22. Jahrgang | Nummer 9 | 29. April 2019

Osterzeit – Festspielzeit

von Joachim Lange

Salzburg und Baden-Baden haben ihre Osterfestspiele – die Berliner Staatsoper Unter den Linden auch. In diesem Jahr gab es an der Salzach Wagners Meistersinger, an der Oos Verdis Otello und an der Spree Prokofjews Verlobung im Kloster.

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Wenn irgendein Opernhaus einen „Parsifal“ im Programm hat und Karfreitag ansetzt, werden das automatisch kleine Osterfestspiele. Schon weil Richard Wagner sein letztes Werk „Bühnenweihfestspiel“ genannt hat und Karfreitag darin vorkommt.
Wenn Christian Thielemann „Die Meistersinger von Nürnberg“ dirigiert, sind das allein schon Festspiele. Wenn er es in Salzburg macht, dann heißen sie auch so. Herbert von Karajan kam einst auf die Idee, für seine Berliner Philharmoniker diesen Osterausflug auf die Bühne der berühmten Festspiele und ins Reich der Oper zu organisieren und den „großen“ Salzburger Festspielen im Sommer eine kleine Schwester im Frühjahr zur Seite zu stellen. Als sich die Berliner Philharmoniker vor sieben Jahren nach Baden-Baden abwerben ließen, sprangen die Sächsische Staatskapelle und ihr Chefdirigent Thielemann in die Bresche und erhielten für Ostern die dem Rang dieses Spitzenorchesters angemessene Bühne.
Mit dem Komponisten und Ex-Intendanten der Festspiele Peter Ruzicka gibt es dafür sogar einen namhaften Geschäftsführer. Nach dem Willen der Salzburger Politik soll er mit dem jetzigen Chef der Bayerischen Staatsoper Nikolaus Bachler künftig einen nicht minder prominenten, dann sogar Intendant genannten Nachfolger bekommen. Christian Thielemann bekundete in der ihm eigenen zackigen Deutlichkeit, dass er diese Personalie auf keinen Fall akzeptieren wird, was seit einiger Zeit für Aufregung hinter den Kulissen sorgt. Ausgang offen.
In Baden-Baden hat der scheidende Intendant Andreas Mölich-Zebhauser in den letzten Jahren alles daran gesetzt, um im wohlhabenden deutschen Südwesten das hinter den alten Bahnhof des als nobel beleumundeten Kurortes gesetzte größte Opernhaus Deutschlands als Konkurrenz zu Salzburg zu etablieren. Mit allen Marketing- und Fördertricks, die man sich so denken kann. Inklusive Abwerbung der Berliner Philharmoniker für seine Osterfestspiele. Dass er vor ein paar Jahren eine „Tannhäuser“-Premiere auf den 25. Juli festlegte, wobei ihm „entfallen“ war, dass die Eröffnung der Bayreuther Festspiele seit 1876 immer auf diesen Termin fällt, hatte schon Züge vom Übereifer eines ehrgeizigen Aufsteigers. Aber was soll’s – in Baden-Baden wollte man eh nicht für Regieaufregung sorgen oder in der Rezeptionsgeschichte mitspielen. Hier sollen Weltstars zahlungskräftige Fans anlocken, um es sich gut gehen zu lassen und nicht, um sich womöglich über ungewöhnliche Sichtweisen zu erregen.
In Berlin schließlich hat Daniel Barenboim (gegen den nichts, mit dem aber sehr viel geht) mit ehrenwertem Ehrgeiz für eine kulturelle Aufwertung des Ostens im gesamtdeutschen Bewusstsein mit seiner Staatskapelle und für die Staatsoper Unter den Linden vor 24 Jahren ebenfalls Festtage über Ostern etabliert. Was zumindest einen Programmschwerpunkt mit diversen Luxusbesetzungen im laufenden Betrieb des Hauses ermöglicht.
So ist Ostern zu einem Wettbewerb im Luxussegment der deutschsprachigen Opernwelt avanciert. Am Ende vermelden die jeweiligen Festspiele denn auch brav ihre Zuschauer- und Auslastungszahlen. In Salzburg waren es in diesem Jahr etwa 18.800 verkaufte Karten und eine Sitzplatzauslastung im Großen Festspielhaus von 90,5 Prozent, die Premiere der Meistersinger war komplett ausverkauft.
Baden-Baden verweist auf mehr als 23.000 Besucher und betont, dass sich mit Zubin Mehta, Riccardo Muti und Kirill Petrenko die Stars der Szene am Pult des Spitzenorchesters sozusagen den Taktstock reichten.
Schließlich die Berliner: Mit 15.000 Besuchern bilanzieren sie eine Auslastung von 92 Prozent. Neben einer Wiederaufnahme der hauseigenen „Meistersinger“ (mit einer ganzen Riege von Altstars für die titelgebende Sängergilde) stellte Daniel Barenboim mit Prokofjews „Die Verlobung im Kloster“ ein selten gespieltes Werk in der Regie von Dmitri Tcherniakov zur Diskussion.
Nimmt man die drei österlichen Opernnovitäten als pars pro toto für die jeweiligen Festspiele, so wurde dieses Ostereiersuchen im Graben in allen drei Fällen mit klingenden Fabergé-Eiern belohnt. Ob nun Christian Thielemann, der mit seiner faszinierend gezügelten Klangzauberei die akustischen Tücken des Großen Festspielhauses austrickste. Ob Zubin Mehta der mit den Berliner Philharmonikern und einer Portion altersweiser Gelassenheit dem Kunstgewerbe auf der Bühne einen satten, wenn auch ruhig lodernden Verdi entgegenhielt. Oder Daniel Barenboim, der in Berlin mit seiner Staatskapelle dem Komödiantenaffen Zucker gab, obwohl er eine zwar geniale, aber keineswegs populäre Partitur auf dem Pult liegen hatte. Das war durchweg Spitze! Auch vokal dominierten mit leichten Abstufungen hier und da die Glanzleistungen. In Salzburg war Klaus Florian Vogt der Walther von Stolzing vom Dienst und Georg Zeppenfeld ein fulminanter Sachs-Debütant. In Baden Baden liefern Stuart Skelton und Sonya Yoncheva immerhin Otello- und Desdemona-Routine auf hohem Niveau und in Berlin triumphieren vor allem Aida Garifullina und Violeta Urmana.
Wer also wegen der Musik und schöner Stimmen nach Salzburg, Baden-Baden oder Berlin gereist war, der kam auf seine Kosten. Die Preise lassen wir mal weg. Solche Unternehmungen sind nicht Teil des Bildungskanons, sondern eher aus der Rubrik „man gönnt sich ja sonst nichts.“
Wer sich das außer zum Vergnügen auch noch professionell nicht nur anhörte, sondern auch anschaute, zog nicht ganz so beglückt von dannen. So unpolitische Meistersinger wie die von Jens-Daniel Herzog in Salzburg gab es schon lange nicht. Sicher muss es nicht jedes Mal gleich in die tiefsten Abgründe deutscher Geschichte gehen. Aber die Prügelfuge nur als private Klopperei zwischen David und Sixtus? Doch auch mit der vom Blatt gespielten Komödie erntet Herzog keine Lorbeeren. Seinem bühnenopulenten Theater-auf-dem-Theater-Ansatz gelingt weder das eine noch das andere. Prunkportal vorn und Bühne, Intendantenbüro, Künstlergarderoben und Schusterstube respektive Theaterwerkstatt auf der Drehbühne und ein paar Klappsitzreihen für die Meister an der Rampe behaupten lediglich Welttheater.
Am Ende hält Sachs Stolzing sein „Verachtet mir die Meister nicht“ wie eine private Gardinenpredigt. Dass Eva das Porträtfoto zerstört, mit dem Stolzing in die Meistergilde aufgenommen werden soll, die beiden von dannen ziehen und Sachs am Ende sarkastisch auflacht, bleibt genauso Behauptung wie vieles in dieser Inszenierung. So wie jetzt in Salzburg dürfte sie weder in Tokio noch in Dresden jemanden aus der Fassung bringen. Von der aktuellen Bayreuther Version bleiben diese Meistersinger jedenfalls meilenweit entfernt.
In Baden-Baden stand Robert Wilson auf „Otello“ drauf und ein Produkt der Wilson-Factory war auch drin. Kein schwarzgemaltes Gesicht des Mohren, aber nachtblaue Düsternis der Bilder, die immer irgendwie an Marc Rothko erinnern. Desdemona in Unschuldsweiß. Allesamt zum singenden Standbild verdonnert. Schön anzusehendes Kunstgewerbe statt wirklich aufregender Kunst. Bei all dem Design von Licht, Frisur und Kostüm aus dem bewährten Werkzeugkasten erlaubte der Etat noch ein Überraschungsei, und das gleich in Elefantengröße. Bevor der Sturm losbrach, mit dem die Oper beginnt, gab es den Dickhäuter erst als Projektion und dann als Bühnenskulptur, die sogar mal mit dem Ohr wackelte. Es folgte eine Portion der so perfektionierten wie vorhersehbaren Licht-, Schreit- und Bild-Ästhetik. Mit blutrotem Mond überm eisgekühlten Otello.
Szenisch hatte Berlin also von vornherein die besseren Karten. „Die Verlobung im Kloster“ ist das stiefmütterlich behandelte Werk eines Großen der gemäßigten Moderne, der am gleichen Tag wie Stalin starb. Und der es fertiggebracht hatte, 1940 eine übermütige Komödie zu komponieren. Dazu bot Barenboim seinen Lieblingsrussen unter den Regisseuren auf, den im Westen ziemlich erfolgreichen Dmitri Tcherniakov. Obwohl der erklärtermaßen kein Komödienspezialist ist, stellt er sich der Aufgabe, aus dem Verwirrspiel, an dessen Ende sich drei Paare zusammenfinden, ganz so wie sie es wollten, einen einigermaßen nachvollziehbaren Theaterabend zu machen. Resultat: irgendwo zwischen „mit Anstand“ und „mit Bravour“. Eigentlich ist es eine Meta-Inszenierung, mit der man jeden Libretto-Unsinn knacken könnte, wenn es nicht anders geht. Auch hier ein Theater auf dem Theater, in dem alle Akteure mit ihrem bürgerlichen Vornamen und einer erfundenen Opernfan-Biografie eingeführt werden. Sie alle wollen ihre Opernsucht durch die Konfrontation mit dem Objekt ihrer Begierde „heilen“. Was natürlich misslingt und in einem gigantischen Schlussbild mit dem Aufmarsch der Creme der Opernhelden mündet.