von Renate Hoffmann
Tagebücher und Briefe sind der beste Zugang zum Wesen eines Menschen. Wird ein Briefwechsel lebenslang – zum Beispiel durch eine Ehe – geführt, so gewinnt man tiefen Einblick in die Urgründe, die das Leben der Schreibenden bestimmten.
Theodor und Emilie Fontane. Er (1819–1898): gelernter Apotheker, Journalist, Kriegsberichterstatter, Theaterkritiker, Schilderer von Natur, Land und Leuten und Erzähler. Sie (1824–1902), mit dem etwas verqueren Mädchennamen Touanet-Müller-Kummer: Mitarbeiterin ihres schwierigen Mannes, seine Lektorin, Sekretärin, Kopistin (Th. F. erklärte, sie sei die Einzige, die sich im Wirrwarr seiner Vorlagen zurechtfände), Erzieherin der vier überlebenden von insgesamt sieben Kindern, Haushaltsverwalterin und Schutzgöttin ihres Theos vor Störungen beim Arbeiten.
Beide Fontanes mit französischen Wurzeln, beide von instabiler Gesundheit, und beide unermüdlich auf Reisen. Einer hier, der Andere dort, auch manchmal gemeinsam an einem Ort. Das bedingt den regen brieflichen Austausch. Lässt einer der Partner mit Nachrichten auf sich warten, so verbergen sich dahinter Kranksein, Verärgerung oder Überarbeitung. – Sie sind exzellente Briefschreiber. Theodor glänzt mit scharfer Beobachtungsgabe, trefflichem, geistvollem Witz, Spottlust, und er pflegt einen feingeklügelten Stil. Emilie hingegen schreibt klar und ohne Um- und Ausschweife, jedoch in freundlich-diplomatischen Ton gehüllt. Sie kennt ihren Theo und dessen Verletzbarkeit was sein Ego betrifft; auch die zeitweilige Arroganz, anderen und ihr gegenüber.
Theodor an Emilie, Berlin 12. Juni 1878: „Du weißt recht gut, daß ich […] den andern an Wissen, Esprit und Gedanken überlegen bin, und ich verlange, daß man mir dies zugesteht, sonst soll man mich in Ruhe lassen.“ – Th. F. an E., Berlin 15. Juni 1879 (er hatte ihr nahe gelegt, es sei nicht nötig, so oft an ihn zu schreiben): „Wenn ich schon nicht viel Stoff habe, so hast Du natürlich noch weniger. Ausmalungen im Stil Stiffterscher Studien waren nie Deine Sache.“
Sie kannten sich aus Kindertagen. Warteten als Verlobte fünf Jahre auf die Hochzeit, teils aus finanziellen, teils aus dienstlichen und sonstigen Gründen. Einschränkung blieb ihr Begleiter von Jahr zu Jahr. Die journalistischen Angebote waren für Fontane wenig lukrativ und oft nicht von Dauer. Auch kündigte er sie auf, wenn Querelen, Meinungsverschiedenheiten und zunehmend der Drang, eigene schriftstellerische Wege zu gehen, überwogen. – Th. F. über Th. F.: „[…] ein Apotheker, der statt von einer Apotheke von der Dichtkunst leben will, ist so ziemlich das Tollste, was es giebt.“
In schneller Folge stellen sich die Kinder ein. Nach George, dem ersten, kommt Rudolph das zweite. Emilie macht sich Sorgen um Theos Gesundheit, der sich in London aufhält.
E. an Th. F., Liegnitz 4. Mai 1852: „ Vor allen Dingen mein Herz iß ordentlich […] bedenke daß schon wieder ein Wesen mehr auf Dich Anspruch zu machen hat.“ – Th. F. an E., London 6. Sept. 1852: „Also mit Gott N° 2, und wieder ein Junge! […] Daß der ‚Wurm‘ mir ähnlich sein soll, ist wohl nur so, zur Erhöhung der Vaterfreuden, auf gut Glück in die Wagschale geschmissen.“ Und dann – E. an Th. F., Berlin 16. Sept. 1852: „[…] gestern Abend um 7 Uhr hat der liebe Gott unseren kleinen Neugeborenen wieder zu sich genommen, […] Unser Kind wird am Sonnabend Nachmittag beerdigt.“ – Sie ist verzweifelt. Trotzdem tröstet sie ihren Mann: „Ach Theo, verzage nicht es wird schon werden.“
Als das fünfte Kind unterwegs ist, schreibt Theodor seiner Frau, 5. Juli 1856: „Ich wünsche recht sehr, daß Du ein gesundes Kind zur Welt bringst, […] Nur keine elenden Würmerchen; […] Man schreibt mir sonst auf den Grabstein, seine Balladen waren strammer als seine Kinder.“ Der grobe „Märker“ Fontane.
Die Briefe fliegen hin und her. Von London nach Berlin, von dort nach Neuhof bei Liegnitz, aus Ruppin nach Berlin. Sie kommen aus Wriezen, Manchester, Kopenhagen. Dazwischen ein Liebesbrief von Emilie an den Charmeur Theodor, der ihr wahrscheinlich einen solchen geschrieben hat. – E. an Th. F., Neuhof 1. Aug. 1867: „Dein so eben empfangener Brief hat mich ganz berauscht; […] Wie wunderbar doch geschriebene Worte wirken, es war mir als umfaßtest Du mich so liebevoll u. als empfände ich Deine Nähe […] Du hast die alte 42jährige Frau ganz aus der Contenance gebracht.“
Die Korrespondenz wird unvermindert fortgeführt. Briefe treffen ein aus Dobbertin und von Norderney, aus Besançon und Rochefort, auch von der französischen Insel Oléron im Atlantik. Man hatte Fontane fälschlicherweise als Spion in Domrémy, wo er Jeanne d’Arc aufsuchen wollte, verhaftet. – Th. F. an E., Oléron 13./15. Nov. 1870: „Seit vier Tagen bin ich nun hier. Ich habe natürlich täglich das Bedürfniß Dir zu schreiben, aber wie ich vernehme, werden die Briefe nur 2 mal wöchentlich expedirt.“ Trotz großer Unsicherheit und Geldnot bleibt er tätig. „Ich bin doch hier geistig sehr verarmt und halte mich nur durch Arbeit frisch.“ Das Erlebte bringt er zu Papier und Verse. „Die Verse sind alle an Dich gerichtet“ – Was Emilie ihm noch zuschicken soll, notiert er in einem Postskriptum: „Auch vielleicht den Faust, namentlich den Zweiten Teil.“
Beider Briefe erzählen Alltäglichkeiten, Detailtreue inbegriffen. Vom Ei auf Emilies Frühstückstisch in London und Theodors Fang einer Wanze in Wriezen. – Seine Briefe von unterwegs enthalten druckreife Reisebilder, vergnüglich zu lesen. Die Politik Preußens wird angesprochen, nicht eben in Lobeshymnen, samt einem Zipfel des Weltgeschehens. – Höhenflüge und Schieflagen. Und eheliche Spannungen. Während Emilies Abwesenheit gibt Theodor seine Stelle, und damit sein Gehalt, an der Kreuzzeitung auf. Emilie, noch in London, ist empört. – Den 14. und 16. Mai 1870, E. an Th. F.: „Du scheinst ebenso wenig zu fühlen wie beschämend es für mich (ist), daß Du einen so entscheidenden Schritt […] gethan hast, […] ohne mit mir darüber zu berathschlagen.“ Briefe voller Vorwürfe kreuzen sich. Jedoch nach geraumer Zeit werden die Wogen geglättet. Theodor am Ende eines Briefes: „Gesagt ist alles, und immer küssen geht über die menschliche Kraft. Deshalb geht denn heute auch nur ein Kuß in die Heimat.“
Als Fontane späterhin eine Berufung als Sekretär an der Preußischen Kunstakademie – mit festem Gehalt – annimmt und nach drei Monaten sein Entlassungsschreiben einreicht, um frei zu sein, wiederholt sich die Situation. Sie gehen einander aus dem Wege. Die Debatte wird brieflich fortgesetzt. Und klingt ab. Theodor gibt ein Schlusswort, welches Vergangenes und Zukünftiges klärt. – Th. F. an E., 15. Aug. 1876: „Ich erwarte Dich mit alter Liebe, die ich immer für Dich in meinem Herzen habe, auch wenn ich Dir die bittersten Dinge sage, […] Denn die Zuneigung ist etwas Rätselvolles, die mit der Gutheißung dessen, was der andre thut, in keinem notwendigen Zusammenhange steht.“
Die großen Erzählungen und Romane nehmen Gestalt an. Die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ sind abgeschlossen. Wesentliches darüber findet sich nicht in den Briefen. Doch die Kabbelei der Eheleute bleibt. Moniert Emilie nicht nachvollziehbare Konstruktionen in Theos Werken (sie schreibt „Effi Briest“ und den „Stechlin“ ab), pariert er, das hinge mit seinen literarischen Vorzügen zusammen. – Das Geheimnis dieser Gemeinschaft zweier sensibler Menschen, wie die Fontanes, kann wohl nur im „Rätselvollen“ einer tiefen Zuneigung bestanden haben.
Gotthard Erler traf eine vorzügliche Briefauswahl, die den Lebensweg des berühmten Paares auf besondere Art nachzeichnet. Und dem man mit Respekt folgt. Den einzelnen zeitlichen Abschnitten sind Informationen vorangestellt und ein Register häufig genannter Personen ist beigefügt.
Gotthard Erler (Hg.): Emilie & Theodor Fontane. Die Zuneigung ist etwas Rätselvolles. Eine Ehe in Briefen, Aufbau Verlag, Berlin 2018, 320 Seiten, 18,00 Euro.
Schlagwörter: Briefwechsel, Emilie Fontane, Gotthard Erler, Renate Hoffmann, Theodor Fontane