von Joachim Lange
Am 22. Februar wurde es entschieden: In Halle hat eine Mehrheit des Aufsichtsrats der Theater Oper und Orchester GmbH (TOOH) in einer Kampfabstimmung beschlossen, den Vertrag mit Opernintendant Florian Lutz (40) nicht über 2021 hinaus für eine zweite Intendanz zu verlängern. Für die einen ist das ein Grund zum Jubel, für sehr viele andere aber ein Schock.
Die Oper in Halle und die TOOH, zu der sie gehört, sind immer wieder in die überregionalen Schlagzeilen geraten. Zum einen weil dort, seit Florian Lutz Intendant wurde, Oper mit Konsequenz in einer für Halle neuen und ungewöhnlichen Art gemacht wird. Man baute eine Raumbühne („Heterotopia“) ins Theater und hob damit für einige Produktionen die klassische Trennung von Bühne und Zuschauerraum auf. Hier ging Wagners „Fliegender Holländer“ an Land, erhielt Elfriede Jelineks „Wut“ einen ganz neuen Wirkungsrahmen und kam mit „Sacrifice“ von Sarah Nemtsov eine neue Oper über den Dschihad heraus. Gewürdigt wurde dieses Raumbühnenexperiment mit dem Theaterpreis „Faust“, die überregionale Kritik war erstaunt und blieb auch in der zweiten und in der laufenden Spielzeit bei ihrem Beifall. Dass beim klassischen Opernpublikum ein so radikaler Paradigmenwechsel in der Ästhetik nicht nur Begeisterung auslöst, ist in Halle nicht anders als anderswo. Und natürlich ging da auch mal was richtig schief – wie etwa Blaubarts Burg, weil die Verschränkung des Einakters mit einem Stück von Fassbinder zu drastisch in die musikalische Struktur eingriff. Die neue Opernleitung setzte kontroverses Potential in jede Richtung frei, ging offensiv auf die Stadt und ihre Hochschulen zu, verlor einige Zuschauer, gewann aber auch viele hinzu. In der Mitte der dritten Spielzeit beläuft sich die Bilanz der „Zuschauerverluste“ auf insgesamt weniger als 10 Prozent – Katastrophen oder ein Scheitern sehen anders aus.
Und doch hat der neunköpfige TOOH-Aufsichtsrat beschlossen, keine Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung mit Florian Lutz aufzunehmen.
Dieser Paukenschlag aus der Kulisse ist freilich eher der Höhepunkt einer Auseinandersetzung um die Oper, die sich mit den (normalen) Kontroversen um deren künstlerische Ausrichtung nicht erklären lassen. Es ging auch nicht um die Folgen etwaiger neuerlicher Kürzungen der Landeszuschüsse oder verschärfter Vorgaben zum Abbau des Stellenüberhangs bei der Staatskapelle (die ihre im Republikvergleich überproportionale Größe der Fusion von zwei Orchestern verdankt). Hier herrscht bei der gegenwärtigen Landesregierung deutlich mehr Sensibilität als bei ihrer Vorgängerin.
Das Problem des Hallenser Opernstreits waren und sind weniger die Widerstände aus dem Publikum, von besonders konservativen Orchestermusikern oder Belegschaftsmitgliedern, die sich nicht richtig gewürdigt fühlen – all das ist normal und gehört dazu. Aber die Konstruktion der GmbH, die unter ihrem ersten Geschäftsführer Ralf Stiska eine Zeitlang halbwegs funktionierte, billigt dem Geschäftsführer die Entscheidungsbefugnis eines faktischen Generalintendanten zu. So etwa charakterisierte es der Chef des Deutschen Bühnenvereins Ulrich Khuon bei einer Podiumsdiskussion, zu der Opernintendant Florian Lutz und Schauspielchef Matthias Brenner neben Khuon auch Ludwig von Otting, dessen ehemaligen kaufmännischen Geschäftsführer aus der gemeinsamen Zeit am Hamburger Thalia Theater, und den Oberbürgermeister und TOOH-Aufsichtsratsvorsitzenden Bernd Wiegand in die Oper geladen hatten. Die erfahrenen Theater(leitungs-)Praktiker meinten, dass für eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen ökonomisch und künstlerisch Verantwortlichen neben der Struktur vor allem die Chemie stimmen muss. In Halle ist weder diese Struktur besonders belastungsfähig, noch stimmt die Chemie.
Und zwar seit der Berufung von Stefan Rosinski auf den Posten des Geschäftsführers. Kurz nach der Bestellung von Florian Lutz. Als Kulturmanager hatte sich Rosinski bis dahin in seinen Engagements an der Volksbühne und bei der Opernstiftung in Berlin oder auch in Rostock einen so geradezu legendären Ruf erworben, dass schon seine Bestellung bei vielen Beobachtern erhebliche Verwunderung auslöste.
In Halle arbeitete er nicht gegen, sondern entsprechend seinem Ruf – mit allen Mitteln seiner Position, erst verdeckt, dann zunehmend offen und erkennbar so vehement gegen die künstlerische Leitung der Oper (und auch des Schauspiels), dass es mehrere Misstrauenserklärungen von drei der vier Spartenchefs gegen den Geschäftsführer an den Aufsichtsrat gab. Der Puppentheaterchef, für dessen Produktionen Rosinski gelegentlich als Autor die Feder zückt, war als einziger stets demonstrativ auf dessen Seite. Der Aufsichtsrat versuchte das lange Zeit einfach auszusitzen, zumindest reagierte er nicht erkennbar.
Das Zerwürfnis begann bereits in der ersten Spielzeit öffentlich zu werden, als ein merkwürdig manipulierendes „internes“ Zahlenwerk des Geschäftsführers auf wundersame Weise seinen Weg in die Lokalpresse fand. Diese gezielt platzierte „fake news“, die eine bevorstehende Pleite der Oper suggerieren sollte, entfaltete nachhaltige Wirkung in den Leserbriefspalten. Da half auch das Vorrechnen der realen, weit weniger aufregenden Zahlen nichts. Außerdem konnte sich fortan jeder, der etwas gegen die Ästhetik und ihre gesellschaftliche Relevanz hatte, auf diese „Zahlen“ berufen.
Während sich der Intendant offen und öffentlich der Diskussion mit den Zuschauern und seinen Kritikern stellte (und durchweg eine gute Figur machte), blieb der Geschäftsführer in dieser Debatte betont unsichtbar. Er konzentrierte sich lieber auf das Netzwerken im Hintergrund. So erfuhr der mit der Opernleitung an einem Strang ziehende Generalmusikdirektor Josep Caballe-Domenech von seiner Nichtverlängerung – desavouierend vorfristig – aus der Zeitung. Während seine gerade (mit zustimmendem Votum von Florian Lutz in der Findungskommission!) engagierte Nachfolgerin Ariane Matiakh dem Aufsichtsrat in einem Brief kurz vor der entscheidenden Sitzung die Nichtverlängerung des Vertrags von Florian Lutz empfahl, damit der seine Talente besser anderswo entfalten könne. Diese zynische Pointe der Französin mit offenbar hellseherischen Fähigkeiten wurde in der Regionalpresse zitiert und nicht dementiert. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Wer sich für die Eigendynamik solcher Auseinandersetzungen interessiert, dem sei die Debatte empfohlen, die sich an einer Kritik zur „Ariadne auf Naxos“-Premiere am Tag der Aufsichtsratsentscheidung auf der Internetplattform „nachtkritik“ entsponnen hat.
Also alles ein Exempel für die sprichwörtliche Schlangengrube Theater? Oder ein Ringen um die Deutungshoheit in einem Genre für eine Stadt? Kampf um persönliche Macht?
Beobachter kommen zu dem Ergebnis, dass hier jemand selbst Generalintendant werden will. Davor warnt jedenfalls die Opernleitung in ihrer Stellungnahme zur Nichtverlängerung.
Im Aufsichtsrat nutzen vor allem die Vertreter der Parteien offensichtlich ihre Chance, dem parteilosen OB, der sich wie die Grünen an die Seite der Intendanten gestellt hat, eins auszuwischen. Einige (wie der SPD-Vertreter) machen ganz offen ihren persönlichen Geschmack zur Grundlage für Richtungsentscheidungen. Die gewählten Volksvertreter in Halle bekunden obendrein ihre Verärgerung, wenn öffentlich und nicht nur hinter verschlossenen Türen diskutiert wird, und empören sich lautstark über den offenen Brief, mit dem sich teils prominente Vertreter der Kulturszene aus ganz Deutschland für Florian Lutz stark gemacht haben. Bei der Gelegenheit werden via Interview im Plauderton (im regionalen Radiosender Corax nachhörbar) das nahezu komplette Votum der Fachkritik für die neue Ästhetik und der Theater-Preis „Faust“ für die Raumbühne „Heterotopia“ nach dem Motto „man weiß ja, wie sowas zustande kommt“ verschwörungstheoretisch vom Tisch gefegt.
Der Kleinmut der politischen Entscheidungsträger (von CDU, SPD und Linken), Vorbehalte bei einem Teil des Publikums und des Orchesters für Ungewohntes, nicht zuletzt aber der persönliche Ehrgeiz eines Geschäftsführers mit der Durchsetzungskraft und dem kühl kalkulierenden Furor eines Shakespeare-Helden haben der Stadt Halle vorerst jedenfalls die Chance verbaut, einen vielversprechenden Aufbruch in der Oper zu einem nachhaltigen Erfolg zu machen.
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