22. Jahrgang | Nummer 5 | 4. März 2019

Der Kellerkavalier

von Bettina Müller

An einem Montagmorgen im Berlin der frühen 1920er Jahre. Ein Tumult stört die Ruhe der Beamten im noch schlaftrunkenen Berliner Polizeipräsidium. „Dettmännchen, wo biste?“ schallt es durch die Eingangshalle. Begleitet wird der vor Freude strahlende Ankömmling von einem Nebel aus Alkohol und Nikotindunst. Der stadtbekannte „Apache“ (Gaunersprache für: Ganove), der gerade mehr als angeheitert von einem „Verbrecherball“ kommt, lässt sich schwerfällig auf den Besucherstuhl fallen, schläft schlagartig ein und fängt laut zu schnarchen an. Inzwischen haben die anderen Beamten das „Dettmännchen“ angeklingelt. Polizeioberwachtmeister Albert Dettmann eilt sofort herbei, um die Sache in Ordnung zu bringen und den Mann vorschriftsmäßig und schnell wieder hinter Gitter zu bringen. Insgeheim atmet er auf, denn am Tag zuvor hat er den Delinquenten nach der Verurteilung auf dessen Flehen „nur für eine Nacht“ zwecks Amüsement beim „Verbrecherball“ wieder freigelassen, sich also eindeutig über die Dienstvorschriften hinweggesetzt.
Dieses Detail, verbürgt durch die Erinnerungen des Strafverteidigers Prof. Dr. Dr. Erich Frey, ist typisch für Dettmann, dessen Gutmütigkeit und Menschlichkeit ihn auch in den Augen der einschlägigen Berliner Verbrecher sehr beliebt machen. Dennoch hüten sie sich tunlichst, sich im Ernstfall mit ihm anzulegen. Dettmann ist der einzige Polizist in Berlin, der den „Schuss aus der Manteltasche“ beherrscht. „Gegen Albert Dettmann“ kämpft man nicht, lautet daher die Anweisung, die die Ganoven von ihren Ringvereinen, in denen sie organisiert sind, bei jeder Straftat im Revier des Polizeibeamten mit auf den Weg bekommen.
Albert Dettmann wird am 6. August 1878 als Sohn des Gefängnisaufsehers Karl Otto Albert Dettmann und dessen Ehefrau Friederike geb. Burgow in Potsdam geboren. 1909 heiratet er, noch als Kriminalschutzmann, in Potsdam die Schneidermeistertochter Anna Moizeick. Zu einem unbekannten Zeitpunkt – seine Personalakte existiert nicht mehr – wechselt er in das Berliner Polizeipräsidium und wird dort Anfang der 20er Jahre Leiter seiner eigenen Streifmannschaft, der „Inspektion F“ der Abteilung „Fahndung“, im Volksmund „Große Streife“ genannt. Beim Fahnden macht dem „notorischen Einzelgänger“ keiner etwas vor, er läuft dabei zu Hochtouren auf und verbeißt sich wie ein Terrier in den Fall. Vor allem eine der berüchtigtsten Hochstaplerinnen der 20er Jahre, die „Gräfin Colonna“, bekommt dies zu spüren – eine Eskapade, die auch Frey in seinen Erinnerungen festgehalten hat. Die „Gräfin“, eigentlich Ella Stutz, ist mit ihrer Bande auf Einbrüche in Villen im Westen Berlins spezialisiert. Das „Gespenst von Berlin“ geht um!
Dettmann nun hat es sich in den Kopf gesetzt, die Bande zu überführen, und er hat auch schon bald einen Verdacht. Sehr gerissen und konspirativ geht er vor, ermittelt die favorisierten Lokale der Bande und macht der Gräfin schöne Augen. Die ist sehr angetan von Dettmann – der wackere Polizeibeamte wird von Frey als sehr gut aussehend beschrieben. Der Kontakt ist hergestellt, und Dettmann dreht den Spieß um. Die „Gräfin“ wird zum Opfer. 1:0 für Dettmann, er kann die Bande enttarnen.
Der tapfere Polizist kann in den Jahren darauf noch mehrere Erfolge verbuchen, doch seine unkonventionellen Ermittlungsmethoden stoßen bei Vorgesetzten nicht auf Gegenliebe, er wird nie über den Rang eines Polizeioberwachtmeisters hinauskommen.
Als es ihm gelungen ist, den berüchtigten Einbrecher Emil Strauß dingfest zu machen, passiert etwas sehr Ungewöhnliches. Strauß und Dettmann, immerhin der Mann, der ihn hinter Gitter gebracht hat, befreunden sich. Nach der Arbeit eilt Dettmann fast täglich in Strauß’ Zelle, versorgt ihn unter anderem mit Lektüre und wird zunehmend zu einer Art Vaterersatz. Strauß hat während der Haft Gott entdeckt, bereut seine Taten und will ein besserer Mensch werden. Dettmann will schließlich sogar die Begnadigung für ihn erwirken, doch dazu kommt es nicht mehr: Der Kriminaloberwachtmeister verstirbt an den Folgen eines Nervenleidens, 1926 ist er deswegen bereits frühzeitig in Rente gegangen. Hinterlassen hat er ein Drehbuch zu dem Film „Der Liebe Lust und Leid (Kellerkavaliere)“ unter der Regie von Kurt Gerron, in dem er selber einen Kurzauftritt als Kommissar hatte. Bei seiner Beerdigung wird es voll auf dem Friedhof: ungezählte Verbrecher wollen Albert Dettmann die letzte Ehre erweisen, dem Potsdamer, der die Berliner Verbrecherwelt aufmischte.

Albert Dettmann erscheint gelegentlich in den lange vergriffen gewesenen Memoiren des berühmten Strafverteidigers Prof. Dr. Dr. Erich Frey. Unter dem Titel „Ich beantrage Freispruch“ sind Freys Erinnerungen im Berliner Elsengold-Verlag soeben neu aufgelegt worden.