Gesicht der Razem-Partei, gemeinsamer Spitzenkandidat. Robert Biedroń, der im Mai in das EU-Parlament eingezogen war, wird jetzt nicht antreten, soll aber gemeinsamer Kandidat werden für die Direktwahl des Staatspräsidenten im kommenden Frühjahr. Zu beobachten ist zwar ein geringer, mitunter sogar prominenterer Weggang von Unzufriedenen, die das linksgerichtete Dreierbündnis aus etwaigen Gründen ablehnen, aber der Zugewinn ist zählbar und schlägt sich augenblicklich in Umfragewerten nieder, die wieder über 10 Prozent liegen. Eine Rückkehr linksgerichteter Kräfte in den Sejm ist also wahrscheinlicher geworden, was das Kräftespiel im Lande selbst bei einer Fortsetzung der nationalkonservativen Alleinregierung ein wenig ändern würde.
Der verbliebene Rumpf im Oppositionslager steht nun vor der schwierigen Aufgabe, mindestens 30 Prozent der Stimmen zu holen, um den befürchteten Durchmarsch der Kaczyński-Leute doch noch zu verhindern. Grzegorz Schetyna wird die als Bürgerkoalition (KO) antretende breitere Liste aus Wirtschaftsliberalen, Liberalen, gemäßigten Konservativen, aber auch aus Linksliberalen, Feministinnen und Grünen anführen, die ihre Hochburgen in den großen Städten, vor allem in prosperierenden Zentren wie Warschau, Poznań oder Wrocław hat.
Wahlforscher weisen allerdings darauf hin, dass bei einer offensiven Kampagne, die noch geführt werden muss, auch die linksgerichtete Wahlkoalition im Oppositionslager vor allem vom feministisch-linksliberalen Flügel der KO unter Druck geraten könnte, so dass an dieser Schnittstelle zusammengerechnet unter dem Strich trotzdem eine Null herauskäme. Tatsächlich wird es schwer werden, dem Regierungslager noch nennenswerte Wählerstimmen abspenstig zu machen, was auch umgekehrt gilt, weshalb im Zentrum aller Wahlkampagnen nun vor allem die Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft steht.
Die Vorschläge im demokratischen Oppositionslager, wenigstens das Rennen um die Sitze im Senat, dem Oberhaus, gemeinsam zu bestreiten, sind noch nicht abschließend entschieden worden. Hier werden die 100 Sitze in einem Wahlgang nach Mehrheitswahlrecht gewählt, also der stimmenbeste Kandidat im jeweiligen Wahlkreis zieht in den Senat ein. Bei einem zersplitterten Antreten der Opposition sind die Aussichten, die befürchtete deutliche Mehrheit des Regierungslagers zu verhindern, natürlich geringer. Da PSL-Agrarier und die Linkskräfte eine gemeinsame Liste favorisieren und im Falle der Linkskräfte bereits spruchreife personelle Vorschläge gemacht wurden, liegt der Ball nun bei Schetyna. Ein gemeinsames Antreten für den Senat wäre ein wichtiges Zeichen, würde außerdem bedeuten, dass der Wahlkampf im Oppositionslager noch deutlicher gegen den einen gemeinsamen Gegner geführt werden wird.
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