21. Jahrgang | Nummer 21 | 8. Oktober 2018

Antworten

Charles Aznavour, „Le grand Charles“ – Ihnen flogen die Herzen zu, wenn Sie singend vom Leben mit all seinen Schönheiten und all den Leiden erzählten. Und es doch bejahten. Ihre Stimme sei kratzig, verkommen, wurde Ihnen zu Beginn der Karriere von Kritikern gesagt. Welch eine grandiose Fehleinschätzung Ihres Talents und Könnens. Für Sie umso mehr Anlass, um die Liebe des Publikums zu kämpfen – und das mit Erfolg. Sie haben mehr als 1300 Chansons komponiert, viele Millionen Platten verkauft, haben in großen Filmen vor der Kamera gestanden. Zeitlebens haben Sie an den Völkermord in Armenien erinnert, blieben Krieg, Emigration und Politik Ihre Themen. Bis zuletzt sind Sie aufgetreten, ewig scheinende 94 Jahre hatten Sie. Und es sind doch viel zu wenige. Adieu, Charles.

Heiko Müller, stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in NRW – Sie haben um Verständnis dafür gebeten, dass sich die Dortmunder Polizei gegenüber demonstrierenden Nazis jüngst so zurückhaltend verhalten hat. Rechtsextreme seien meist sehr genau informiert, welche Parolen sie skandieren könnten und welche Gesten gerade noch als straffrei gälten, werden Sie zitiert.. Die Polizei habe daher nur wenig Handhabe, um einzugreifen. „Das ist für Polizisten oft schwer zu ertragen, aber wir leben in einem Staat, in dem die Meinungsäußerung einen hohen Stellenwert hat.“ Inwieweit der bei dieser Demo lautstark skandierte Satz „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“ als irgendwie noch statthafte Meinungsäußerung interpretiert werden kann, die ein Einschreiten unnötig gemacht hat, haben Sie leider zu erklären vergessen. Wer eine solch neutrale Polizei hat, braucht sich ganz bestimmt vor nichts zu fürchten; jedenfalls Nazis nicht.

Europäischer Gerichtshof (EuGH), dankenswerter – Wegen des zu nachlässigen Umgangs mit der Autoindustrie ist Deutschland vom höchsten EU-Gericht verurteilt worden. Die Bundesrepublik habe es versäumt, rechtzeitig dafür zu sorgen, dass ein klimaschädliches Treibhausgas in Klimaanlagen von mehr als 133.000 Daimler-Fahrzeugen nicht mehr verwendet wird, lautet Ihr jüngstes Urteil. Da die deutsche Regierung in ihrer Angst vor der Erpressungsmacht der hiesigen Autoindustrie selbige allerhöchstens zu randständigen Zugeständnissen, nie aber zur kompletten Übernahme ihrer durch Betrug geschändeten Verantwortung zu veranlassen mag, brauchte es für die Ächtung dieses Verhaltens nun sogar Ihres Urteils. Schlimm genug. Nicht, dass man mit aller Eurobürokratie glücklich sein dürfte – hier allerdings ist Ihnen für Ihre klaren Worte  ausdrücklich Dank zu sagen. Ob’s was hilft, ist allerdings eine ganze andere Frage.

Ralph Brinkhaus, neuer Unionsfraktionschef – Bei der Wiedervereinigung, so stellen sie 28 Jahre später fest, seien Fehler begangen worden und es fehle an Respekt vor den Leistungen Ostdeutscher. Nun ist, was bezeichnend genug ist, diese banale Feststellung offenbar noch immer geeignet, jemandem in den Etagen der politischen Lufthoheitler Einsichts- und Korrekturfähigkeit positiv zu attestieren. Nur fragen wir uns denn doch: Haben Leute wie Sie tatsächlich fast drei Jahrzehnte dafür gebraucht, um sich zu dieser Erkenntnis durchzuringen? Von Links sind Sie und die Ihren ja permanent auf diese wohl nicht wirklich ungewollten Webfehler der Einheit hingewiesen worden, allerdings folgenlos. Kann es sein, dass Sie sich zu revidieren nun erst bereit sind, wo Ihnen die Vorwürfe der „Abgehängten“ auch öffentlich von Rechts begegnen? Wie auch immer – wir sind gespannt, in welcher Weise sich die Union ganz praktisch zu Ihrer Erkenntnis verhalten wird.

Friedrich Küppersbusch, immer wieder hochzuschätzend Klarsichtiger – „Maaßen hat als Verfassungsschutzpräsident versagt, und statt einer Ablösung liefern Kanzlerin und Innenminister ein Fiasko“, kommentieren Sie in der taz. Und Sie fahren fort: „Prompt prügeln alle auf die SPD ein. Diese Reaktionsgeschichte erzählt von einer Öffentlichkeit, die sich lieber am Opfer Nahles ergötzt, als Mut gegen die Haupttäter aufzubringen. Die SPD hat Redlichkeitsbulimie; sie schlingt mit größtem Anstand und den kotzt sie sich dann auf die Schürze. Damit ist sie ein Gegenentwurf zu den jedes Selbstzweifels enthobenen Egospinnern von Trump bis Seehofer. Die haben immer recht, machen alles falsch und das sind dann die anderen schuld. Wir haben die Wahl.“

Pressegrosso, Monopolist für die Auslieferung von Zeitschriften – Ihre Anwälte haben die Auslieferung der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift konkret verboten. Die Begründung bezieht sich auf das Coverfoto, das einen Anzugträger (ohne dazugehörigen Kopf und somit entpersonalisiert) zeigt, dessen Krawatte mit vielen kleinen Hakenkreuzen bestückt ist. Dieses Bild illustriert das Hauptthema des Heftes, das nebenstehend genannt wird: „Deutschlands Nazis. Die Schläfer erwachen“.
Nun ließe sich mit gutem Willen vermuten, dass Sie das als unzulässige Provokation gegenüber Alexander Gauland be- und verklagen, der unschwer erkennbar die Vorlage des bearbeiteten Fotos hergegeben hat. Aber nein: Ihr „Argument” ist ein anderes, und zwar eines, das im Kontext mit dem, was um uns herum geschieht, mehr als nur absurd ist: „Der Gebrauch des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation verstößt gegen § 86a StGB. Für den nicht politisch bewanderten, das Magazin nicht kennenden Beobachter ist nicht auf Anhieb eine eindeutige Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zu erkennen.“
Nun haben Sie Ihr Verbot zwar wieder zurückgezogen, und überlassen es dem Händler, ob er das Heft anbietet, indes verbleibt doch eine gewisse Verunsicherung über Ihr „juristisches“ Gebaren: Wundert es Sie sehr, wenn wir uns fragen, wen Sie hier eigentlich vertreten?

Michael Spreng, vormalig Chefredakteur der Bild am Sonntag – In Ihren heutigen Augen „zersetzt“ Bild „systematisch den Respekt vor den Institutionen und Repräsentanten des Staates und delegitimiert die liberale deutsche Demokratie. Damit mache sich Springers Massenblatt „freiwillig oder unfreiwillig zur Vorfeldorganisation der AfD“ und beschere ihr weiteren Zulauf, stellen Sie in Ihrem Blog Sprengsatz fest. Wenn sich Politik dann auch noch an der Berichterstattung orientiere, verstärke das noch einmal die negative Wirkung, resümieren Sie nüchtern. Die „Achse der Bundesrepublik“ werde so nach rechts verschoben. Pro domo gewonnene Erkenntnisse haben doch sehr etwas für sich.

Die Anstalt, einzigartige – In Ihrer jüngsten Ausgabe vom 25. September hieß es unter anderem, es werde ein Standort für neues Zentrum des Verfassungsschutzes gesucht. Dem Vernehmen nach käme der Obersalzberg infrage. Man könne ja das Wort Verfassungsschutz ohne „ss“ auch gar nicht schreiben.
Das ist zwar die Härte, aber deswegen schalten wir Sie doch immer wieder ein: weil Ihre Protagonisten häufig die fleischgewordene Political Incorrectness sind.
So auch dieses Mal Carolin Kebekus im Hinblick auf Jens Spahn, den Bundesgesundheitsminister, der im vergangenen Jahr die „Pille danach“ ohne Rezept mit der Bemerkung abgelehnt hatte, das seien schließlich keine Smarties: „Also Jens Spahn ist eh der beste: Mann, schwul und sagt mir als Frau, wie ich mich mit meiner Sexualität zu verhalten habe. Das ist ja so, als würde mir ein blinder Veganer erklären, wie mein Mettbrötchen auszusehen hat.“
Und für alle, die am 25. September nicht live dabei waren – die Mediathek des ZDF bietet Abhilfe.

Ursula von der Leyen, nun auch noch Schwelbrandgeschädigte – Angesichts nicht abreißender Tatarenmeldungen ob der katastrophal niedrigen Einsatzbereitschaft der Großwaffensysteme der Bundeswehr muss es schon als außerordentlich tragische Verkettung unseliger Umstände gelten, dass ausgerechnet ein Kampfhubschrauber der Bundeswehr am 3. September in der Lage war, sich in die Luft zu erheben, Strecke zu machen und über dem Moorgebiet „Tinner Dose“, das sich inmitten eines Übungsschießplatzes des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr nahe Meppen befindet, ein paar Raketen abzufeuern, die dann zu allem Überfluss auch noch explodierten.
Und das Moor in Brand steckten.
Bis dahin hatte die Truppe einfach kein Glück. Doch dann kam noch Pech dazu: Die BuWe war nicht imstande, den Brand zu löschen.
Damit aber nicht genug: Verantwortungslosigkeit, Ignoranz oder schlicht Dummheit sorgten dafür, dass der Vorfall nicht an die zivile Feuerwehr weitergemeldet wurde und der Brand sich daher auf acht bis zwölf Quadratkilometer ausweiten konnte.
Drei Wochen später, nachdem bereits eine halbe Million Tonnen CO2 in die Atmosphäre geblasen worden waren, von Ihnen dieses, mit Verlaub, arschlahme Statement: „Wir werden die Fehler, die wir hier gemacht haben, aufarbeiten.“
Wie wäre es denn mal mit einer griffigen Selbstverpflichtung? Zum Beispiel: „Ich, Ursula von der Leyen, verzichte zum partiellen Ausgleich der eingetretenen Umweltschäden fürderhin und lebenslang auf jegliche weitere Nutzung von Luftfahrzeugen!“
Das wäre zwar, obwohl Sie Vielfliegerin sind, aufs große Ganze gesehen auch nur ein Fliegenschiss, aber doch wenigstens mal ein Schritt in die richtige Richtung …

Donald Trump, Sensibelchen – Bei einer Wahlkampfveranstaltung im US-Bundesstaat West Virginia haben Sie Ihr Innerstes nach außen gekehrt und schonungslos Ihr im Grunde weites und weiches Herz geoffenbart. Auf die seinerzeitigen Gespräche mit Nordkoreas Gott Kim Jong Un eingehend, berichteten Sie über deren Anfang: „Ich war knallhart, er auch, und zwischen uns ging es hin und her.“. Aber dann geschah, was wirklich nur in Fällen großer und tief verinnerlichter Zuneigung geschieht und wovon die Welkt nun besänftigende Kenntnis hat: „Und dann haben wir uns verliebt. Okay? Nein, wirklich.“ „Er schrieb mir wunderschöne Briefe, es waren großartige Briefe.“ Über Ihre beabsichtigte Trennung von Melanie und eine zu erwartende Verlobung mit dem Abziehbild eines Dressman haben Sie in West Virgina indes noch Stillschweigen bewahrt. Unsere einzige Sorge nun: Frischverliebte neigen bekanntlich zu irrationalen Handlungen. Hoffentlich bleiben Sie gegen solche auch weiterhin so gefeit wie bisher.

Karsten Krampitz, Historiker und Schriftsteller – Per Artikel im freitag widmen Sie sich der Entlassung Hubertus Knabes von seinem Posten als Leiter der Stasi-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen. Dabei weisen Sie auch auf Knabes ausgewiesen umstrittenes Geschichtsverständnis hin, hatte dieser doch in einem Buch einen Hans Globke zum „entschiedenen Gegner des Nationalsozialismus“ erklärt. Darauf muss man – zumal als Historiker – erst mal kommen. „Hubertus Knabe ist Geschichte – gerade für einen Historiker ein bitterer Vorgang“, stellen Sie fest. Sicher, immerhin aber doch kein sehr ungerechter.

Lenin, süffisanter – „Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas, wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!“ – So haben Sie sich dereinst über deutsche Revolutionäre lustig gemacht, wiewohl Sie in der Hoffnung auf einen umstürzlerischen Flächenbrand zumindest in Europa andererseits fest auf sie gebaut hatten. Seltsamer Weise läuft es heute spiegelverkehrt, jedenfalls, wenn man das Geschehen am Hambacher Forst verfolgt. Diesmal indes die Behörden, die die gegen ihre Entscheidungen Aufbegehrenden zum Kauf von Bahnsteigkarten zwingen – das Verbot von Baumhäusern wegen fehlenden Brandschutzes ist dafür ein Beispiel, das wohl auch Sie, Wladimir Iljitsch, heftig erheitert hätte.