von Petra Erler
William J. Burns, ein angesehener US-Karrierediplomat, hat kürzlich seine Memoiren herausgebracht: „The Back Channel: A Memoir of American Diplomacy“. In der Aprilausgabe des Atlantic sind seine Erinnerungen an die sukzessive Verschlechterung der US-amerikanisch-russischen Beziehungen nachzulesen. Selbstverständlich präsentiert sich Burns als eigentlicher Ideengeber und Akteur. Aber er schreibt unverblümt. Nach Burns hat der US-Diplomatie vorgeschwebt, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion würde Russland sukzessive zum „Juniorpartner“. Heute sei die Herausforderung wesentlich schwieriger: Jetzt gehe es darum, die „Rivalität von Großmächten“ durch intelligente Diplomatie zu managen, „die sich in der Grauzone zwischen Frieden und Krieg bewegt“. Eine echte Partnerschaft war also nie das Ziel amerikanischer Außenpolitik gegenüber Russland gewesen, allenfalls die Rolle eines wohlwollenden Mäzens, der den „Junior“ unter seine Fittiche nimmt.
Burns geht darüber hinweg, dass Putin anfänglich bereit war, zum „Juniorpartner“ zu werden, durch den Beitritt Russlands zur von den USA geführten NATO. Seine Hoffnung, dass der Kampf gegen den Terrorismus ein einigendes Band schmieden würde, wurde ihm gründlich ausgetrieben. Die Bush-Administration habe, so Burns, kaum Veranlassung gehabt, sich mit einer „absteigenden Macht“ zu verständigen. Die hatte andere Pläne, und die reichten bis an die russische Grenze.
Burns ist gleichzeitig auch ein Chronist des Zusammenbruchs des Sowjet-Imperiums, der Systemtransformation, des Neuanfangs. Er bemerkte, dass die wilden Jelzin-Jahre einen immensen gesellschaftlichen Tribut forderten. Bereits 1994 waren 30 Prozent der Menschen in Russland in die Armut gerutscht, krimineller Mob regierte auf russischen Straßen. Die Marktwirtschaft, die sich damals in Russland zu entwickeln begann, war nicht wie aus einem Bilderbuch. Sie war bösartig und zügellos. Die auf dieser Welle ritten, sind heute Milliardäre und agieren global. Viele davon sind im Westen hoch angesehen. Darüber schreibt Burns nicht. Er moniert lieber, was damals alles nicht funktionierte, über die Erbärmlichkeit des diplomatischen Quartiers, über einen versoffenen Piloten. In Grozny sieht Burns Zerstörung und Massaker, aber der marode Haufen, zu dem in die Rote Armee verkommen war, schockiert ihn. Nichts kriegten sie mehr gebacken, nicht einmal die Niederschlagung eines kleinen „lokalen Aufstands“.
Hätte Burns in einem anderen Jahrhundert gelebt, er hätte so über die Indianer geschrieben, die dem Trunk verfallen sind und nicht schnallen, dass ihre Zeit vorbei ist.
Putin ist nach Burns, der Obama zitiert, das schlechtgelaunte, mürrische Kind, das allein auf der hintersten Bank sitzt und das man zur Raison bringen muss. Nur, dass der Bub nun erst recht bockig wird und 2006 wegen Georgien droht. Ein Treffen zwischen Obama und Putin 2009 hat sich Burns tief eingeprägt. Es ging um den Reset. Ganze 55 Minuten (!) hätte Putin auf eine Frage Obamas, was die Russen bedrückt, was gut und was schief lief in den bilateralen Beziehungen, monologisiert. Emotional, Ironisch, sarkastisch. Aber Obama sei ganz ruhig und professionell geblieben. Am Ende sei Putin bereit gewesen, den Worten Obamas zu glauben.
Burns entdeckt bei Putin so etwas wie Züge eine „edlen Wilden“, der immer noch stolz zu Pferde sitzt, während die Eisenbahn vorbeidonnert. Weil Putin mit freiem Oberkörper posiert und sich um bedrohte Tierarten sorgt. Bei diesem Thema hätte Putin, der Schmallippige, während eines Treffens mit Hillary Clinton „echte Gefühle“ gezeigt. Der glaubte laut Burns offenbar sogar, die Außenministerin hätte tatsächlich ebenfalls Interesse an dem Thema und lud sie zu einem gemeinsamen Urlaub ein. An den nördlichen Polarkreis, zu den Polarbären. Aber da war er an die Falsche geraten. Clinton machte sich nur lustig.
Burns benennt auch den Punkt, an dem der Reset der US-russischen Beziehungen scheiterte. Es war die Libyenfrage. Das Video des Lynchmords an Gaddafi habe sich Putin, so Burns, immer wieder angeschaut. Er lässt offen, warum. Denn es gibt zwei westliche Interpretationen: Erstens, Putin habe Angst, auch so zu enden. Zweitens, dass der Westen im Fall Libyen „es ein bisschen übertrieben“ habe (siehe The Atlantic, Januar/Februar 2018, „What Putin really wants“).
Dass kein Mensch so erniedrigt, entwürdigt und bestialisch umgebracht werden sollte, gilt scheinbar nicht für Diktatoren. Man kann nur spekulieren, ob sich Putin ebenso häufig das Video ansah, das die unverhüllte Freude der Hillary Clinton angesichts der Nachricht vom Tod Gaddafis festhielt: „We came, we saw, he died.“
Wer nun Russland verloren habe, fragt Burns und antwortet, dass Russland „niemals unser Land“ war. Präsident Clinton hätte sich alle Mühe gegeben, die unter einer „posttraumatischen Belastungsstörung“ leidende russische Seele zu hätscheln, damit sie die NATO-Erweiterungen schlucke, aber die Russen fühlten sich unsicher und gedemütigt, verweigerten sich der Führung der USA.
Im erwähnten früheren Jahrhundert hätte Burns wahrscheinlich verwundert notiert, dass die Indianer sich immer noch an ihr Land klammerten, unter Minderwertigkeitskomplexen litten und nicht erkennen könnten, dass der „Weiße Mann“ ihnen haushoch überlegen sei. Und nur das Beste für sie wolle.
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