21. Jahrgang | Nummer 24 | 19. November 2018

Rolle rückwärts: über die Erinnerungs- und Geschichtspolitik der AfD

von Christoph Butterwegge, Gudrun Hentges und Gerd Wiegel

Anders als die traditionelle extreme Rechte ist die AfD nicht auf eine Apologie des Nationalsozialismus fixiert. Historische oder geschichtspolitische Debatten spielten für sie bisher keine große Rolle, und anders als beispielsweise die NPD muss sich die AfD nicht in ein Verhältnis zum historischen Faschismus setzen. Dennoch ist die geschichtspolitische Folie der NS-Vergangenheit für die Partei wichtig, geht es ihr doch um die endgültige Überwindung der realen oder auch nur vermeintlichen Einschränkungen deutscher Politik, die aus dieser Vergangenheit resultieren.
Seit nicht mehr zwei miteinander verfeindete Teilstaaten existieren, erscheint Deutschland wieder als politisches Kollektivsubjekt, das „selbstbewusst“ handeln soll und seinen Bürgern mehr Leistungs- bzw. Leidensfähigkeit abverlangen muss. Neue Rechte und Neokonservative popularisierten während der 1990er Jahre das Bild der „Normalisierung“ deutscher Politik. Sie meinten damit eine Vertretung nationaler Interessen, die alle staatlichen Machtmittel zu deren Durchsetzung nutzt und sich nicht durch die historische Erfahrung des NS-Regimes und damit verbundene Vorbehalte eingrenzen lässt. Die Einbindung Deutschlands in internationale Bündnissysteme, die Westbindung und die (bis 1990 vorhandene und dann immer weiter abgebaute) relative militärische Zurückhaltung wurden von rechts als aus der geschichtspolitischen Thematisierung der NS-Vergangenheit rührende Einschränkungen einer souveränen und „selbstbewussten Nation“ gesehen, die es endlich zu überwinden gelte.
Für die AfD ist daher nicht die Thematisierung der NS-Vergangenheit, sondern ihre Dethematisierung ein zentrales Anliegen. So heißt es gleichlautend im Grundsatz- und im Bundestagswahlprogramm 2017 der Partei: „Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.“1
Belegt wurde die angebliche „Verengung der deutschen Erinnerungskultur“ auch in der Parlamentspraxis der AfD an keiner Stelle, vielmehr bleibt sie eine reine Schutzbehauptung für den Versuch, die Geschichte im Sinne der Partei umzuschreiben. Dominante Debatten deutscher Erinnerungskultur wurden in den vergangenen Jahren um das 500. Reformationsjubiläum, den 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges und den 50. Jahrestag von „1968“ geführt. Die Thematisierung der NS-Vergangenheit ist dagegen seit vielen Jahren zur ritualisierten Routine geworden, die kaum noch gesellschaftspolitische Auswirkungen zeigt. Der AfD, die nicht bloß ideologisch, sondern auch parlamentarisch eine völkische Rechte und einen deutschnationalen Flügel in der Partei bedienen muss, reicht diese relative Ruhigstellung im öffentlichen Diskurs jedoch keineswegs aus, weshalb es immer wieder gezielte „Tabubrüche“ zur NS-Vergangenheit gibt.

Wehrmacht und Holocaust

Historische Bezüge spielen für Alexander Gauland, den Bundessprecher und Fraktionsvorsitzenden der AfD, eine wichtige Rolle bei der Begründung der eigenen Politik. Fürst Otto von Bismarck und andere konservative Figuren deutscher Geschichte kommen in seinen Parlamentsreden immer wieder vor. Diese geschichtspolitischen Bezüge sind für Gauland mehr als historische Reminiszenzen, nämlich Leitlinien einer (Außen-)Politik, die sich nach seiner Überzeugung in ihrer Funktionsweise der Interessen- und Machtpolitik nicht grundsätzlich von der heutigen unterscheidet. In seiner Erwiderung auf die erste Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der 19. Wahlperiode zitierte Gauland am 21. März 2018 den „Eisernen Kanzler“ und fügte hinzu: „Es hat sich in der Außenpolitik seit den Tagen Bismarcks nicht so viel geändert, und deswegen kann man sehr gut daran erinnern.“2
Ganz anders verhält es sich nach Gaulands Überzeugung aber mit der NS-Vergangenheit. Sie „betrifft unsere Identität heute nicht mehr“, behauptete Gauland beim Kyffhäuser-Treffen des rechten Parteiflügels der AfD am 2. September 2017. Man dürfe diese „zwölf Jahre“ Deutschland heute nicht mehr vorhalten. So wie im AfD-Grundsatzprogramm gefordert, soll nur noch positive und zur Identifikation geeignete deutsche Geschichte aktiv tradiert werden. Folgerichtig beharrte Gauland bei derselben Veranstaltung auf dem Recht, „uns unsere Vergangenheit zurückzuholen“, womit auch die Deutungshoheit über die NS-Vergangenheit gemeint war, die eben nicht mehr nur in Abgrenzung und Ablehnung zu betrachten sei.
Man habe vielmehr das Recht, darauf sowie auf die „Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“ stolz zu sein.3 Dass damit auch die Wehrmacht gemeint war, wurde von Gauland mehrfach bestätigt, ohne dass er ausführte, an welche konkreten Leistungen der Streitkräfte im nationalsozialistischen Deutschland er dabei dachte. Wie wenige andere Themen lässt sich die NS-Vergangenheit für den gezielten Tabubruch und eine kalkulierte Skandalisierung nutzen. Gaulands Behauptung auf dem Bundeskongress der Jungen Alternative im thüringischen Seebach am 2. Juni 2018, „Hitler und die Nazis“ seien „nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ gewesen,4 erfüllte genau diese Funktion der gezielten Provokation. Inhaltlich ging es nicht um die Leugnung von NS-Verbrechen, sondern um die Bagatellisierung von deren Bedeutung für die Gegenwart. Der Schlag ins Gesicht der Opfer der NS-Vernichtungspolitik wird dabei gern in Kauf genommen, denn für Gauland und seine Gesinnungsfreunde verkörpern sie noch immer einen moralischen Vorwurf gegen Deutschland. Entgegen Gaulands Beteuerungen, er habe die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht verharmlosen und deren Opfer nicht verhöhnen wollen, ging es ihm aber wohl genau darum. Insofern liegt diese Formulierung auf einer Linie mit einer berühmt-berüchtigten Äußerung Jean-Marie Le Pens. Der damalige Vorsitzende des Front National hat die Gaskammern der Nazis 1987 und danach wiederholt als „Detail in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges“ bezeichnet. Marine Le Pen, die ihr Bemühen sabotiert wähnte, den Front National zu „entdämonisieren“ und den Vorwurf des Antisemitismus zu entkräften, warf ihren Vater, der seinerzeit FN-Ehrenvorsitzender war, im August 2015 aus der Partei. Alexander Gauland, der dies gewusst und Jean-Marie Le Pens skandalöse Äußerung gekannt haben dürfte, als er seine Rede vorbereitete, droht indes kein damit vergleichbarer Abschied.
Unbestimmtheit ist ein Wesenszug der NS-Relativierung, denn es geht den Protagonisten solcher Äußerungen nicht um die konkrete Bewertung von historischen Vorgängen, sondern um ein Zeichen an ihr Publikum, das die Äußerung schon einzuordnen weiß. Björn Höcke führte das Changieren zwischen Eindeutigkeit und Unbestimmtheit exemplarisch in einer am 17. Januar 2017 in Dresden gehaltenen Rede vor, die hohe Wellen schlug und ihm auch parteiintern Probleme bereiten sollte. Mit Blick auf den deutschen Umgang mit der NS-Vergangenheit sprach er davon, dass „unsere Geistesverfassung, unser Gemütszustand, immer noch der eines total besiegten Volkes“ sei. Höcke machte dies daran fest, dass die Deutschen „das einzige Volk der Welt“ seien, „das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“.5 Die „Vergangenheitsbewältigung“ lähme ein Volk, weshalb es einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ bedürfe. In der immanenten Logik der Rede war klar, dass es das Berliner Holocaustmahnmal nach Höcke nicht geben dürfte und das Denkmal die Schande sei, die den beklagten deutschen Gemütszustand perpetuiere. Später wollte Höcke aber den Holocaust als Schande der Deutschen verstanden wissen. Auch Alexander Gauland bemühte sich im Bundestag um eine Verfälschung von Höckes Aussage, indem er in einem Zwischenruf behauptete, Höcke habe vom „Mahnmal unserer Schande“ gesprochen.6

Parlamentarische Vorstöße

Tabubrüche und Relativierungen der NS-Vergangenheit kommen bei führenden AfD-Politikern selten, aber regelmäßig vor. Wichtiger für die parlamentarische Tätigkeit der Partei im Bund und in den Ländern ist – wie gesagt – die Dethematisierung. Nicht die Umdeutung des Faschismus, sondern sein Verschwinden aus der öffentlichen Erinnerung wird angestrebt. Sehr direkt ging das die Landtagsfraktion der AfD in Baden-Württemberg an. In einem Antrag im Rahmen der Haushaltsberatungen 2017 schlug sie vor, 120.000 Euro als Fördergelder für Gedenkstättenfahrten von Schülern für den Besuch der NS-Gedenkstätte Gurs im benachbarten Frankreich zu streichen. Die AfD begründete ihren Vorschlag damit, Migranten müsse ein positives Bild der deutschen Geschichte vermittelt werden, sowie mit der notwendigen Haushaltskonsolidierung. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Artikel zu dem Vorgang anmerkte, betrugen die Haushaltsüberschüsse in Baden-Württemberg im Jahr 2016 allerdings 3,5 Milliarden Euro.7 Wenig später wurde in einem Änderungsantrag zum Landeshaushalt 2017 im Bereich Jugend und kulturelle Angelegenheiten, bei dem es ebenfalls um Zuschüsse für Fahrten zu NS-Gedenkstätten ging, gefordert, die Wörter „Gedenkstätten nationalsozialistischen Unrechts“ durch die Wörter „bedeutsame Stätten der deutschen Geschichte“ zu ersetzen. Als Begründung gab die AfD-Fraktion an: „Eine einseitige Konzentration auf zwölf Jahre nationalsozialistischen Unrechts ist abzulehnen.“8
Häufiger nutzt die AfD jedoch die historische Umdeutung, wobei es weniger um die Leugnung oder Relativierung von NS-Verbrechen geht, sondern vielmehr um die Verlagerung der öffentlichen Erinnerung auf deutsche Opfer und deutsches Leid in dieser Zeit. So brachte die AfD-Fraktion im Magdeburger Landtag im Januar 2018 einen Antrag mit dem Titel „Errichtung einer zentralen Gedenkstätte für die zivilen Opfer der Flächenbombardierung auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt“ ein.9 Im Antrag war von „Terrorangriffe(n)“ und von einer „fortschreitenden Relativierung der Opferzahlen“ die Rede. Das Mahnmal sollte „im öffentlichen Raum der Stadt Magdeburg“ entstehen. Jede historische Einordnung des alliierten Luftkrieges in den vom Deutschen Reich begonnenen Zweiten Weltkrieg fehlte im Antrag. Die Frage von Aggressor und Verteidiger spielte genauso wenig eine Rolle wie die von deutscher Seite durchgeführten Bombardierungen europäischer Städte. Nicht zufällig griff der AfD-Antrag eine Debatte zum Thema „Bombenkrieg gegen deutsche Städte“ auf, die in Sachsen-Anhalt vor allem von der NPD über Jahre geführt wurde und in Versuchen jährlicher Naziaufmärsche zur Erinnerung an einen Großangriff auf Magdeburg mündete. Auch war es die NPD, die von einer „Relativierung der Opferzahlen“ sprach und die heute von Wissenschaftlern genannte Zahl von ca. 2.000 Opfern auf 16.000 hochrechnete. Ganz offensichtlich hat sich die AfD-Fraktion in Sachsen-Anhalt diese Positionen zu eigen gemacht.
Die Bundestagsfraktion der AfD hat bisher nur wenige Initiativen im Bereich der Geschichts- und Erinnerungspolitik gestartet. Allerdings fielen einzelne Abgeordnete schon im Vorfeld ihres Einzugs in das Parlament mit geschichtsrevisionistischen Äußerungen auf. So hatte der Abgeordnete Wilhelm von Gottberg den Holocaust als „Mythos“ und als „wirksames Instrument zur Kriminalisierung der Deutschen und ihrer Geschichte“ bezeichnet.10 Mit Blick auf das hohe Alter von Gottbergs hatte der 18. Bundestag extra die Regelungen zur Alterspräsidentschaft geändert. Seither hält nicht mehr der älteste, sondern der dienstälteste Abgeordnete die Eröffnungsrede. Dies war Wolfgang Schäuble statt von Gottberg im Falle des 19. Bundestages.
Der im September 2017 in den Bundestag gewählte sächsische AfD-Politiker Jens Maier war vor Höcke Redner bei der oben erwähnten Veranstaltung in Dresden. Er sprach hier bezogen auf die NS-Vergangenheit von einer „dämlichen Bewältigungspolitik“ und forderte eine „erinnerungspolitische Wende“. In einem pathetischen Ton erklärte Maier „diesen Schuldkult für beendet, für endgültig beendet“.11 Auch anlässlich der Gedenkstunde des Bundestages am 27. Januar 2018 (Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus) gerieten Abgeordnete der AfD in den Fokus der Medien. Die Rede der Holocaustüberlebenden Anita Lasker-Wallfisch traf offensichtlich nicht bei allen Fraktionsmitgliedern auf Zustimmung. Zumindest wurden während eines Pressegesprächs Fragen an den bayerischen Abgeordneten Hansjörg Müller gestellt, der sich nach der Rede dieser Zeitzeugin nicht erhoben und auch den Applaus zunächst verweigert hatte. Müller rechtfertigte sein Verhalten gegenüber Medienvertretern mit einer Fundamentalkritik an einem öffentlichen Gedenken, das er als „heuchlerisch“ und „aufgesetzt“ bezeichnete. Frau Lasker-Wallfisch sei Opfer einer Instrumentalisierung in einer „Art Gedenken“ geworden, die er als nicht aufrichtig empfinde.12 Der AfD, das beweist ihre Thematisierung der NS-Vergangenheit in den Parlamenten, geht es jedoch nicht um eine andere, würdigere Form der Erinnerung an den Faschismus, sondern um deren Verbannung aus dem öffentlichen Raum.

Deutsche Zwangsarbeiter

In ihrer ersten Kleinen Anfrage zum Themenkomplex „Zweiter Weltkrieg“ fragte die AfD am 26. Februar 2018 im Bundestag nach der Umsetzung der „Anerkennungsleistung für ehemalige deutsche Zwangsarbeiter“.13 Erst in der 18. Wahlperiode war mit Unterstützung aller Fraktionen eine symbolische Anerkennungsleistung für die sowjetischen Kriegsgefangenen – der nach den europäischen Juden größten Opfergruppe der NS-Vernichtungspolitik – auf den Weg gebracht worden. Komplementär dazu wurde auf Betreiben der CDU/CSU-Fraktion im Rahmen der Verhandlungen für den Bundeshaushalt 2016 auch eine Entschädigung deutscher Zwangsarbeiter ermöglicht. Aufmerksamkeit und Interesse der AfD-Fraktion galten ausschließlich den deutschen Opfern des Zweiten Weltkrieges, wohingegen die Opfer der NS-Politik keine Erwähnung fanden. Ähnlich verhielt es sich bei einer Anfrage, die das Thema „Rückführung deutscher Kunstschätze und Kulturgüter aus Polen, Russland und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion“ behandelte.14 Mit keinem Wort wurde in der Vorbemerkung dazu auf den Kontext der Beschlagnahme deutscher Kulturgüter durch die Sowjetunion bzw. Polen eingegangen. Die deutschen Raubzüge durch den Kulturbesitz der von Wehrmachtssoldaten besetzten Länder und die Zerstörung von Kulturgütern durch Nazideutschland fanden in der Anfrage keine Erwähnung.
Mit einer ganzen Reihe von Kleinen Anfragen nahm sich die AfD der „Kulturpflege“ in den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten in Osteuropa an. In einer quasi einleitenden Anfrage sprach sie die „Umsetzung des Völkerrechts für die deutschsprachige Bevölkerung der böhmischen Länder“ an.15 Hier wurde ganz im Sinne der geschichtsrelativierenden Sicht des „Bundes der Vertriebenen“ – seine langjährige Vorsitzende Erika Steinbach ist nicht umsonst Vorsitzende der paradoxerweise nach dem humanistischen Theologen Desiderius Erasmus von Rotterdam benannten AfD-Parteistiftung – eine Opfererzählung vorgenommen, welche die „Vertreibung“ der deutschen Bevölkerung nach dem 8. Mai 1945 auch nicht ansatzweise in die historische Kausalität einordnet. Mit Bezug auf rechtskonservative Historiker wurde die Vertreibung als „Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bewertet und damit auf eine Stufe mit den Verbrechen Nazideutschlands in diesen Ländern gestellt. Rolle und politische Bedeutung dieser Bevölkerungsteile für die Destabilisierung und Besetzung etwa der Tschechoslowakei blieben ebenfalls unerwähnt. In weiteren Anfragen erkundigte sich die AfD-Fraktion nach der vom Bund geförderten Kulturarbeit in Schlesien, Oberschlesien, Pommern, Ostbrandenburg, Westpreußen, dem Posener Land, Mittelpolen, Wolhynien, Galizien, Siebenbürgen, Bessarabien, der Bukowina, der Dobrudscha, Maramuresch, Moldau, der Walachei, Ostpreußen, dem historischen Baltikum und den Siedlungsgebieten der Russlanddeutschen. Im Zusammenhang mit der in Anfragen der AfD vorgenommenen Klassifizierung „Völkermord“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ für das Geschehen in der Tschechoslowakei könnte der Gedanke aufkommen, die AfD hege territoriale Revisionsgedanken bezüglich ganz Osteuropas. Vermutlich will sie jedoch nur die Gefühlslage derer treffen, die das bis heute tun.
Abschließend noch ein Beispiel aus Thüringen, wo die AfD-Landtagsfraktion öffentliches Gedenken anders zu besetzen versuchte und in einem Antrag die Einführung eines Gedenktages für die Opfer des islamistischen Terrorismus vorschlug.16 Während die öffentliche Erinnerung an die Naziverbrechen von der AfD zum Verschwinden gebracht werden soll, will diese ein Gedenken an das von ihr propagierte neue kollektive Feindbild des Islam bzw. des Islamismus etablieren.

Reaktionen

Der AfD-Abgeordnete Wolfgang Gedeon trat im Juli 2016 nach einem heftigen Konflikt aufgrund seiner antisemitischen Äußerungen aus der Landtagsfraktion in Baden-Württemberg aus. Dennoch kann er bis heute Mitglied der Partei bleiben, wie das Landesschiedsgericht im Januar 2018 bestätigte. Nur wenige Wochen später machte Gedeon erneut auf sich aufmerksam, als er dazu aufforderte, die „Stolperstein“-Aktion, mit der in vielen deutschen Städten an die Verfolgung und Deportation der jüdischen Bevölkerung im Straßenbild erinnert wird, einzustellen. Gedeon sieht in der Aktion den Versuch der Initiatoren, Deutschland „eine bestimmte Erinnerungskultur aufzuzwingen“, die er ablehnt.17 Sehr deutlich reagierte darauf Christoph Heubner, Vizepräsident des Auschwitz-Komitees: „Die AfD bekämpft immer brachialer und skrupelloser, was die Überlebenden von Auschwitz als Zeitzeugen in der deutschen Gesellschaft bewirkt haben.“18 Heubner wertete Jargon und Inhalte der „schäbigen Botschaften“ als persönliche Angriffe. Sie seien ein Versuch, die Überlebenden und ihre Erinnerungen aus der Gesellschaft zu drängen.
Seitens der Gedenkstätten und Opferverbände gibt es offenbar wenig Bereitschaft, der AfD ihre geschichtsrevisionistischen Vorstöße durchgehen zu lassen. Schon im Januar 2017, gleich nach seiner Rede im Dresden, wurde Björn Höcke von der Leitung der Gedenkstätte Buchenwald anlässlich des Gedenktages am 27. Januar zur unerwünschten Person erklärt, der man für diesen Tag Hausverbot erteilte. Später führte der Protest von Holocaustüberlebenden aus aller Welt gegen die Aufnahme eines AfD-Abgeordneten in den Stiftungsrat der Gedenkstätte Bergen-Belsen zur Änderung des Gedenkstättengesetzes durch alle übrigen Fraktionen des niedersächsischen Landtages, mit der die Zahl der Landtagsvertreter auf vier reduziert wurde – wodurch die AfD außen vor blieb. Ohne Zweifel ist eine solche Einschränkung demokratisch-parlamentarischer Rechte nicht unproblematisch, und wie zu erwarten war, hat die AfD-Fraktion in Niedersachsen dagegen geklagt. Bei der Abwägung, entweder die AfD in die von ihr so sehr geliebte Opferrolle zu bringen oder den Überlebenden die Konfrontation mit einer Fraktion zuzumuten, die Geschichtsrevisionisten in ihren Reihen duldet, hat man sich für eine Lösung im Sinne der NS-Opfer entschieden. So weigerte sich auch die Linksfraktion im Bundestag im Frühjahr 2018 mit Verweis auf die AfD, einen gemeinsamen Personalvorschlag mit Vertreten aller Fraktionen zur Besetzung des Kuratoriums der Gedenkstätte „Mahnmal für die ermordeten Juden Europas“ einzubringen.

Aus: Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges/Gerd Wiegel (unter Mitarbeit von Georg Gläser): Rechtspopulisten im Parlament. Polemik, Agitation und Propaganda der AfD, Westend-Verlag, Frankfurt a. M. 2018, 256 Seiten, 20,00 Euro.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Autoren und des Verlages.

  1. Programm für Deutschland. Das Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland, beschlossen auf dem Bundesparteitag in Stuttgart am 30.4./1.5.2016; Programm für Deutschland. Wahlprogramm der Alternative für Deutschland für die Wahl zum Deutschen Bundestag am 24.9.2017.
  2. Alexander Gauland, Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll der 22. Sitzung, 21.3.2018, S. 1822.
  3. Die gesamte Rede von Gauland beim Kyffhäuser-Treffen findet sich hier: http://t1p.de/6jp4.
  4. Siehe http://t1p.de/my3z.
  5. Die gesamte Rede: http://t1p.de/u7gv.
  6. Alexander Gauland, Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll der 15. Sitzung, 23.2.2018, S. 1292.
  7. Rüdiger Soldt: „AfD will Geld für NS-Gedenkstätten streichen“, FAZ, 23.1.2017.
  8. Jörg Meuthen: Änderungsantrag zum Entwurf des Staatshaushaltsplans für 2017, Landtag von Baden-Württemberg, Drs. 16/1404-29 v. 28.2.2017.
  9. Errichtung einer zentralen Gedenkstätte für die zivilen Opfer der Flächenbombardierung auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt. Antrag der AfD-Fraktion, Landtag von Sachsen-Anhalt, Drs. 7/2339 v. 17.1.2018.
  10. Wilhelm von Gottberg, zit. n. Christian Bommarius: „Die AfD und der ›Mythos‹ Holocaust“, Frankfurter Rundschau, 16.3.2017.
  11. Jens Maier, zit. n. Christian Jakob: „AfD-Richter in Dresden: Herr Maier erwacht“, taz, 12.9.2017.
  12. Hansjörg Müller, zit. n. Severin Weiland: „Die AfD und das Gedenken an NS-Opfer“, Spiegel Online, 20.2.2018.
  13. Anerkennungsleistung für ehemalige deutsche Zwangsarbeiter. Kleine Anfrage der AfD-Fraktion, BT-Drs. 19/1001 v. 28.2.2018.
  14. Rückführung deutscher Kunstschätze und Kulturgüter aus Polen, Russland und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Kleine Anfrage der AfD-Fraktion, BT-Drs. 19/767 v. 12.2.2018.
  15. Umsetzung des Völkerrechts für die deutschsprachige Bevölkerung der böhmischen Länder. Kleine Anfrage der AfD-Fraktion, BT-Drs. 19/2214 v. 17.5.2018.
  16. Gesetzentwurf der AfD-Fraktion: Drittes Gesetz zur Änderung des Thüringer Feier- und Gedenktagsgesetzes (Gesetz zur Einführung eines Gedenktages für die Opfer des islamistischen Terrorismus), Thüringer Landtag, Drs. 6/3308 v. 18.1.2017.
  17. Abgeordneter Gedeon fordert Ende der Stolperstein-Aktionen, Zeit online, 18.2.2018.
  18. Christoph Heubner, zit. n. „Auschwitz-Komitee kontert AfD-Kritik an Stolpersteinen“, tagesspiegel.de, 19.2.2018.