von Ulrich Busch
Spinoza, Kleist, Hölderlin, Franz Schubert, Nietzsche und Kafka arbeiteten für den Nachruhm. Aber sie wussten es nicht und hatten es anders gewollt. Entweder sind sie zu früh gestorben oder sie waren ihrer Zeit zu weit voraus, so dass ihnen die Anerkennung durch die Zeitgenossen versagt blieb. Sie fanden diese erst im Nachruhm, der ihnen bis heute zu Teil wird. Auf ihm basiert ihre Würdigung als Wissenschaftler und Künstler. – Aber wie gelangt man im Leben zu Nachruhm?
Michel de Montaigne meint „Was uns die Zeit nicht gegeben hat, das schenkt uns die Ewigkeit.“ Danach wäre der Nachruhm ein Geschenk? Der Autor verweist aber auch auf die Zufälligkeit eines solchen Geschenks: „Was ist zufälliger als die Nachrede?“ Ein positives Andenken der Nachwelt an das Vollbrachte wäre danach „eine reine Sache des Glücks“. Der eigene Nachruhm ein bloßer Zufall oder reines Glück?
Das ist schwer anzunehmen. Schließlich geht es hier um die Verewigung der Existenz, um den Unsterblichkeitsanspruch von Personen und Lebensleistungen. Was wüssten wir zum Beispiel heute über den tapferen Steinzeitjäger und Alpinisten Ötzi, hätten nicht Bergwanderer 1991 zufällig seine Überreste in den Alpen entdeckt? Allein durch diesen Fund wurde er berühmt. Fünftausend Jahre nach seinem Tode! Sein Nachruhm verdankt sich vollständig dem Zufall. Darauf aber lässt sich kaum bauen.
Nehmen wir ein anderes Beispiel: Was wüssten wir heute noch von Shakespeare, hätten nicht Schauspieler seine Texte auswendig gelernt und nach seinem Tode weiter verbreitet? Autorisierte Handschriften gibt es nicht. Der unsterbliche (Nach-)Ruhm des Dichters gründet sich komplett auf zufällige Überlieferungen. Aber kann man sich darauf verlassen, dass auf ein Leben voller Arbeit und großartiger Leistungen ein gerechter Nachruhm folgt, wenn Glück und Zufall dabei den Ausschlag geben? Offensichtlich nicht! Das Wort Senecas, wonach „dem Verdienste sein Ruhm unfehlbar folge, wie dem Körper sein Schatten“, gilt offenbar nicht für den Nachruhm. Und auch Schopenhauer irrt, wenn er sich damit tröstet, dass „der Beifall der Nachwelt nicht anders, als auf Kosten des Beifalls der Mitwelt erworben wird, und umgekehrt“. – Wer im Leben Ruhm erworben hat, büßt diesen unter Umständen mit dem Tode wieder ein. Und wer zu Lebzeiten ruhmlos blieb, darf nicht zwangsläufig auf Nachruhm hoffen.
Seinem Wesen nach gehört der Nachruhm zum Ruhm, ist er dessen Fortsetzung nach dem Tode. Er gehört damit quasi zum Nachlass eines Menschen. Wie groß er aber ausfällt, das hängt nicht nur von dem geschaffenen Werk ab, sondern auch von seiner Wirkung in der Zeit, von dessen Nachhaltigkeit und Zukunftspotenzial. Hierüber aber gibt es zu Lebzeiten keine Gewissheit, sondern nur Annahmen, unklare Vorstellungen und Erwartungen. Nicht selten auch Illusionen und Fehlkalkulationen. Die Vorstellung vom Fortwirken in der Ewigkeit verschafft so manchem Menschen ein Glücksgefühl. Dies umso mehr, je weniger seinem Wirken in der Endlichkeit des irdischen Lebens der erhoffte Erfolg beschieden war. Auf diese Weise wird die Erwartung eines Nachruhms zum Ersatz für den zuvor ausgebliebenen Ruhm. Dabei spielen die Gründe für das Ausbleiben keine Rolle. Sie können historischer wie persönlicher Natur sein, gesetzmäßig oder rein zufällig.
In jedem Fall aber bilden Menschen, die für den Nachruhm empfänglich sind, die ihn förmlich suchen und deshalb schon zu Lebzeiten darauf hinarbeiten, eine besondere Spezies. Es sind Wissenschaftler, Künstler, Unternehmer, Politiker und vornehmlich Männer, Menschen, die in ihrem Leben etwas Besonderes geleistet haben, oder dies zumindest glauben, die etwas geschaffen, etwas hervorgebracht haben, das das gewöhnliche Maß übersteigt. Meistens sind sie, wie Friedrich Hebbel glaubt, von ihren „Aussichten auf die Unsterblichkeit“ vollkommen überzeugt. Nichtsdestotrotz aber sorgen sie vor und sichern sich ihren Nachruhm bereits zu Lebzeiten durch entsprechende Verfügungen. Goethe war hierin ein Meister. Er hat mehr als dreißig Jahre seines Lebens darauf verwendet. Auch Schopenhauer wirkte in dieser Richtung. Ebenso Bertold Brecht und Thomas Mann.
Seinen Nachruhm schon „zu Lebzeiten“ sucht aber auch derjenige, so Theodor W. Adorno, der daran zweifelt, „dass ihn überlebt, was er geschaffen hat“. Wer also fürchtet, sein Werk könnte nach seinem Tode der Vergessenheit anheimfallen, von Plagiatoren geraubt oder von Banausen missbraucht werden, wird hier vorsorgend handeln. Dies gilt für alle, deren Nachruhm ungewiss ist. Sie geben sich nicht mit der Hoffnung zufrieden, dass ihr Werk nach ihrem Ableben die erwartete Anerkennung findet oder dass dem als unzureichend empfundenen Ruhm posthum ein größerer Nachruhm folgt. Nein, sie werden schon vorher aktiv, indem sie Stiftungen, Akademien, Sozietäten und Vereine gründen und mit Bibliotheken, Archiven und Verlagen entsprechende Verträge abschließen.
Was für diese gilt, muss aber mehr noch für jene zutreffen, die definitiv keinen Nachruhm zu erwarten haben. Man denke hier zum Beispiel an die Gelehrten, Künstler, Architekten, Techniker et cetera, die ihre Lebensleistung in der DDR erbracht haben, deren Verdienste nach erfolgter Abwicklung, Umstrukturierung, Transformation und Auslöschung aber keine Anerkennung mehr finden. Ihr Ruhm fand mit dem Untergang ihres Staates ein abruptes Ende. Und auf einen Nachruhm dürfen sie nicht hoffen. Für sie ist der von Adorno geäußerte Zweifel, ob einen überlebt, was man geschaffen hat, zur Gewissheit geworden: Es überlebt nicht! Vielmehr haben wir es hier mit dem umgekehrten Fall zu tun: die Menschen haben ihr Werk überlebt. Dies aber wollen sie nicht akzeptieren. Was soll man tun? Eine mögliche Antwort hierauf wäre, zu resignieren, eine andere, sich mit Leben und Werk im Lichte der eingetretenen Veränderungen kritisch auseinander zu setzen. Eine dritte aber besteht im Entwurf eines kontrafaktischen Geschichtsbildes und der Selbstkonstruktion eines Nachruhms. Dabei wird versucht, diesen als „Schatten einstiger Taten“ herbeizureden und zu beschwören. Als probate Mittel dafür bieten sich an: Autobiografien und Zeitzeugenprojekte, Rückblicke aller Art und Nekrologe. Geeignete Organisationsformen und Riten sind Traditions-, Begräbnis- und Heimatvereine, Gedächtnisfeiern, Jahrestage, Jubiläen und Totengedenken. All diese Formen stehen im Zeichen der Suche nach einem Ruhm post mortem. Das Streben danach wird hier faktisch institutionalisiert. Dies verleiht derartigen Veranstaltungen, Feiern, Auftritten, Editionen und weiteren Äußerungsformen etwas Vergangenheitslastiges, überdies etwas Unwirkliches und aus der Zeit Gefallenes. Die Vergangenheit wird hier vergegenwärtigt, aber nicht in kritischer Auseinandersetzung und zeitgemäßer Bewertung als Historie, sondern als Flucht aus der Gegenwart und „Geisterbeschwörung“. Dies führt nicht selten zu Verrenkungen und Irritationen, zur Selbstbeweihräucherung und Selbstmusealisierung, verbunden mit einer gehörigen Portion Realitätsverlust.
Auch wenn das Bestreben, den Nachruhm schon zu Lebzeiten zu suchen, nicht selten grotesk anmutet, so erreicht es doch seinen Zweck, nämlich die Konstruktion eines Nachruhms, den es sonst nicht geben würde. Dumm ist bloß, dass dieser auf den Wirkungskreis und die Lebenszeit seiner Protagonisten beschränkt bleibt und deshalb letztlich doch kein richtiger Nachruhm ist, sondern nur der Schein eines solchen.
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