von Dieter Naumann
Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg waren durch Inflation gekennzeichnet, die ihre Ursache unter anderem in der ungezügelten Kriegsfinanzierung hatte. Betrug der Dollarkurs der Reichsmark im Juli 1914 noch 4,20 Mark, war er im November 1921 schon auf 270 Mark gestiegen und sollte Ende November 1923 bei 4,2 Billionen Mark für einen Dollar liegen.
1921 musste die Badeverwaltung von Göhren auf Rügen ihren Gästen mitteilen, dass sie wegen der hohen Kosten nur einen kleinen Führer kostenlos abgeben könne. Den ausführlichen Prospekt gab es nur noch gegen Einsendung von drei Mark. Keiner der im Prospekt aufgeführten Wohnungsinhaber nannte Übernachtungs- und Verpflegungspreise, vielmehr hieß es bei allen, Preise seien „direkt zu erfragen“. Marianne Meinshausen, Besitzerin der Göhrener Familien-Pension „Speranza“ (Hoffnung), forderte von ihren Gästen neben einem Teuerungszuschlag von fünf Prozent: „Brotkarten sind mitzubringen, sowie der Zucker für die Dauer des Aufenthaltes in natura.“
Zwar waren die rügenschen Bäder noch besucht, jedoch vorrangig durch devisenzahlende Ausländer, die auf Grund des steten Kursverfalls der Mark einen billigen Urlaub verbrachten. Die Geschäftsleute in den Bädern, die keine Deviseneinnahmen hatten, konnten sich für die Millionen und Milliarden an Inflationsmark, die sie während der Saison eingenommen hatten, kaum etwas kaufen, viele mussten aufgeben.
Zurück zur Entwicklung der Inflation. Schon bald nach Beginn des Ersten Weltkriegs hatten viele Rüganer ihre Guthaben bei der Bergener Sparkasse aufgelöst, sie tauschten ihr Papiergeld in Gold- oder Silbermünzen um, die vorsichtshalber gehortet wurden. Auch die ins Feld ziehenden Soldaten hoben häufig noch Kleinbeträge ab, um ihre Familien abzusichern. Sie glaubten schließlich, der Krieg würde nur kurz dauern und das Geld würde zur Überbrückung ausreichen.
Bald traute man weder den Reichsbanknoten, für die schon ab Juli/August 1914 keine Einlösungspflicht mehr in Gold- und Silbermünzen bestand, noch den in den ersten Kriegswochen eingeführten, durch verpfändete Waren und Wertpapiere gedeckten Darlehnskassenscheinen, die ebenfalls nicht „umgemünzt“ werden konnten. Die Kaufleute nahmen nur noch Hartgeld entgegen, die Preise stiegen. Beschwichtigende Artikel über die vermeintliche Sicherheit des Geldes auf der Bank und die Drohung, Geschäfte und Hotels polizeilich zu schließen, wenn sie Papiergeld nicht annehmen wollten oder die Preise unverhältnismäßig erhöhten, verfehlten ihre Wirkung.
Auf Grund steigender Metallpreise hatten vor allem die silbernen Halbmarkstücke bald einen höheren Metallwert als ihr Nennwert betrug und verschwanden zunehmend aus dem Geldumlauf. Auch die als Ersatz gedachten Münzen aus Nickel, Kupfer, Aluminium, Zink und Eisen, die wegen ihrer Bedeutung für die Rüstungsindustrie meist eingezogen oder durch die verunsicherte Bevölkerung gehortet wurden, konnten ein Problem nicht lösen – den zunehmenden Mangel an gesetzlichen Zahlungsmitteln.
Um die Plünderung von Geschäften, Unruhen in der Bevölkerung oder gar den Infarkt der Wirtschaft zu verhindern, gaben der Staat, Gemeinden und Unternehmen Ersatzwertzeichen als Notgeld heraus – 1916 bis 1919 zunächst in Nominalen bis etwa 20 Mark, um die Kleingeldlücke zu schließen, ab etwa 1921 mit hohen Nominalen bis in den Billionen-Mark-Bereich („Großgeld“), weil die Reichsbank auch mit dem Druck hoher Nennwerte in Verzug geriet.
Um möglichst schnell Kleingeldersatz zu erhalten, waren die Notgeldscheine anfangs meist schmucklos, bestanden aus Pappe oder billigstem Papier mit eigenhändiger Aufschrift oder Stempel, hatten nur kurze Laufzeiten bis zum Umtausch in reguläres Geld. Spätestens ab 1918 – der Mangel an Kleingeld war nicht behoben – wurden die Notgeldscheine zu kleinen Kunstwerken, auf denen Besonderheiten der jeweiligen Gegend oder Firma, Themen aus Geschichte und Sagenwelt, Kunstgegenstände, Persönlichkeiten, politische Stimmungen und anderes dargestellt wurden. Das rief bald Sammler auf den Plan. Um deren wachsende Sammelleidenschaft zu befriedigen, wurden ganze Serien von Geldscheinen („Serienscheine“) ausgegeben, die gar nicht mehr für den Geldumlauf gedacht waren und von Sammlern als Komplettpakete mit entsprechendem Zubehör (Sammeltaschen, Alben, Suchlisten, Zeitschriften) erworben werden konnten. Jede Gemeinde, jede Stadt, jede Firma versuchte, die andere zu übertreffen, und warb in Zeitungsannoncen, um möglichst viele der Scheine zu verkaufen und damit etwas Geld in die leeren Kassen zu spülen. So existierten ungebräuchliche Nennwerte (etwa über 25, 30 oder 75 Pfennige) und für Zahlungsmittel ungewöhnliche Materialien wie Porzellan, Leder, Presskohle, Seide, Leinen, Briefmarken, Spielkarten, Schecks … Spekulanten und Fälscher taten ein Übriges. Im Sommer 1923 sollen deutschlandweit über 80.000 verschiedene Notgeldscheine in Umlauf gesetzt worden sein. Da mit derartigem Geld eine Art Neben- oder Privatgeld zirkulierte, womit das Banknotenprivileg der Reichsbank quasi außer Kraft gesetzt wurde, verwendete man vorsorglich Bezeichnungen wie „Gutschein“, „Wechselgeld“, „Anweisung“, „Gut für“ und Ähnliches.
Putbus und Sellin gaben Serien von jeweils vier Gutscheinen zu je 75 Pfennigen aus, die ortsübliche Sehenswürdigkeiten (zum Beispiel die Putbuser Kirche und die Selliner Seebrücke) und sinnige Spruchweisheiten zierten. Was die Herausgeber allerdings bewogen haben könnte, auf den Selliner Serienscheinen den Leuchtturm „Roter Sand“ in der Deutschen Bucht der Nordsee abzubilden, wird wohl ihr Geheimnis bleiben.
Die Fahrscheine der „Rügenschen Kleinbahnen-Actiengesellschaft“ zu 25 und 50 Pfennigen und einer Mark, die im Juni 1921 von der „Direction“ in Stettin herausgegeben wurden, waren an den Stationskassen und beim Zugführer einzulösen. Auf den Scheinen waren unter anderem die Streckennetze der Reichs- und der Kleinbahn zu sehen. Künstlerisch wertvolle Sprüche, wie „Ostsee spült fort die Sorgen / keinen kümmert mehr das Morgen“ und „An der Ostsee ist es wunderschön / nächstes Jahr auf Wiedersehn“ durften nicht fehlen.
Die Ausgabe von Notgeld nahm schließlich einen solchen Umfang an, dass die Reichsregierung seine Herstellung im Juli 1922 gesetzlich unterband, aber bereits zwei Monate später unter bestimmten Bedingungen wieder zulassen musste. Der Zeitdruck durch den zuletzt stündlichen Wertverfall war so immens, dass jetzt neben ansprechend gestalteten Scheinen auch solche ausgegeben wurden, bei denen auf grafisches Beiwerk verzichtet wurde; selbst alte Ausgaben kamen mit Zahlenüberdruck erneut in Umlauf. Um auch die Masse des zurückflutenden ungültigen oder wertlosen Papiergeldes zu bewältigen, erlaubte die Reichsbank ab November 1923 dessen Verkauf als Altpapier zur Wiederverwertung.
Im Sommer 1923 wurde „wertbestbeständiges Notgeld“ emittiert, das sich auf Dollar- und Goldmark bezog oder auch Anspruch auf Waren (Getreide, Zucker und ähnliches) darstellte. So gab der Kreisausschuss des Kreises Rügen auf Goldpfennig und Goldmark lautende Notgeldscheine mit der Faksimile-Unterschrift des damaligen sozialdemokratischen Landrats Richard Milenz heraus, die später gegen Dollar der „Reichsgoldanleihe“ oder den entsprechenden Gegenwert in Reichswährung eingelöst werden sollten.
Durch die Einführung der Rentenmark wurden die Inflation und die mit ihr verbundenen Spekulationen de jure am 15. November 1923 beendet. Die noch gültigen Papiermarkscheine blieben faktisch bis Anfang 1925 als Notgeld im Umlauf (1,1 Billionen Inflationsmark entsprachen einer Rentenmark), weil die Rentenmark nur schrittweise in Umlauf gesetzt werden konnte.
Langsam normalisierten sich die Verhältnisse. So lag der Pensionspreis im Hotel „Am Meer“ in Sassnitz 1922 noch bei „ab 45 M.“ pro Person und Tag, 1926 bereits wieder bei 6,50 bis 9,00 Mark, Betten gab es 1922 noch für 15 bis 30 Mark, 1926 für zwei bis fünf Mark.
Schlagwörter: Dieter Naumann, Inflation, Notgeld, Rügen