21. Jahrgang | Nummer 25 | 3. Dezember 2018

Klimt, Friedlaender und Marcks an der Saale hellem Strande

von Joachim Lange

Halle an der Saale bietet im Moment mit „Klimt“ und „Wir machen nach Halle“ gleich zwei hochkarätige Ausstellungen, die man nicht versäumen sollte.
Im Landeskunstmuseum Moritzburg ist die einzige Ausstellung außerhalb Österreichs zum einhundertsten Todesjahr von Gustav Klimt (1862–1918) ein Zuschauermagnet. Grandios inszeniert, mit dem hauseigenen Bildnis der Marie Henneberg aus dem Jahre 1901/02 quasi als Gastgeberin. Sie gehört (seit 1966 als Leihgabe und 1978 angekauft) zu den Stars der Sammlung. Aus einer impressionistisch hingetupften, kaum unterscheidbaren Melange aus Raum, Sessel und Kleid blickt sie so spöttisch wie selbstbewusst auf ihre Betrachter. Ursprünglich zierte das Bild in Wien das Kaminzimmer der Villa Henneberg. In der Ausstellung ist jetzt ein ganzes Kapitel dieser ursprünglichen Umgebung des Bildes gewidmet, das zugleich ein Blick in die Architekturgeschichte der Moderne ist. Die von Josef Hoffmann geplante Künstlerkolonie auf der Hohen Warte in Wien ist dafür nämlich ein Musterbeispiel. Marie Henneberg kann sich jetzt jedenfalls über (für Klimt-Verhältnisse) reichlichen „Verwandtenbesuch“ freuen. Die Schau vereint immerhin zehn (einer überschaubaren Zahl noch existierender und reisefähiger) Gemälde und 63 Zeichnungen von den Anfängen des Malers und Grafikers in den 1880er Jahren bis zu seinem Tod 1918. Dazu hat Halle knapp 30 öffentliche und private Leihgeber aus sieben Nationen, von den USA bis Japan, überzeugen müssen, ihre Werke auszuleihen.
Besonders gerne gesehen: „Eugenia Primavesi“ (1913/1914), die aus dem Toyota Municipal Museum of Art in Japan anreiste. Der „Buchenwald 1“ (1902) hatte es nicht ganz so weit. Er ist in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden daheim. Das nicht vollendete Porträt der Amalie Zuckerkandl (1917/18) aus dem Wiener Belvedere wiederum gewinnt eine dramatische Dimension, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Porträtierte 1895 zum Judentum konvertierte und 1942 von den Nazis deportiert und ermordet wurde. Im Falle Klimt ist der Kampf um die Rückgabe seiner Werke, die ihren jüdischen Besitzern von den Nazis abgepresst worden, an die rechtmäßigen Erben ein längst auch verfilmtes Kapitel für sich. Siehe: „Die Frau in Gold“ von 2015.
Zu Klimt gehören Rezeption und Nachleben seiner Werke auf besondere Weise. Heute ist er eine anerkannte Ikone der beginnenden Moderne, ein Solitär obendrein. Seinen „Skandal“ freilich hatte er in den Anfangsjahren seiner Karriere. 1864 sollte er drei Werke für den Festsaal der Wiener Universität malen. Aber schon seine Studien zu „Philosophie“, „Medizin“ und „Jurisprudenz“ schockierten seine Auftraggeber so, dass es von da ab mit öffentlichen Aufträgen sein Bewenden hatte.
Die Klimt-Schau in der Moritzburg bietet gleichzeitig einen interaktiven Rahmen, ein Spiel mit den Anregungen, die von Klimt bis heute ausgehen. So haben sich Studierende des Studiengangs Modedesign der hiesigen Kunsthochschule auf verschiedene Weise mit Klimts Werk auseinandergesetzt und unter dem Motto „KLIMTtextil“ und „KLIMTdigital“ zu eigenen Arbeiten inspirieren lassen. Moritzburg-Direktor Thomas Bauer-Friedrich ist ein Ausstellungs-Blockbuster gelungen! Allein schon, dass die erforderliche Versicherung der Werke nur mit einer Landesbürgschaft zu bewerkstelligen ist, deutet auf ihren internationalen Rang! Der anhaltende Besucherandrang bestätigt das.

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Im Kunstverein Talstraße, von der Moritzburg aus ein Stück die Saale flussabwärts, erwartet eine zweite Ausstellung, die es ebenfalls in sich hat, den Besucher. Würde man den Weg zwischen beiden Orten mit dem Boot zurücklegen, käme man am Fuße der Burg Giebichenstein (dem urromantischen Bauwerk, das die gleichnamige Kunsthochschule beherbergt) an einem Ausstellungs-Entree vorbei, das sich spektakulärer kaum denken lässt. An der Südseite zieren die Kröllwitzer Saalebrücke seit 1928 zwei riesige Skulpturen von Gerhard Marcks: ein Rind und ein Pferd, die im Wasser waten. Was die beiden eigentlich im Trockenen stehenden Figuren während des großen Hochwassers 2013 tatsächlich taten. Geschickt eingebunden in den gerade anlaufenden Rummel um das 100. Bauhausjubiläum 2019 haben der rührige private Kunstverein und sein Chef Matthias Rataiczyk in einer von Renate Luckner-Bien und Katja Schneider so erhellenden wie sinnlich kuratierten Ausstellung jene sieben Jahre ins Visier genommen, die Gerhard Marcks und seine Künstlerfreundin, die Keramikerin Marguerite Friedlaender, bis 1933 an der Burg zubrachten. Also die Zeit zwischen ihren Bauhausjahren und der Machtübernahme der Nazis. Für die in die USA emigrierende Jüdin und den erst entlassenen und nach seiner „Teilnahme“ an der Ausstellung „Entartete Kunst“ mit Ausstellungsverbot belegten Bildhauer waren das – nach eigener Aussage – die glücklichsten Jahre ihres Lebens.
So wie Marcks den Hallensern (oder mit seinen Stadtmusikanten auch den Bremern) bis heute tagtäglich vor Augen ist, ist es auf ihre Weise auch Friedlaender. Ihre in Halle als erste Töpfermeisterin Deutschlands in dieser Zeit entwickelte Serie der „Halle“-Vasen und fünf Service sind bis heute stilbildend, auch wenn der Name ihre Erfinderin dahinter verschwunden sein mag. In etlichen Vitrinen werden ihre Schöpfungen auf Augenhöhe präsentiert! Nichts von alledem wirkt überholt.
Die mehr als 135 Objekte (15 Plastiken, 69 Keramiken und 51 grafischen Arbeiten) veranschaulichen in ihrer thematischen Gruppierung eine fruchtbare und lebenslange Künstlerfreundschaft. Als sich die beiden für Halle entschieden, war das auch ein Schritt der Verweigerung vor der von Gropius propagierten Einheit von Kunst und Technik. Marcks und Friedlaender beharrten auf der essenziellen Rolle von Handwerk und künstlerischer Individualität gegenüber der Dominanz industrieller Produktion. Jeder auf seine Weise mit seinen Arbeiten. Sie als Leiterin der Töpferei und ab 1930 mit der neu eröffneten Werkstatt für Porzellan. Er als Leiter der Bildhauerklasse und ab 1928 als Direktor der (damals noch Kunstgewerbe-)Schule. Die Ausstellung in Halle glänzt mit Schlüsselwerken der beiden Künstler. Marcks „Thüringer Venus“ (1930) und eine Kollektion von Friedlaenders Halle-Vasen aus der gleichen Zeit begrüßen die Gäste. Den großen Ausstellungsraum teilen sich beide gemeinsam, die übrigen untereinander. Unter den Zeichnungen im Porträt-Zimmer mit einer Kollektion von Porträtbüsten findet sich auch eine Zeichnung des Unternehmers, Mäzens und Marcks-Freundes Felix Weise. Der hatte viele der nach 1933 in Halle verbliebenen Gipsentwürfe von Marcks zwar vor den Nazis retten, aber bei Kriegsende nicht vor Plünderung und Zerstörung bewahren können. Was überlebte holte Marcks 1953 zu sich in den Westen – die dokumentierenden Fotos sind ebenso ein Teil der deutschen Kultur- und Kunstgeschichte, wie das aus heutiger Sicht befremdlich wirkende Beharren eines Künstlers wie Marcks auf seinem Antisemitismus. Der hielt ihn allerdings weder von seiner Künstlerfreundschaft mit Friedlaender ab, noch von seiner Weigerung, jüdische Studenten und Mitarbeiter zu feuern.
Die Stadt Halle hat beim Ringen um den Hauptstadtstatus des Landes Sachsen-Anhalt gegenüber Magdeburg Anfang der 1990er Jahre den Kürzeren gezogen und sich mit dem Titel einer Kulturhauptstadt des Landes abspeisen lassen. Mit diesen beiden Ausstellung füllt sie ihn im Moment höchst überzeugend mit Leben!

Gustav Klimt, Kunstmuseum Moritzburg, Friedemann-Bach-Platz 5, 06108 Halle/Saale, täglich außer Mittwoch 10–18; bis zum 6. Januar 2019 (Katalog).
Wir machen nach Halle. Marguerite Friedlaender und Gerhard Marcks, Kunsthalle „Talstraße“, Talstraße 23, 06120 Halle/Saale, Mo–Fr 14–19 und Sa–So 14–18; bis zum 24. Februar 2019 (Katalog). Im Gerhard-Marcks-Haus in Bremen wird die Ausstellung vom 14. März bis 28. Juli 2019 in modifizierter Form zu sehen sein.