22. Jahrgang | Nummer 15 | 22. Juli 2019

Das Pädagogium Putbus

von Dieter Naumann

1830 beauftragte Wilhelm Malte zu Putbus den Stralsunder Gymnasiallehrer Ferdinand Hasenbalg mit der Ausarbeitung des Entwurfes für die Einrichtung einer höheren Lehranstalt, in der vor allem adlige Sprösslinge in einer Art Eliteausbildung auf das Militär, für Berufe in der Land- und Forstwirtschaft, im Bauwesen und in kaufmännischen Bereichen vorbereitet werden sollten. Die Grundidee des Fürsten war, eine Lehranstalt zu schaffen, die von den damals üblichen Schulen und Fakultäts-Wissenschaften abwich.
Von 1833 bis 1836 unter Leitung des Baumeisters Theodor Bamberg errichtet, standen in dem dreistöckigen Gebäude am Circus 13 Wohn- und Schlafräume für 60 Internatszöglinge (Alumnen), verschiedene Unterrichtsräume, ein Speisesaal und Wohnungen für die Lehrer zur Verfügung. Ein benachbartes zweistöckiges Haus fungierte als „Ökonomie-Gebäude“ Der Direktor erhielt ein eigenes Haus und einen Platz für seinen Garten. Ein Gelände für „Spiele und Leibesübungen“ wurde angelegt.
Am 7. Oktober 1836, dem Geburtstag von Fürstin Louise, erfolgte die feierliche Einweihung.  Zunächst gratulierte man der Fürstin, dann versammelte man sich im Betsaal des Pädagogiums, wo ein eigens komponierter Choral gesungen und die unvermeidlichen Eröffnungsreden gehalten wurden. Direktor Hasenbalg glänzte dabei mit seiner in Latein gehaltenen Antrittsrede. Die Putbuser Oberschicht sollte bald nur noch vom „deutschen Eton“ sprechen, während die Lehrer und Zöglinge das Pädagogium „Pädschen“ und sich selbst „Pädschler“ nannten.
Das Haus stand unter königlicher Regie, der Lehrplan wurde von einem Kuratorium unter Leitung des Fürsten mitbestimmt und konzentrierte sich anfangs auf Geschichte, Mathematik, naturwissenschaftliche Fächer und neue Sprachen. Mitglieder des Kuratoriums waren außerdem der Direktor, der Superintendent der evangelischen Kirche, ein Rittergutsbesitzer, ein Rechtskonsulent sowie zeitweise der Bürgermeister und der Ortsgeistliche.
Das Lehrerkollegium setzte sich neben dem Direktor aus zwei Oberlehrern, vier „Collaboratoren“ (Hilfslehrer) und je einem Religions-, Schreib-, Rechen-, Gesangs- und Zeichenlehrer zusammen. Je nach Bedarf kamen Lehrer für Leibesübungen und Reiten hinzu. Für die Reinigung der Räume waren zwei Reinemachefrauen angestellt, zu deren Aufgaben es auch gehörte, die jüngeren Schüler zu waschen. Hinzu kamen Portier,  Diener, Heizer und Nachtwächter.
Im Eröffnungsjahr wurden 37 Schüler von der Insel und vom Festland unterrichtet. Unter ihnen waren auch Putbuser Kinder, die allerdings nicht im Internat wohnten. Es ist wohl dem Engagement des Fürsten zu verdanken, dass es ab 1849 geförderten Unterricht auch für Minderbemittelte gab. Die 30 Benifiziaten zahlten statt 200 Talern nur 80 und erhielten dafür den gleichen Unterricht sowie Wohnung und Unterhalt wie die „voll“ zahlenden Schüler.
Da noch einiges an Inventar und Unterrichtsmitteln fehlte, griff der Fürst in der Folgezeit erneut in die fürstliche Schatulle und übergab dem Pädagogium eine wissenschaftliche Bibliothek mit 10.000 Bänden, zwei Schulpferde für den Reitunterricht und finanzierte verschiedene Einrichtungsgegenstände, darunter Lichtputzen, Stiefelknechte und Spucknäpfe. Ein Jahr später durfte sich die Lehranstalt „Königliches Pädagogium“ nennen, oberste Behörde wurde das „Königliche Provinzial-Schul-Collegium zu Stettin“. Dafür beteiligte sich ab 1837 der preußische Staat jährlich mit fast 2.000 Talern an der Finanzierung des laufenden Schulbetriebes und übernahm die Hälfte der Baukosten.
Aus dem 1938 veröffentlichten Erlebnisbericht des ehemaligen Oberregierungsrates O. Stobbe, Internatszögling von 1892 bis 1899, ging hervor, dass der Aufenthalt durchaus kein „Zuckerschlecken“ bedeutete. Stobbe hatte es vor allem das Essen „angetan“: „Jeden Sonntag habe ich viele Jahre hindurch Kalbsbraten, der ohne jede Kraft war, gegessen; die Kraftlosigkeit des Bratens war auch kein Wunder, da er bereits um 8 Uhr in den Ofen kam, um darin bis zu dem um 1 Uhr stattfindenden Mittagessen zu schmurgeln.”
Zu den Abwechslungen gehörten Sportveranstaltungen, Vereinsleben, Theateraufführungen und ähnliches. Das Pädagogium hatte am Wreechener See ein eigenes Bootshaus (1931 abgerissen und in die Goor verlegt) sowie ab 1838 eine eigene Badestelle in den „Neuendorfer Tannen“, zu der ein nur für die Lehrer und Schüler zugelassener Weg („Pädagogistensteig“) führte.
Einige der Schüler sollen auf ihre Art für „Abwechslung“ gesorgt haben, berichtete Lehrer Victor Loebe. So wurde verbotenerweise nicht nur im Park und in der Stube, sondern sogar im Schlafsaal geraucht, Grog, Wein, Bier und „Bischof“ (ein Punschgetränk aus Orangen und Rotwein) konsumiert, man trieb sich in Restaurants und Kaffeehäusern herum, einige Zöglinge wurden bei der Herstellung von Pomade und Schießpulver auf der Stube erwischt. Einer wollte gar aus dem Pädagogium flüchten, hatte dazu sein Bettzeug und andere Utensilien auf eine Kuh gepackt und diese zum rettenden Schiff nach Lauterbach getrieben, wo er jedoch entdeckt wurde.
Kamen die Abiturprüfungen näher, erhöhte sich der Stress der älteren Schüler. Sie wurden deshalb auch als „Mulis“ bezeichnet, die mit Stolz ihre „Stürmer“ trugen, einst Kopfbedeckungen der Revolutionäre von 1848.
Dem Rügenschen Kreis- und Anzeigeblatt vom 8. Februar 1907 verdanken wir Angaben zu den „größeren Ökonomie-Bedürfnissen“ der „hiesigen Anstalt“ im Jahre 1907. So waren in den Ausschreibungen für die Lieferanten unter anderem „ungefähr 1000 kg Zucker, 200 kg Mehl, […] 2400 Ztr. Kohlen, 200 Ztr. Presskohlen, 500 kg Kalbskeule, 350 kg Rindfleisch, 500 kg Schweinefleisch und Schinken, 520 kg Roastbeef, 300 kg Kotelett, 500 kg Hammelfleisch und Keule, 200 kg Gehaktes, 250 Knochen, 1500 kg Semmel und 7600 kg Roggenbrot“ aufgeführt.
Ab 1918 übernahm der Staat die Leitung, 1920 wurden erstmals Schülerinnen in die Obertertia (9. Klasse) aufgenommen.
Zwischen 1941 und 1945 nutzte die NSDAP das Gebäude als Nationalpolitische Erziehungsanstalt (NPEA oder auch Napola). Die als „Jungmannen“ bezeichneten Schüler waren in acht „Züge“ und zwei Hundertschaften aufgeteilt. Das Lehr- und Erziehungspersonal umfasste 17 Personen, von denen einige jedoch zum Kriegsdienst eingezogen waren. Jedem Zug war ein Zugführer genannter Erzieher zugeordnet, der zugleich als Fachlehrer fungierte.
Exerzieren in Marschformationen, Geländeübungen, Schießübungen mit Luft- und Kleinkalibergewehren gehörten zur Ausbildung. Als regionale Besonderheit bot die NPEA Putbus eine spezielle Marineausbildung an, worunter Bootsübungen, Signalflaggen-Einsatz und Morseübungen zu verstehen waren. Die Kriegsmarine hatte dafür zwei Yachten, acht Kutter und zwei Jollen zur Verfügung gestellt. Ab 1943 wurden die älteren „Jungmannen“ schrittweise zum Kriegseinsatz eingezogen, so zur Marineartillerie, zum Bau von Infanteriestellungen und Panzergräben, aber auch zu Aufräumungsarbeiten nach einem Fliegerangriff auf Stralsund im Oktober 1944.
Von 1946 bis 1975 hatte im Pädagogium das Institut für Lehrerbildung seine Heimstatt, in dem in einem sieben Monate dauernden Kurs Grundlagen für die Arbeit an den Schulen vermittelt wurden. Die schwierigen Nachkriegsverhältnisse machten es erforderlich, dass die Teilnehmer neben verschiedenen Unterrichtsmaterialien auch Besteck, Geschirr, Bettwäsche bis hin zu Strohsäcken, Kartoffeln und andere Lebensmittel mitbringen mussten. 1949 erhielt das „Pädagogische Institut“ den Namen des Schulreformers Friedrich Adolf Diesterweg. Im Durchschnitt hatte das Institut eine Kapazität von 200 Studienplätzen und beschäftigte etwa 25 Lehrkräfte und bis zu 40 Mitarbeiter in Verwaltung, Internat, Küche, Technik und anderen Bereichen. Auf einer 1962 abgeschickten Karte beklagt sich eine Absolventin: „In der Woche 20 Std. Russisch!!! Das Essen ist hier unmöglich. Wir brauchen wieder unheimlich viele Bücher.“ Bis 1975 wurden rund 4.500 Lehrer in Putbus aus- oder fortgebildet. Zu den bekanntesten Absolventen gehörte Egon Krenz.
Von 1975 bis 1990 wurden die Gebäude des Pädagogiums als Schwerhörigen-Hilfsschule mit Internat und von 1990 bis 2005 als Sonderpädagogisches Zentrum und teilweise durch das IT-College Putbus genutzt. Obwohl die Ausbildungs-, Forschungs- und Veranstaltungspalette des Colleges bis hin zu überregionalen wissenschaftlichen Veranstaltungen reichte, musste es 2012 Insolvenz anmelden, 2014 wurde es geschlossen.