von Ulrich Kaufmann
Erwin Berner, das erste gemeinsame, 1953 geborene Kind Eva und Erwin Strittmatters, hat gemeinsam mit Ingrid Kirschey-Feix jüngst den Ehebriefwechsel seiner Eltern herausgegeben. Er umfasst 163 Briefe aus den Jahren 1952 bis 1958, von denen Eva 51 schrieb. Die Lyrikerin plante noch selbst, diese Briefgespräche herauszugeben. „Die Strittmatter-Leser sollten erfahren, welch eine Ausnahmeliebe Eva und Erwin Strittmatter gelebt hatten und dass kein Vorher und kein Nachher an Liebe an sie heranreichte“, heißt es einleitend in dem Band.
0In der Tat sind es großartige Liebesbriefe – voller Poesie und enormer Dramatik. Sie wirken so stark, umso mehr als die meisten Zeitgenossen kaum noch Briefe, noch seltener wohl Liebesbriefe schreiben. Allein die Anrede- und Grußformeln sind die Lektüre wert: „Du Mädchen, Eva!“, „Du Mädchenfrau!“, „Traumfrau!“, „Böse, Du!“, „Lieb’ Evchen“, „Guten Morgen, schöne Frau“ … Eva steht da nicht nach: „Lieber Kleiner Mützenjunge!“, „Lubko Liebherz!“, „Mein zweites Ich!“, „Kranker Junge!“… Das letzte Schreiben, in dem Eva auf einen „Giftbrief“ reagiert, setzt so ein: „Hochverehrter Herr Heumacher in Schulzenhof!“
Eva Braun, noch Verheiratete Werlitz, und Erwin, bereits Vater von vier Söhnen, nähern einander behutsam. Die junge Literaturkritikerin und Mitarbeiterin im Schriftstellerverband und der „Vater“ des „Ochsenkutschers“ leben zunächst räumlich getrennt. Der Spremberger Erzähler hat oft in der Hauptstadt zu tun. Gleich zu Beginn gießt der 18 Jahre ältere Erwin seiner Geliebten reinen Wein ein: „Jeder schöpferische Mensch ist irgendwo in einer Herzkammer ein krasser Egoist um seines Werkes willen. Das wirst Du ja wissen. Gar zu gerne möchte sich das Werk als Geliebte Nr.1 aufspielen.“ Dies wird eine Konstante in ihrer Beziehung bleiben, die noch zu erheblichen familiären Konflikten führen sollte.
Gleich ihr zweites Jahr (1953) hält gewaltige Belastungen bereit. Der mächtige Trennungsschmerz, den beide spüren, als Erwin einen Monat mit Kollegen in Ungarn weilt, erweist sich – in der Rückschau – als das geringste Problem. Das politisch schwierige Jahr um den 17. Juni herum wird in Erwins Briefen gelegentlich reflektiert. Weit mehr beschäftigt ihn die Komödie „Katzgraben“, die – trotz der gemeinsamen Arbeit mit Brecht – keinesfalls sofort ein Erfolg wird. Als Erwin erfährt, dass Eva ein Kind erwartet, brennen alle Sicherungen bei ihm durch. Er gibt ihr die „Schuld“, rät zu einem Abbruch der Schwangerschaft, denkt an Selbstmord. Die nunmehr erwartete Tochter entpuppt sich schließlich als Erwin junior. Als reifer Mann wird Erwin Strittmatter-Berner ein Buch über seine Eltern schreiben („Erinnerungen an Schulzenhof“), in dem er mit Kritik – namentlich an seinem Vater – nicht spart.
Im Folgejahr 1954 drehen sich die Briefe zwischen Schulzenhof und der Stalinallee vor allem um die Frage, weshalb Eva nicht mit aufs Land zieht. Sie ist das ländliche Leben nicht gewohnt, kümmert sich fast allein um Ilja und Erwin jun. Sie hat ihre Arbeit in Berlin, bewegt Ideen zu Kinderbüchern und weiß, dass „Tinkos“ Vater Kindergeräusche im Hause nicht brauchen kann … (In Evas Texten und Erwins „Tagebüchern“ ist manches davon festgehalten.)
Es ist ganz erstaunlich, wie sich die Jüngere gegen den Egomanen, der auch charmant und zärtlich sein konnte, behauptet. Eva analysiert scharf die Krisen und Konflikte und erweist sich als unerschrockene Kritikerin und Lektorin aller Texte ihres Mannes.
Der Leser möge entscheiden, was für ihn das Neue, das Spannende dieser Briefdialoge ist. So ist wenig bekannt, dass der frühe Strittmatter Gedichte schrieb, von denen er seiner Freundin einige zuschickte.
Am 5. April 1955 teilt er seiner „Liebsten, Schönsten!“ mit: „Lese seit (1946 war’s wohl) den Rosegger wieder. In seinem ‚Erdsegen‘ hat er sprachlich etwas ähnliches gemacht, wie ich’s versuche. Fundgrube für mich … Das Wiederlesen von Büchern ist eigentlich ein guter Messer fürs eigene Reifen.“ Diese Lektüreerfahrung ist insofern interessant, als der Erzähler zwei Jahrzehnte später erblassen sollte, als sein „Schüler“ Alfred Wellm anmerkt, dass ihn Strittmatters Kurzprosa an die Texte Peter Roseggers (1843–1918) erinnere, den man nicht selten als volkstümelnden Heimatdichter betrachtet.
Der solide kommentierte und reichlich bebilderte Band ist auch gediegen gestaltet. Auf den Innenklappen ist vorn der erste Brief Erwins, hinten der erste Evas faksimiliert. Erwins gestochene Handschrift gefällt, die seiner späteren Ehefrau, die deutsche und lateinische Buchstaben munter mischt, weniger. Strittmatter will auch hier erzieherisch wirksam werden. Erreicht hat er auf diesem Felde wenig …
Eva Strittmatter, Erwin Strittmatter: Du bist mein zweites Ich – der Briefwechsel. Herausgegeben von Erwin Berner und Ingrid Kirschey-Feix. Aufbau, Berlin 2018, 377 Seiten, 24 Euro.
Schlagwörter: Briefe, Erwin Strittmatter, Eva Strittmatter, Ulrich Kaufmann