von Petra Erler
Die New York Times (NYT) ist seit 2015 Partei im politischen Kampf gegen Donald Trump. Nicht verwunderlich daher, dass sie dem ehemaligen CIA-Chef John Brennan in dessen Auseinandersetzung mit Trump beigesprungen ist. Sie bot ihm Platz für den Kommentar „Trumps Behauptung, es hätte keine Absprachen mit Russland gegeben, ist Unsinn.“ Man sollte ihn gelesen haben.
Brennan berichtet da von einem Telefonat mit seinem russischen Gegenspieler im Sommer 2016. Er habe sein Gegenüber vor einer Wahleinmischung gewarnt. Der Russe habe den Verdacht mit gespielter Ernsthaftigkeit weit von sich gewiesen. Da habe er gewusst, dass er lüge. Brennan schreibt nicht, er habe den russischen Geheimdienstchef mit Beweisen russischer Wahlkampfeinmischung konfrontiert. Er habe gewarnt, der andere habe abgestritten. Für Brennan war die Schuldfrage geklärt.
Hat man als Geheimdienstchef ein intuitives Wissen über Lügen und Intrigen des Gegners? Kann ein Lügner einen anderen Lügner vielleicht leichter erkennen? Von Brennan wissen wir, dass er die Öffentlichkeit belogen hat. „Vorsichtshalber“ hatte die CIA die Arbeit des Parlaments zur Aufklärung der CIA-Folter und der Verwahrpraxis für potenzielle Terroristen bespitzelt. Erst stritt Brennan das ab. Als es aufflog, entschuldigte er sich. Aber vielleicht kann der Chef eines Geheimdienstes, zu dessen Repertoire Wahleinmischung und Komplotte gehören, von Amts wegen nicht glauben, der Gegner mache das nicht.
Brennan geht in dem Artikel noch weiter. Er erklärt, dass eine Demokratie (mit ihrer liberalen Debattenkultur – P.E.) viele Angriffspunkte für den Gegner biete. Jeder könne deshalb wissentlich oder unwissentlich zum Helfershelfer des Kremls werden. Er habe darüber oft mit James Comey, dem früheren FBI-Chef, gesprochen.
Dass Brennan und Comey so besorgt waren, heißt implizit, dass beide sozusagen berufsbedingt nicht zu Opfern russischer Geheimdienstmanipulationen werden können. Beim Volk, bei Politikern, Medien, Think Tanks ist das ganz anders. Die sind anfällig. Ergo, wer nicht warnt, ist schon im Boot des Kremls. Muss man sich jetzt um die Washington Post sorgen, die allen Ernstes über „Schläferzellen“ im Weißen Haus titelte und damit nicht russische Agenten meinte, sondern USA-Bürger, die gegen Trump arbeiten würden. Oder um die NYT, die es einem anonymen Kommentator erlaubte, vom geheimen Widerstand gegen Trump zu berichten, der so lange andauern werde, bis dieser Präsident Geschichte sei, „auf die eine oder andere Weise“? Steckten etwa die Russen dahinter?
Denn falls der Gegner so perfide ist, wie Brennan behauptet, sollte man tief graben. Was, wenn die ganze Russenjagd in den USA eine Erfindung der Russen ist, die darauf spekulierten, dass dies die USA spalten und die Debattenkultur auf einen Tiefpunkt bringen würde? Ein paranoider Gedanke.
Unübersehbar ist, dass die Hysterie um die vermutete russische Wahlbeeinflussung den Konflikt zwischen zwei Nuklearmächten weiter auf die Spitze treibt – bei kühler Betrachtung ein völlig irrationales Unterfangen. Zudem hat die Mehrheit der US-Amerikaner (und nicht nur der) ganz andere Sorgen, wie Umfragen belegen. Keine einzige Anklage des Muller-Teams enthielt bisher den Vorwurf oder gar den Nachweis, die Russen hätten das Wahlergebnis tatsächlich beeinflusst.
In den USA herrscht heute eine tiefe Zerrissenheit darüber, was wahr ist und was nicht, ob man Medien trauen kann oder nicht. Die Fairness-Regelung, die Radio- und Fernsehbetreiber zu ausgewogener Berichterstattung verpflichtete, ist parteipolitischen Interessen zum Opfer gefallen.
Tatsächlich geht in den USA-Medien – und damit auch in europäischen – der Präsidentschaftswahlkampf 2016 unaufhörlich weiter. Fakten spielen so gut wie keine Rolle. Schon im Wahlkampf waren maximal 12 Prozent aller Beiträge der wichtigsten Medien des Landes auf die Positionen der Kandidaten zu Sachfragen konzentriert. Das ergab eine Studie des Shorenstein Centers. Die Medien folgten schlicht der in den letzten 30 Jahren entwickelten Rezeptur der Skandalisierung. Der Skandal, so das Shorenstein Center, wird zum großen Gleichmacher, in dem alle Bewertungsmaßstäbe und das öffentliche Vertrauen in alles und jeden zugrunde gehen. Aber er füllt Kassen.
Bereits im Wahlkampf 2015/16 sicherten sich einflussreiche Medien mit negativer Trump-Berichterstattung neue Einnahmen. Unbezahlte mediale Aufmerksamkeit im Wert von 5,6 Milliarden Dollar befeuerte die Trump-Kampagne sozusagen nonstop. Trumps gesamte Wahlkampfstrategie war darauf ausgerichtet. Je mehr gegen ihn geschossen wurde, umso besser. Nur die Zeitung Politico hatte das verstanden, als sie erklärte, sich nicht an der Initiative des Boston Globe gegen Trump zu beteiligen. Auch zwei Jahre nach den Wahlen sind Präsident und Medien engstens verbandelt und im Dauerkrieg. Trump kann sich darauf verlassen, dass das mediale Dauerfeuer seine Zustimmungswerte steigen lässt. Der Aufschrei wegen des Treffens mit Wladimir Putin katapultierte ihn über die 50-Prozent-Zustimmungsmarge.
Brennans Artikel wirft auch die Frage auf, warum die Öffentlichkeit nicht sofort informiert wurde, als der CIA-Chef 2016 dachte, dass die Russen ihn belügen und sich in die Wahl einmischten. Die Antwort: Alle gingen davon aus, dass Hillary Clinton gewinnen würde. Ihr Wahlsieg sollte unbeschmutzt von russischer Einmischung gefeiert werden. Als sicher galt, dass Hillary gegen Russland mit harter Hand vorgehen würde. Trump dagegen erschien als Risiko-Kandidat, da er für bessere Beziehungen mit Russland warb. Deshalb wurde Vorsorge getroffen, brauchte es „eine Versicherung“, wie der ehemalige FBI-Agent Peter Strzok schrieb, um ihn zu Fall oder gegen Russland in Stellung bringen zu können. Noch ist das ganze Ausmaß dessen, was als „Versicherung“ gegen Trump herhalten sollte, nicht bekannt, aber die öffentlich gewordenen Fakten sind bereits atemberaubend.
In der Anhörung Strzoks, der zu unvorsichtig mit der SMS-Funktion auf dem Diensthandy umging, oder zu verliebt war, kam es am 19. Juli zu einer bemerkenswerten Auseinandersetzung. Der republikanische Abgeordnete Louie Gohmert verwies auf Erkenntnisse des ehemaligen Generalinspektors der Sicherheitsdienste, Chuck McCullough. Demnach hatte man den Clinton-Server untersucht und „Irreguläres“ festgestellt. Strzok und drei weitere FBI-Mitarbeiter seien darüber unterrichtet worden, dass (mit Ausnahme von vier) über 30.000 E-Mails von Hillary Clintons privatem Server an eine ausländische Adresse abgeflossen seien, die nichts mit Russland zu tun hatte. Der ehemalige FBI-Agent konnte sich nicht erinnern. Kritische Mediennachfragen blieben aus.
Was zum nächsten Punkt führt. Der Entzug der Sicherheitsfreigabe für Brennan durch Trump löste Entrüstung aus. Brennans Verdienste wurden in höchsten Tönen gelobt. Ehemalige Kollegen aus dem Sicherheitsapparat erklärten ihre Solidarität. Er solle mundtot gemacht werden, meinten Trump-Kritiker übereinstimmend. Plötzlich spielte medial keine Rolle mehr, dass Brennan die Nummer 4 in der CIA-Hierarchie war, als sie mit ausdrücklicher Billigung der Administration ihr geheimes Folter- und Gefängnisprogramm verfolgte. Auch noch 2014 als CIA-Direktor verteidigte er dieses Programm und schrieb damit die in der Bush-Regierung entwickelte Linie fort, das Vorgehen gegen Terroristen sei nicht an internationale Konventionen gebunden. Die gleiche Philosophie „Aufspüren, Verurteilung und Abschuss“ lag dem Drohnenkrieg Barack Obamas zugrunde, den Trump weiterführt und sogar noch intensivierte. Unter Obama verantwortete Brennan dieses Programm. Als Obama plante, die CIA Folter-Akten öffentlich zu machen und Guantanamo zu schließen, wurde er gewarnt, es sich nicht mit der CIA zu verderben. Dann hätte er keinen Geheimdienst mehr, hieß es laut NYT Magazine vom 4. Januar 2010. Obama verstand den Wink, wandte den Blick von der Vergangenheit ab und blickte „nach vorne“.
Die Causa Brennan kam 2018 erneut auf den Tisch, als die Demokraten gegen die Nominierung von Gina Haspelt als CIA-Chefin Front machen wollten, da sie Chefin des geheimen CIA-Gefängnisses in Thailand war, als dort nachweislich gefoltert wurde. Die Kritiker wurden mit Hinweis auf Brennan kaltgestellt.
Brennan war der schärfste Kritiker des Treffens mit Putin in Helsinki. Dass Trump dort öffentlich an den Mutmaßungen dreier US-Geheimdienste zweifelte, wertete er als „Verrat“ – ein in der Verfassung eindeutig beschriebenes Vergehen, das nur für den Kriegszustand gilt und mit dem Tod bestraft wird. Trump ruderte halbherzig zurück.
Heute ist Brennan beim Nachrichtensender MSNBC als Kommentator engagiert, also Teil der freien Presse, die Obama jüngst gegen Trump verteidigte. Allerdings ging ausgerechnet die Obama-Regierung hart gegen sogenannte Whistleblower vor.
Whistleblower werden regelmäßig verdächtigt, für die Russen zu spionieren. Aber inzwischen sind auch Journalisten, die eine eigene Stimme erheben, eine bedrohte Spezies. Etwa Ed Schultz, bis 2015 bei MSNBC beschäftigt, ein Journalist mit treuer Fan-Gemeinde. Er konzentrierte sich in seiner Show auf die Anliegen von Durchschnittsbürgern. Gewerkschaftsrechte waren ihm wichtig. Korruption und die große Macht der Konzerne prangerte er an. Schultz erklärte im April 2018, er habe die Ankündigung von Bernie Sanders, für die Präsidentschaft zu kandidieren, in seiner Show senden wollen. Das wurde ihm untersagt, wenige Wochen später wurde ihm gekündigt. 2016 heuerte er bei RT America an. Schultz starb im Juli 2018.
Muss man aus dem Beschäftigungsverlauf nach Brennans Logik schließen, dass Schultz womöglich schon immer wissentlich oder unwissentlich Agent des Kremls war? Oder war er ein leidenschaftlicher Journalist, der jemanden einmal zu viel auf die Füße getreten war?
Medien haben es in der Hand, Wahrheit von Lüge zu scheiden, Erfolge zu feiern und Versagen zu brandmarken. Sie entscheiden, wem sie eine Stimme geben, wer ein Held ist, wer als Vorbild taugt. Brennan oder Snowden? Brennan oder Schultz? Die derzeitige mediale Antwort ist verstörend.
Schlagwörter: Donald Trump, Geheimdienste, John Brennan, Medien, Petra Erler, Russland, Wahlmanipulation