von Jürgen Leibiger
Sicherung und Wiedererlangung von wirtschaftlicher und technologischer Kompetenz, Wettbewerbsfähigkeit und Industrie-Führerschaft auf nationaler, europäischer und globaler Ebene in allen relevanten Bereichen.“ So lautet das Ziel der von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier jüngst vorgestellten „Nationalen Industriestrategie 2030“. In amerikanisches Trump-Sprech übersetzt: „Make Germany great again.“ Altmaiers Erläuterungen und Interviews dazu sind eine Mischung aus Angst, Wut und Überheblichkeit.
Angst: Die weltwirtschaftliche Bedeutung der Bundesrepublik geht zurück. Wie fast alle „westlichen“ Industrienationen verliert sie Produktionsanteile, Anteile am Welthandel und am Innovationsgeschehen. Das Bruttoinlandsprodukt dieser Länder macht statt 60 Prozent wie zu Beginn dieses Jahrhunderts nur noch 40 Prozent des Welt-Bruttoinlandsprodukts aus; der Anteil der übrigen Welt ist vor allem infolge des Wachstums der BRICS-Staaten entsprechend gestiegen. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt in Kaufkraftparitäten liegt Deutschland nach China, den USA, Indien und Japan heute auf Platz fünf, wird aber, wenn die Wachstumsraten so bleiben wie sie heute sind, 2030 auf Platz 7 und 2050 auf Platz 9 liegen. Auf vielen Gebieten der Hochtechnologie spielt die Musik inzwischen woanders. Deutschland dürfe, so Peter Altmaier wörtlich, den technologischen Wettlauf nicht „verpennen“, sonst werde es zur „verlängerten Werkbank“ anderer Staaten.
Wut: Mit Schaum vor dem Mund weist er auf die Industriepolitik anderer Staaten, vor allem Chinas hin, die sich – wie übrigens Deutschland in seinem Aufholwettlauf im 19. Jahrhundert auch – Wettbewerbsvorteile mittels staatlichen Einflusses, mit öffentlichen Subventionen, mit Lohndumping, mittels der Verletzung geistiger Eigentumsrechte und einer globalen Investitionspolitik verschafften. Paradebeispiel ist immer wieder der Augsburger Roboter-Hersteller Kuka, an dem die chinesische Midea Group inzwischen 95 Prozent der Aktienanteile hält. In Deutschland fand sich kein „weißer Ritter“, der den Aktionären mehr als die Chinesen geboten hätte. Im Hinterkopf mag Altmaier auch gehabt haben, dass die Aktien der 30 Dax-Konzerne inzwischen zu fast 54 Prozent in ausländischem Besitz sind. Er malt geradezu den Teufel an die Wand, würden die „technologische Schlüsselkompetenzen verloren gehen und infolgedessen unsere Stellung in der Weltwirtschaft substanziell beschädigt“.
Überheblichkeit: Für Deutschland wird nichts weniger als die „Industrie-Führerschaft“ in „allen relevanten Bereichen“ gefordert. Dazu werden besonders die neuen, mit den digitalen Technologien und künstlicher Intelligenz verbundenen, martialisch als „game-changer“ bezeichneten Basisinnovationen gezählt. Wer hier den Anschluss verliere, werde vom „rule-maker“ zum „rule-taker“. Offensichtlich meint man im Wirtschaftsministerium, mit dieser Wortwahl auch international auf der Höhe der Zeit zu sein.
Wie soll Deutschland zum „rule-maker“ werden? Zwar werden in dem Strategie-Papier immer wieder die marktwirtschaftlichen Prinzipien eines „freien Wettbewerbs“ betont, aber wenn es aus „übergeordneten politischen Gründen“ erforderlich sei, dürfe der Staat natürlich tätig werden. Subventionen zum Beispiel sind dann „keine Subvention, sondern die Wiederherstellung von Vergleichbarkeit im Wettbewerb.“ Aha. Mit einem emphatischen „Size matters!“ werden „nationale und europäische Champions“ gefordert, wozu das Beihilfe- und Wettbewerbsrecht einer Anpassung bedürfe. Schließlich sei der relevante Markt nicht mehr auf Deutschland oder Europa beschränkt. Notfalls müssten Zusammenschlüsse auch staatlich gefördert werden, und wo eine ausländische Übernahme drohe, solle der Staat unter Umständen zeitweilig selbst Anteile erwerben, wozu eine „nationale Beteiligungsfazilität“ zu schaffen sei. Man sah Altmaier förmlich das Zähneknirschen an, als er in diesem Zusammenhang auf die Ablehnung der Fusion der Zugsparten von Siemens und Alstom durch die EU-Kommission zu sprechen kam und darauf verwies, dass der chinesische CRRC damit der größte Zughersteller der Welt bliebe. Pflichtgemäß wird zwar auf die Bedeutung kleiner und mittlerer Unternehmen verwiesen, aber was wird für diese übrig bleiben, wenn die Beihilfen vor allem an die „Champions“ fließen?
Natürlich bestehe im Rahmen einer nationalen Industrie-Strategie auch Handlungsbedarf hinsichtlich der Höhe der Unternehmensbesteuerung und der Sozialabgabenquote. Letztere dürfe keinesfalls über 40 Prozent liegen. Das Papier lässt zwar offen, ob es mit diesen 40 Prozent die gesamtwirtschaftliche Abgabenquote (Steuern und Sozialbeiträge, die heute leicht über 40 Prozent im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt betragen) oder die von den Unternehmen zusätzlich zu den Bruttolöhnen zu zahlende Summe aus Kranken-, Pflege- sowie Renten- und Arbeitslosenversicherung, die knapp unter 40 Prozent der Bruttolöhne liegt, meint. Der Kontext ist freilich klar und das Ministerium macht sich damit die jüngsten Forderungen der Arbeitgeberverbände zu Eigen. Und hinsichtlich der Unternehmensbesteuerung hält man es offensichtlich noch immer nicht für ausreichend, dass diese in den letzten zwei Jahrzehnten bereits halbiert wurde.
Das Strategiepapier von Altmaier stieß allerdings keineswegs auf ungeteilte Zustimmung aus dem unternehmerischen und marktliberalen Lager. Dies betrifft zwar nicht – wen wundert es – die Steuer- und Abgabenpolitik, aber die Forderung einer staatlichen Industriepolitik mit Eingriffen in den Wettbewerb rief doch eine Reihe von Ideologen auf den Plan. Reinhard Houben, Wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion entblödete sich nicht, das mit der DDR zu vergleichen, deren Planwirtschaft ja bekanntlich gescheitert sei. Die Konzerne jedenfalls, die auf den im Strategiepapier zu fördernden Gebieten ihr Geld verdienen, werden einen Teufel tun, bei ihren Expansionsbestrebungen auf staatliche Unterstützung zu verzichten. So wie früher Kohle und Stahl, Atom- und Rüstungswirtschaft, Agrarwirtschaft, Verkehrs- und Luftfahrtindustrie und andere staatlich gefördert wurden, so wird das auch im modernen High-Tech-Bereich der Fall sein. Staatsmonopolistischer Kapitalismus eben.
Schlagwörter: BRICS, Deutschland, Hochtechnologie, Industriestrategie, Jürgen Leibiger, Peter Altmaier, Subventionen