22. Jahrgang | Nummer 11 | 27. Mai 2019

Antideutscher „Beifang“ am Freitag

von Stephan Wohanka

Vor Kurzem war ich zu einem Klassentreffen in Jena; selbiges fand an einem Sonnabend statt. Ich reiste früher an; Gelegenheit also, die dortige „Fridays for Future“-Demonstration zu besuchen. Zumal eine Enkelin daran teilnahm.
Eine überschaubare Gruppe sammelte sich am Holzmarkt. Neben Schülern hatten sich auch Großeltern „for Future“ sowie Wissenschaftler eingefunden; aber – wie sich zeigen sollte – andere politische Akteure ebenfalls.
So beteiligte sich der inzwischen über Jena hinaus bekannte Studentenpfarrer Lothar König mit seinem zum Lautsprecherwagen umgerüsteten blauen VW-Bus („Lauti“) an der Demonstration respektive die Veranstalter nutzten das Vehikel als Kommunikationsmittel. Ganz klimaschonend legten sich junge Leute, von ihrer Anmutung her eher Punks denn Schüler, in die Siele, um den „Lauti“ zu ziehen. Ehe der Zug in Bewegung kam, forderte König noch kurz das Wort. Er plädierte dafür, die Verteilung eines Flugblattes nicht zu verhindern, sondern – so ist zumindest meine Erinnerung – diese im Namen der Pluralität der politischen Meinungsvielfalt zuzulassen. Ich bekam dann das besagte Blatt in die Hand – und staunte nicht schlecht. Das heißt, ich war erst einmal mehr als desorientiert …
König und sein Bus sind – wie gesagt – bundesweit bekannt. Grund dafür ist ein gegen ihn angestrengter Prozess wegen „schweren aufwieglerischen Landfriedensbruchs“ nach einer Demonstration 2011 gegen Rechtsextremisten anlässlich des Jahrestages der alliierten Luftangriffe auf Dresden. Nachdem Falschaussagen von polizeilichen Zeugen und gravierende Rechtsverstöße der Anklage aufgedeckt worden waren, wurde der Prozess abgebrochen und 2014 endgültig eingestellt. Ist König ein extremer Linker? „Nun: Er sieht aus wie ein obdachloser Karl Marx. Oder wie der liebe Gott in einer anarchischen Phase“ ist in JG: Stadtmitte zu lesen. Dieses Bild bot er auch in Jena an besagtem Tag. Und weiter: König „steht politisch ziemlich weit links. Und ja, in seinem Engagement für die jungen Leute in seiner evangelischen Gemeinde und für die Sache, die er für richtig hält, ist er extrem […] “.
König hat eine Tochter, Katharina. Sie sitzt für Die Linke im Landtag von Thüringen. „Sie hält die DDR für einen Unrechtsstaat, ist proisraelisch und radikal antifaschistisch, das sind ein paar klare Positionen zu viel.“ Tatsächlich; gemeinhin wird der Linken nachgesagt, antiisraelisch zu sein. Königs Tochter und offenbar ihr Mann Oliver Preuss waren die Organisatoren der 1. Mai-Demonstration in Erfurt. Im Nachgang wurde beiden in einem Offenen Brief, verfasst von Mitgliedern der Marxistisch-Leninistische-Partei Deutschlands respektive ihres Jugendverband REBELL, vorgehalten, „anti-kommunistische Hetze – ja Hass – in einigen Köpfen der ‚Antideutschen‘, die sich fälschlich als ‚Antifa‘ ausgeben“, toleriert zu haben.
Mehr noch – die Beschwerdeführer seien bedroht worden: „Der Mossad soll euch holen“. Auf die Frage, was sie, Katharina König-Preuss, am 1. Mai noch so machen wolle, habe sie unter anderem geantwortet: „[…] MLPD-Fahne verbrennen […]“.
„Antideutsch“, „Mossad“, „MLPD-Fahne verbrennen“ – wie passt das alles zusammen?
Das inkriminierte Flugblatt trägt den Titel: „Was nützt einem die Zukunft, wenn man ansonsten ein Idiot ist.“ Man kann schon fragen: Sollten in unserer toleranten, aufgeklärten Gesellschaft nicht auch Idioten – nach heutigen Sprachgebrauch Trottel oder Dummköpfe, etymologisch vom Griechischen her „Privatperson“ im Sinne des Sich-Heraushaltens aus öffentlichen Angelegenheiten – eine Zukunft haben?
Aber sei’s drum.
Im Text selbst wird den Schülern davon abgeraten, sich an den „Schülermärschen“ zu beteiligen: „Ihr seid hier auf der Straße, um normalen Leuten […] einzuprügeln, dass sie den Gürtel enger schnallen müssen – dieses Mal nicht für Deutschland, sondern für ‚DaS KliMa‘ […] Nicht der Klimawandel, sondern das autoritäre China, der mörderische Islam und der harte, ´grüne´ Kapitalismus zerstören eure Zukunft (sic! – St.W.)“.
Unterzeichnet ist das Blatt mit „Filiae Acediae – Antideutsche Antifa Jena“ plus rundem Logo, darin eine israelische und eine nicht identifizierbare Flagge und im Rund der Schriftzug „Antideutsche Aktion“.
Hmh, wieder nur Fragen …
Also mal nachschauen: „Filiae Acediae – Antideutsche Antifa Jena“ ist im Netz leicht zu finden; es öffnet sich eine Seite, die als Foto-Aufmacher ziemlich zweifelsfrei US-amerikanische Soldaten vor einer Flammenwand nach einem Napalmbombenabwurf zeigt; vermutlich eine Szene aus dem Vietnamkrieg. Links und andere Seiten führen weiter – und es tut sich ein mit absurd nur unzulänglich beschriebenes politisches Biotop auf; man kann aber auf den ersten Blick aufklären, welchen Staat die im Logo nicht sogleich zuzuordnende Fahne darstellt – die USA!
Erneute Konfusion – wie kann man das Yankee-Banner in sein Logo aufnehmen und zugleich die größte militärische Schmach der GIs seiner Netzseite voranstellen?
Die Bewegung der linken „Antideutschen“ entstand in den 90er Jahren im linken autonomen Milieu. Und „antideutsch“ ist wortwörtlich gemeint: Sie hassen alles und alle Deutsche(n). Das reicht bis zur Darstellung alliierter Bomber mit herabfallenden Bomben, versehen mit dem Schriftzug: „DO IT AGAIN BOMB DOWN GERMANY“.
Zeitlich parallel zur 2007 erfolgten Fusion der SPD-Abspaltung WASG und der PDS zur Partei „Die Linke“ wurde im „Kosmos“, dem größten DDR-Kino in Berlin ein neuer Jugendverband, die Linksjugend [´solid] aus der Taufe gehoben; diverse Bundesarbeitskreise gründen sich. Einer davon nennt sich „BAK Shalom“. Besucht man die Website dieses Kreises, so ist herauszulesen (neben anderem), dass er sich die ideologische Zensur der Linken und auch Der Linken zur Aufgabe gemacht hat: Voraussetzungen für eine linke Gesellschaftskritik seien die „kompromisslose Absage an den Antiimperialismus“ sowie die bedingungslose Solidarität mit Israel. Doch auch „Aufstehen“ samt ihrer – heute früheren – Galionsfigur Sahra Wagenknecht müsse man im Auge behalten. Dazu Niklas Giessler, einer der Bundessprecher des „BAK Shalom“: „Dieses Interview, wo sie dann auf die Frage: ‚Regieren die Rothschilds die Welt‘ antwortet sie halt, ich bin der Auffassung, dass alle Banken zu viel Macht haben und dazu gehören die Rothschilds.“ Da genügt also schon die bloße Nennung des Namens einer jüdischen Bankiersfamilie in kritischem Kontext für das Etikett „antisemitisch“. Wer über Judenfeindschaft, so dazu passend Sebastian Voigt, einer der Gründer des „BAK Shalom“, nicht reden wolle, solle über Kapitalismuskritik schweigen, „weil Antisemitismus eine Welterklärungsideologie ist, die für sich in Anspruch nimmt, alle komplexen Verhältnisse der Welt reduktionistisch zu erklären, die abdriftet in Verschwörungstheorien und natürlich auch verbunden ist mit einem Antiliberalismus und einen Antiamerikanismus und mit einem regressivem Antikapitalismus“. Sic!
Die Königs sind allerdings nur Nebendarsteller im Trauerspiel der Linken, sich wieder und wieder zu spalten, gegeneinander anzutreten und zu intrigieren, aber durchaus Beispiel dafür, wie auch „erprobte“ Linke im Mahlstrom der Zeit die Orientierung verlieren können.