von Frank-Rainer Schurich
Am 27. Oktober 1964 kurz nach Mitternacht, genau um 1.40 Uhr, kollidierte das Motorschiff (MS) „Magdeburg“, ein Stückgutfrachter der Deutschen Seerederei (DSR) der DDR, bei leichtem Nebel und einer Sichtweite von etwa zwei Seemeilen in der Themsemündung mit dem japanischen Frachter „Yamashiro Maru“ und kenterte. Das japanische Schiff lief in spitzem Winkel in die Steuerbordseite der „Magdeburg“, die in Höhe des Brückenaufbaus getroffen wurde. Der DDR-Frachter konnte noch in einen flacheren Uferbereich bugsiert werden, wodurch er nicht vollständig sank.
Bei aller Tragik – es war Glück im Unglück. Von der Besatzung, über 50 Seeleute, wurde niemand verletzt oder getötet. Ein Matrose, so berichtete Peter Guba, ein Überlebender der Kollision, konnte aber nur durch rohe Gewalt von der Gangseite her, also von innen, aus seiner Kammer befreit werden. Der hatte noch Galgenhumor und erklärte am nächsten Morgen in der DDR-Botschaft: „Das Erste, was in meiner Kammer kaputtging, war mein heißgeliebtes Kofferradio, das im Bullauge stand. Das war das Beste, was es in der DDR gab!“
Natürlich, die Fracht war wertlos geworden, und um die ging es wohl vor allen Dingen. Doch dazu später.
Die Untersuchungen zu den Ursachen der Havarie verliefen auftragsgemäß im Londoner Nebel. Zudem hüllte sich die Vereinigung der Themselotsen zu diesem Vorgang pflichtbewusst in Schweigen. Die Japaner wiesen jede Schuld an diesem Zusammenstoß von sich; sie wären auch auf der richtigen Fahrwasserseite gewesen. Die Kollegen der „Magdeburg“ sahen das völlig anders, zudem sie Hilfe vom Kapitän eines Ankerliegers bekamen, also von einem relativ unbeteiligten Zeugen. Dieser bestätigte indirekt die Aussagen und Versionen der Magdeburg-Besatzung einschließlich des an Bord befindlichen englischen Lotsen Greenfield.
Das DDR-Schiff hatte zuvor am Williams Wharf 42 für die kubanische Hauptstadt Havanna bestimmte Omnibusse der Marke „Leyland“ des gleichnamigen britischen Fahrzeugherstellers geladen.
Im Frühjahr 1975 berichtete die Zeitung Washington Post über Signale aus dem US-Geheimdienst CIA, nach denen begründeter Verdacht bestehe, dass die CIA in diesem Fall die Hände im Spiel hatte. Man vermutet, dass der japanische Frachter auf Betreiben der CIA die „Magdeburg“ absichtlich rammte, um den Bustransport nach Kuba zu verhindern. Es wird sogar angenommen, dass das Motorenöl der besagten Busse präpariert gewesen war, um die Motoren beim Betrieb zu zerstören – falls das Ramm-Manöver schieflaufen sollte.
Es sollte die Wirtschaftsblockade gegen das sozialistische Kuba mit aller Macht durchgesetzt werden, und dieses Ziel wurde schließlich auch mit kriminellen Mitteln erreicht. Das Geschäft in einem Wert von 12 Millionen US-Dollar kam jedenfalls nicht zustande, die Wirtschaften von Kuba und der DDR wurden massiv geschädigt. Offenbar ohne Rücksicht auf Verluste und Menschenleben.
Schon Bertolt Brecht befand sich Jahre zuvor in einem Gedicht, zum „Lesebuch für Städtebewohner“ gehörig, auf Tätersuche, allerdings in einem anders gelagerten Boykott-Fall: „Wer hat mit wem ausgemacht / Dass die Traktoren nicht haben soll / Der Mann in Irkutsk / Sondern der Rost?“
Erwähnenswert ist noch, dass Taucher des britischen Geheimdienstes von der „Magdeburg“ Chiffrierunterlagen gestohlen haben sollen, um die Funksprüche des DDR-Schiffs zu entschlüsseln.
Die Seekammer der DDR befand am 25. April 1966 in einem „Havariespruch“: „Ein Verschulden des Kapitäns Maul und des Wachoffiziers Griepentrog oder anderer Personen der Besatzung des MS ‚Magdeburg‘ liegt nicht vor.“ Die „Yamashiro Maru“ dagegen, so wurde im Urteil festgestellt, fuhr auf der falschen Fahrwasserseite und hatte Kursänderungssignale gegeben, die in der Folge aber nicht ausgeführt wurden. Daher konnte die Schiffsleitung der „Magdeburg“ die Gefahr eines Zusammenstoßes nicht früher erkennen.
Der Frachter war, so steht es jedenfalls in den Chroniken, irgendwie ein Unglücksschiff. Am 23. Dezember 1960 ging ein Matrose über Bord und ertrank. Im April 1961 kollidierte die „Magdeburg“ schon einmal auf der Themse mit einem Dampfer namens „Leo“ – durch einen Ausweichfehler. Und das Glück ließ die „Magdeburg“ auch nach Kollision vom 27. Oktober 1964 gründlich im Stich. Am 13. Dezember 1965 verließ die aufgerichtete und provisorisch reparierte „Magdeburg“ London am Schleppseil, weil sie an eine griechische Reederei verkauft worden war. Vier Tage später schlug der Sturm abermals ein Leck, so dass das Schiff etwa 20 Seemeilen von Brest (Frankreich) entfernt im Atlantik auf Nimmerwiedersehen versank. Wo es heute noch liegt …
Anzumerken ist, dass die „Yamashiro Maru“ fast zehn Jahre später, im Oktober 1973, auf der Reede von Latakia (Syrien) bei einem seeseitigen Angriff auf die Hafenstadt in Brand geschossen wurde und dort sank. Es gab Todesopfer. Ob das reiner Zufall war?
Man wird das tragische Ereignis vom 27. Oktober 1964 beweismäßig heute noch nicht aufklären können, denn die Akten der CIA werden unter Verschluss gehalten. Aber alle Indizien belegen, dass hier ein gemeingefährliches Verbrechen, ein Terrorakt verübt wurde. Und nicht nur Peter Guba hofft, dass irgendwann die geheimen Archive geöffnet werden und die ganze Wahrheit ans Tageslicht kommt. Das wird sicherlich nicht freiwillig geschehen, aber jähe Wendungen sind nun einmal auf der ganzen Welt, wie die jüngste Geschichte zeigt, nicht ausgeschlossen.
Schlagwörter: CIA, Frank-Rainer Schurich, Kollision, Kuba, MS "Magdeburg"