21. Jahrgang | Sonderausgabe | 6. August 2018

NSU-Komplex: Urteil in München. Und nun?

von Gabriele Muthesius

„Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland verspreche ich Ihnen:
Wir tun alles, um die Morde aufzuklären
und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken
und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen.
Daran arbeiten alle zuständigen Behörden
in Bund und Ländern mit Hochdruck.“

Angela Merkel
am 23. Februar 2012
gegenüber den Hinterbliebenen
der Opfer der dem NSU angelasteten Morde

Diese Publikation knüpft an die vorangegangenen Veröffentlichungen der Autorin zum NSU-Komplex[1] an. Einzelne Sachverhalte und Vorgänge werden teilweise in verkürzter Form nochmals aufgegriffen; die ausführlicheren Darstellungen und insbesondere die Quellenbelege finden sich jedoch überwiegend in den Erstveröffentlichungen der Autorin dazu im Blättchen.

Die Redaktion

Julia Jüttner, die Prozessbeobachterin des Spiegel, hat den Münchner NSU-Prozess als „historisch“[2] bezeichnet und ihre Kollegin Annette Ramelsberger, Süddeutsche Zeitung, hat ihn mit den drei großen Auschwitzprozessen in den 1960er Jahren in Frankfurt am Main und mit dem RAF-Prozess in Stuttgart-Stammheim in den 1970er Jahren verglichen[3]. Beide Expertinnen dürften Recht haben. Leider auch die Nestorin der bundesdeutschen Gerichtsberichterstattung, Gisela Friedrichsen, Die Welt, wenn sie feststellt, dass dieses Verfahren und die dadurch „gewonnenen Erkenntnisse […] weder bei den Nachrichtendiensten noch den Ermittlern und schon gar nicht in der breiten Bevölkerung die Sensibilität gegenüber rechter Gewalt erhöht [hätten]“[4].
Nun ist – am 11. Juli 2018 – durch den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl „im Namen des Volkes“ das Urteil gegen Beate Zschäpe und ihre vier Mitangeklagten verkündet worden – nach einem reinen Indizienprozess, der fünf Jahre und 437 Verhandlungstage in Anspruch genommen hat, um unter anderem rund 600 Zeugen und Sachverständige zu befragen und eine Akte von aberwitzigen 300.000 Seiten Umfang zu hinterlassen, und nach einem Prozess, in dem 46 Befangenheitsanträge gegen Götzl sowie 263 weitere Anträge gestellt worden sind. Ein „Monsterverfahren“[5] also, das überdies mehr als 60 Millionen Euro verschlungen haben dürfte.
In der Urteilsverkündung fiel bezüglich der Hauptangeklagten der Satz, der alle weiteren Schuldsprüche gegen Zschäpe – wegen versuchten Mordes in 32 Fällen, wegen Körperverletzung in 23 Fällen, wegen der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, wegen Raubes sowie räuberischer Erpressung – überragt: „Schuldig des Mordes in zehn Fällen.“[6] Das bedeutet lebenslänglich. Darüber hinaus wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt, womit eine Freilassung schon nach 15 Jahren ausgeschlossen ist. Bei dieser Schuldzumessung erscheint allenfalls unschlüssig, warum nicht auch auf die von der Anklagebehörde geforderte Anordnung anschließender Sicherungsverwahrung erkannt worden ist.
Die Mitangeklagten erhielten zwischen zehn und zweieinhalb Jahren. Einer von ihnen, Ralf Wohlleben, wurde kurz danach auf freien Fuß gesetzt, weil von der zehnjährigen Haftstrafe, zu der er verurteilt ist, sechs Jahre und acht Monate durch seine Untersuchungshaft als bereits abgebüßt gelten und das Gericht angesichts der geringen Reststrafe keine Fluchtgefahr mehr sah. Den Haftbefehl gegen einen weiteren Mitangeklagten, den sich, wie Wohlleben, ebenfalls offen als Nationalsozialisten bekennenden André Eminger hatte Götzl noch im Gerichtssaal aufgehoben.
Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.
Die Verteidiger Zschäpes haben Revision angekündigt.
Dieser Fall könnte also vor dem Bundesgerichtshof landen.

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Die Kritik an wesentlichen Aspekten des Prozesses ist Legion. Das begann schon damit, dass, woran Annette Ramelsberger, für die Süddeutsche Zeitung langjährige Beobachterin im Gerichtssaal, kürzlich nochmals erinnerte, „das Gericht es abgelehnt hat, das Verfahren auf Tonband aufzunehmen. […] Es gibt kein Gerichtsprotokoll, auch wenn das keiner glauben mag“. Und die Kritik endete mit einem Vorwurf, den Bekir Altaş, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) im Mai 2017 erhoben hatte, noch lange nicht, dass nämlich „die Bundesanwaltschaft […] zu keinem Zeitpunkt auch nur den Anschein erweckt [hat], als ginge es ihr um umfassende Aufklärung des NSU-Komplexes“[7]. Arno Widmann, Berliner Zeitung, resümierte: „Der Prozess hat zu der von Bundeskanzlerin Merkel versprochenen Aufklärung fast nichts beigetragen.“[8]
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Götzl selbst wie auch seine abschließende Urteilsverkündung und seine in Teilen sehr kursorische mündliche Urteilsbegründung („Brosamen“[9]) ebenfalls auf harsche Kritik stießen. Andreas Förster, Berliner Zeitung, der zuvor bereits beobachtet hatte, dass aus dem mit viel Vorschusslorbeeren in den Prozess gestarteten Götzl in dessen Verlauf „ein zunehmend lustlos agierender und manchmal resigniert wirkender Mann geworden [ist]“[10] fasste zusammen: Der „64-jährige Richter enttäuscht die Zuhörer. Kein Wort der Anteilnahme an die Hinterbliebenen der NSU-Opfer, kein Wort über die Auswirkungen der in ihrer Grausamkeit einmaligen Verbrechensserie auf die Gesellschaft, nichts über das mediale und politische Spannungsfeld, in dem sich das Verfahren seit fünf Jahren bewegt“[11]. Und Annette Ramelsberger beschied: „Das Gericht hat eine Chance vertan. Es hätte die Bedeutung des Prozesses für die Gesellschaft deutlich machen können und es hätte das […] auch deutlich machen müssen. Doch Richter Manfred Götzl und sein Senat haben sich lieber in den juristischen Elfenbeinturm zurückgezogen.“[12]

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Zschäpes erstbestellte Pflichtverteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm, mit denen Zschäpe 2013 gebrochen und seither kein Wort mehr gewechselt, stattdessen aber mehrfach erfolglos versucht hatte, ihnen das Mandat zu entziehen[13], plädierten bekanntlich auf Freispruch – und zwar mit einer durch Fakten untersetzten, die wacklige Anklage der Bundesanwaltschaft sezierenden Rechtssicht, die der Münchner Senat jetzt zwar praktisch beiseiteschob, die jedoch im Falle einer zugelassenen Revision wieder aufs Tapet kommen dürfte.[14]
Entgangen ist diesen Anwälten, auf deren Betreiben hin das Gericht nach Abschluss der Plädoyers Ende Juni 2018 nochmals in die Beweisaufnahme eingetreten war, um einen zusätzlichen Brandsachverständigen zu hören, ebenso wie anderen Prozessbeteiligten und -beobachtern allerdings offenbar, dass seit dem zeitigen Frühjahr 2017 grundsätzlich neue Sachverhalte zum NSU-Komplex öffentlich sind – mit weitreichenden Folgen für die Bewertung zahlreicher Geschehen, die mit dem Komplex im Zusammenhang stehen, wie auch unmittelbar für die Anklage der Bundesanwaltschaft.
Am 6. April 2017 und damit zwar möglicherweise zu spät für die unmittelbare Beweisaufnahme in München, die im Juli 2017 mit dem 373. Verhandlungstag beendet werden sollte, erschien die (erweiterte) Taschenbuchausgabe von Wolfgang Schorlaus dokumentarischem Thriller „Die schützende Hand“, in der der Autor und sein Rechercheur, der Wissenschaftsjournalist Ekkehard Sieker, mit einer forensisch schlüssigen Nachweiskette anhand der gerichtsmedizinisch dokumentierten Totenflecken der Leichen der mutmaßlichen NSU-Protagonisten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt darlegen, dass die beiden zum Zeitpunkt ihres angeblichen Selbstmordes und dem anschließenden Auffinden durch die Polizei am Mittag des 4. Novembers 2011 in einem Camper in Eisenach-Stregda bereits wenigstens zwölf Stunden tot gewesen sein müssen.[15] Die Nachweiskette war in zusammengefasster Form auch im Blättchen nachzulesen.[16] Sieker dazu gegenüber der Autorin im Zuge der Erarbeitung des vorliegenden Beitrages: „Natürlich sind Schorlau und ich keine forensischen Experten. Wir haben unsere Recherche und unsere Schlussfolgerungen daher natürlich seinerzeit vor der Veröffentlichung auf Herz und Nieren prüfen lassen. Wir wurden vollständig bestätigt.“
Diese Sachverhalte hätten beim Münchner Prozess ebenfalls noch nach den Plädoyers präsentiert werden können, um einen einschlägigen Sachverständigen wie etwa den Chef eines der führenden deutschen Institute für Rechtsmedizin dazu zu befragen – zum Beispiel Prof. Dr. med. Matthias Graw (Universiät München), Prof. Dr. Michael Tsokos (Charité, Berlin) oder Prof. Dr. med. Klaus Püschel (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf).
Im Falle einer Bestätigung der Darstellung von Schorlau/Sieker wäre eine der zentralen Tathergangsbeschreibungen in der Klageschrift der Bundesanwaltschaft, nämlich jene für den Tatort Stregda, obsolet, besagt diese doch: „Uwe Mundlos erschoss […] Uwe Böhnhardt mit einer Flinte Winchester und legte in dem Wohnmobil Feuer, bevor er sich selbst […] erschoss.“[17]
„Stimmt dieser Tathergang nicht“, so Ekkehard Sieker, „dann haben wir es in Eisenach-Stregda mit einem durch Dritte präparierten, ja inszenierten Tatort zu tun, der eine bestimmte Geschichte[18] erzählen soll – nämlich dass Mundlos und Böhnhardt 27 bis dato unaufgeklärte Verbrechen[19] begangen haben sollen: zehn Morde[20], 15 Raubüberfälle[21] und zwei Bombenattentate[22]. Und dann sind wir, was die Tatort-Inszenierung anbetrifft, nicht etwa beim ‚dritten Mann‘, der anfänglich mal durch den NSU-Komplex waberte[23], sondern bei einer organisierten Struktur mit Manpower, Kompetenz und ausreichenden Ressourcen für derartige Operationen sowie, das zeigen weitere Sachverhalte, bei einer Struktur, die zum Beispiel auch direkte Einflussmöglichkeiten auf die Erstermittlungen in Stregda hatte.“
Er wolle, so Sieker weiter, nicht darüber spekulieren, welche Kräfte mit welchen Zielstellungen eine solche organisierten Struktur geschaffen haben könnten, er wolle aber für den Fall, dass dies in einem Rechtsstaat wie Deutschland grundsätzlich für ausgeschlossen gehalten werde[24], daran erinnern, dass es im Kalten Krieg und zum Teil noch darüber hinaus in zahlreichen westlichen Rechtsstaaten schon einmal mal so eine organisierte Struktur namens Gladio[25] gegeben habe – mit einem Ableger namens Stay-Behind[26] auch in der Bundesrepublik, deren Verstrickung in terroristische Verbrechen in Italien und Belgien aktenkundig sei.

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Tatsächlich lassen sich, legt man eine Tötung von Mundlos und Böhnhardt sowie eine Inszenierung des Tatortes im Camper durch Dritte zugrunde, viele der gravierenden Ungereimtheiten im Kontext des NSU-Komplexes, zu deren Erklärung bisher teils reichlich konstruierte Sondertatbestände, teils befremdliche Verhaltensweisen der Ermittlungskräfte und teils andere wenig überzeugende Begründungen herhalten mussten, auf viel näher liegende, teils natürliche Ursachen zurückführen. Das betrifft mindestens drei Teilkomplexe:

  • den Tod der beiden Uwes und Tatorteigentümlichkeiten im Camper,
  • das Agieren des Ermittlungsleiters Michael Menzel in Stregda und
  • die Spurenlage auf den im Camper sowie im Beräumungsschutt der ausgebrannten Zwickauer Wohnung des Trios sichergestellten Waffen.

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Teilkomplex Leichen und Camper – bei Annahme einer Tötung durch Dritte und einer Inszenierung im Camper lösen sich folgende „Rätsel“:

  • Geklärt wäre, warum die für Suizid mit in den Mund geschobener großkalibriger Schusswaffe (wie für Mundlos behauptet) typischen Spritzmuster im Camper fehlten und dass keinerlei Gewebe- und Hirnteile sowie Schädelknochenfragmente von den beiden Toten asserviert wurden.
    Dies sei auf eine „besenreine“ Säuberung des Campers durch Ermittlungskräfte bereits am 5. November 2011 zurückzuführen, ließ der zweite NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages als Erklärung gelten.[27]
    Wenn jedoch die Toten, was die Positionierung ihrer Totenflecken belegt, erst nach dem irreversiblen Abschluss der Ausbildung dieser Flecken in jene Lage gebracht worden sind, in der sie im Camper aufgefunden wurden, dann kann davon ausgegangen werden, dass die Tötung außerhalb des Campers stattfand und die erwähnten Spritz- und Gewebespuren sowie Knochenfragmente im Camper deswegen fehlen.
    Das wahrscheinlich durch Fern- oder Zeitzündung ausgelöste Brandgeschehen im Camper diente in diesem Falle offenbar der Vertuschung dieses und anderer Sachverhalte.
  • Geklärt wäre auch die völlig unwahrscheinliche offizielle Lesart der Abfolge des Geschehens im Camper.
    Die beiden Streifenpolizisten, die sich am 11.2001 dem Fahrzeug als erste näherten, hörten, wie sie zu Protokoll gaben, zwei Knallgeräusche (aus denen in späteren Ermittlungsunterlagen „drei Schüsse“ wurden) – im Abstand von maximal 20 Sekunden. In diesem Zeitraum hätte Mundlos demnach Böhnhardt erschossen, dann den Brand gelegt und sich anschließend selbst getötet haben müssen.
    Eine solche „Choreographie“ halten Experten für praktisch undurchführbar. Die Zeitspanne ist einfach zu knapp, zumal kein Brandbeschleuniger nachgewiesen wurde.
    Mundlos’ und Böhnhardts Tod zu einem früheren Zeitpunkt sowie die Fremdauslösung des Brandgeschehens (samt Knallgeräuschen) liefern hier eine plausiblere Lösung.
  • Geklärt wäre, warum keinerlei schusshandtypische Schmauchspuren an Mundlosʼ Händen und Bekleidung ermittelt wurden.
    Dass diese komplett durch das Feuer und das Löschwasser des Feuerwehreinsatzes beseitigt sein könnten, haben kritische Beobachter schon lange bezweifelt, zumal keine Brandeinwirkungen an Mundlos’ Händen und der Vorderseite seiner Oberbekleidung vorhanden waren.
  • Geklärt wäre überdies, wieso das Schloss der Pumpgun, die neben und halb unter Mundlos lag und mit der er sich erschossen haben soll, geöffnet und die nach dem Schuss leere Patrone ausgeworfen sein konnte.
    Das muss bei diesem Waffentyp konstruktionsbedingt nach jedem Schuss manuell erfolgen – in diesem Fall also durch Mundlos, dem da durch die Waffeneinwirkung jedoch bereits der größte Teil des Schädels fehlte.[28]
    Waren hingegen dritte Hände im Spiel, läge allenfalls ein Beispiel dafür vor, dass auch professionelle Tatortinszenierer nicht immer fehlerfrei agieren.[29]
  • Geklärt wäre schließlich die Frage, warum Mundlos, der bei Ausbruch des Brandgeschehens noch am Leben gewesen sein, vulgo geatmet haben soll, keine Rußpartikel im Rachen und in den oberen Atemwegen sowie vor allem nicht die zu erwartende Kohlenmonoxidkonzentration im Herzblut aufwies.[30]
    War Mundlos zum Zeitpunkt des Brandes bereits tot, stellt sich die Frage gar nicht.

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Teilkomplex Michael Menzel – Was veranlasst Ekkehard Sieker zu der Annahme, die von ihm so genannte „organisierte Struktur“ habe „auch direkte Einflussmöglichkeiten auf die Erstermittlungen in Eisenach-Stregda“ gehabt? Dazu Sieker selbst: „Der damalige Ermittlungsleiter vor Ort, Michael Menzel, seinerzeit Polizeichef in Gotha und später ins Thüringer Innenministerium aufgestiegen, verfügte nach Aktenlage nachweislich am 4. November 2011 bereits viereinhalb Stunden nach dem Auffinden des Campers über detailliertes Vor-, und das heißt in diesem Falle Täterwissen, denn er informierte schon zwischen 16:30 und 17:00 Uhr telefonisch Kollegen in Baden-Württemberg, dass die Dienstwaffe der in Heilbronn ermordeten Polizistin Michele Kiesewetter gefunden worden sei. Die ist jedoch laut polizeilichem Einsatzverlaufsbericht für den 4. November 2011 überhaupt erst um 23:11 Uhr im Wohnmobil geborgen und anschließend identifiziert worden.[31] Wenn ich Täterwissen sage, will ich im Übrigen Menzel nicht eine unmittelbare Tatbeteiligung unterstellen, sondern darauf aufmerksam machen, dass er laut Ermittlungsunterlagen bereits sehr früh über Informationen verfügte, die er zu diesem Zeitpunkt nur von den Tätern oder deren Umfeld erhalten haben konnte. Menzel war es im Übrigen auch, der die Ermittlungsarbeit in Stregda so steuerte, dass Spuren zerstört und Sachverhalte wie die bereits eingetretene Totenstarre der Leichen nicht zeitnah festgestellt werden konnten. Die erste Leiche wurde dann gegen 18:00 Uhr geborgen – zu einem Zeitpunkt, wo sich über Leichenstarre niemand mehr wundern musste. Menzel ist sein Agieren am Fundort des Campers später als Schlamperei und Unprofessionalität ausgelegt worden, was bei einem Leitenden Beamten, der bereits seit Jahrzehnten Dienst getan hat und aufgestiegen ist, ja auch mal vorkommen kann. Aber in dieser Häufung an jenem 4. November?“
Menzel hantierte ohne Schutzbekleidung und mit einer Harke im Brandschutt des Campers. Unter seiner Zuständigkeit wurde Rettungssanitätern, dem herbeigerufenen Notarzt und zwei Gerichtsmedizinern vor Ort der direkte Zugang zu den Leichen im Camper verwehrt; die gesetzlich vorgeschriebene Leichenschau zur Feststellung der Todesursache und des Todeszeitpunkts fand infolgedessen nicht statt.[32] Menzel unterband das Anfertigen dreidimensionaler Tatortaufnahmen, der sogenannten Spheron-Aufnahmen, am Fundort des Fahrzeuges[33] und veranlasste dessen Verbringung auf das weitgehend ungeschützte Gelände eines privaten Abschleppdienstes, ohne – wiederum völlig regelwidrig – zuvor die Leichen bergen zu lassen.
Rainer Fromm, den Autor der ZDF-Dokumentation „Auf der Spur des rechten Terrors“, die am Abend der Münchner Urteilsverkündung lief, sah sich zu der Frage veranlasst: „Wird der Tatort mutwillig zerstört oder nur aus Schlamperei?“[34] Auch die Vorsitzende der beiden Thüringer NSU-Untersuchungsausschüsse, Dorothea Marx (SPD), hat über Menzels vordergründig unprofessionelles Verhalten schon im Jahre 2016 sinniert, der habe „möglicherweise doch von höherer Stelle gesagt bekommen  […]: Schaff’ das Ding dort mal weg. Das könnte […] sehr schlüssig sein […].“[35]
In der Tat. Und so gesehen hätte Menzel unter Vertuschungsaspekten ziemlich professionell agiert.[36] Allerdings womöglich nicht professionell genug, denn inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Meinigen gegen Menzel Ermittlungsverfahren eingeleitet – „wegen Mordes“ (Aktenzeichen: 227 Js 22943/17)[37] und „wegen Fälschung beweiserheblicher Daten“ (Aktenzeichen: 227 Js 4608/15)[38].[39]

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Teilkomplex Spurenlage Waffen – Ausweislich einer Zusammenstellung des BKA vom 6. Dezember 2011 („Gesamtüberblick über sichergestellte Waffen“) „wurden in den Objekten Wohnmobil, Eisenach und Frühlingsstraße 26 in Zwickau 20 Schusswaffen sichergestellt“[40]. Bereits zu diesem Zeitpunkt waren zu diesen Asservaten „14 Behördengutachten gem. § 256 StPO“[41] erstellt worden. Und dann heißt es: „Fünf Waffen konnten konkreten Straftaten zugeordnet werden

  • Pistole Bruni Mod. 315 Auto – Tatwaffe zum ersten und dritten Mord (an den Kleinunternehmern – G.M.)
  • Pistole Ceska 83, 7.65 mm Browning – Tatwaffe bei allen neun Mordfällen (an den Kleinunternehmern – G.M.)
  • Pistole TOZ, TT3, 7.62 mm Tokarew – erste Tatwaffe zum Polizistenmord in Heilbronn
  • Pistole RADOM VIS Mod. 35, 9 mm Luger – zweite Tatwaffe zum Polizistenmord in Heilbronn
  • Revolver Alfa-PROJ, Modell 3831, Kai. 38 spezial – Tatwaffe zu Schwerem Raub in Zwickau 2006“[42].

Im Camper waren überdies die Dienstwaffen von Michele Kiesewetter und ihres Heilbronner Kollegen asserviert worden.
Auf keiner einzigen der immerhin 20 Waffen fanden sich irgendwelche Fingerabdrücke – weder auf den Gehäusen, noch auf den Patronen in den Magazinen. Ein weiterer „Gesamtüberblick über sichergestellte Waffen“ des BKA vom 23. Dezember 2011 weist auch für die „Pumpgun Winchester 1300 Defender, […] (Selbstmordwaffe Eisenach/TH)“ expressis verbis aus: „keine daktyloskopische[n – G.M.] Spuren an Waffe und Munition“[43].
Dazu vermerkte die BKA-Übersicht vom 06.12.2011 summarisch: „Aufgrund der Hitzeeinwirkung auf die sichergestellten Waffen (auch in der Zwickauer Wohnung hatte es, und zwar weit heftiger als im Camper, gebrannt – G.M.) konnten keine auswertbaren daktyloskopischen Fingerabdruckspuren mehr gesichert werden.“[44]
Fingerabdrücke sind Ablagerungen von Handschweiß, die überwiegend aus Salzen und Fetten bestehen. Diese Verbindung „brennt“ sich bei entsprechender Temperaturerhöhung in geeignete Oberflächen zunächst einmal ein. Sie ist auch wenig wasserlöslich, wie hinzugefügt sei, da die Waffen in Zwickau und im Camper auch den Löschwassereinträgen der Feuerwehr ausgesetzt waren.
Festzuhalten bleibt des Weiteren, dass im Camper die Hitzeeinwirkung auf die Waffen nicht stark und anhaltend genug war, um zu einer Selbstauslösung von Munition zu führen. Ob in Temperaturbereichen unterhalb dieser Schwelle Fingerabdrücke überhaupt beeinträchtigt werden, wäre bei Bedarf zu recherchieren oder experimentell zu klären. Der Spiegel wusste im Zusammenhang mit dem Tod der RAF-Häftlinge in Stuttgart-Stammheim jedenfalls bereits 1977: „Brandstifter-Fingerspuren fand die Kripo schon auf Benzinkanistern, die direkt neben dem Brandherd gestanden hatten und von der Feuerwehr unter Wasser gesetzt worden waren.“[45]
Besonders deutliche daktyloskopische Spuren wären, konstruktionsbedingt, etwa auf der Munition im Magazin der „Selbstmordwaffe Eisenach/TH“ zu erwarten gewesen, weil der Lademechanismus bei Vorderschaftrepetierern dazu zwingt, die Patronen mit dem Daumen hineinzudrücken und zwar mit zunehmender Kraft, je mehr die Feder im Magazin dabei zusammengedrückt wird. Handschuhe trug Mundlos’ Leiche im Übrigen nicht, und es wurden auch keine zum Laden von Waffen geeigneten im Camper asserviert.
Bei einer Inszenierung durch Dritte dürfte allerdings größter Wert darauf gelegt worden sein, durch Fingerabdruckspuren nicht selbst ins Visier von Ermittlern zu geraten.

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Mit allem bisher Ausgeführten ist natürlich noch fast nichts darüber ausgesagt, wie es sich mit den insgesamt 27 Kapitalverbrechen verhält, die dem NSU-Trio von der Bundesanwaltschaft im Münchner Prozess zur Last gelegt worden sind. Aus den hier dargestellten Fakten und Zusammenhängen ergibt sich zwingend nur, dass Mundlos und Böhnhardt den letzten in der Kette ihrer vorgeblichen Raubüberfälle keinesfalls begangen haben können, denn der fand am Morgen des 4. Novembers 2011 statt. Zu diesem Zeitpunkt waren die beiden bereits tot.
Allerdings dürfte vor dem hier skizzierten Hintergrund eine weitere Eigentümlichkeit des NSU-Komplexes vielleicht doch mehr infrage stellen, als ihr bisher zugebilligt worden ist. Julia Jüttner brachte diese Eigentümlichkeit jüngst nochmals auf den Punkt: „[…] fehlende Geständnisse, fehlende Tatzeugen, fehlende DNA-Spuren der mutmaßlichen Täter an den Tatorten.“[46] Wohlgemerkt – 27 Tatorte, teils in höchst belebter Umgebung (Köln Keupstraße, Heilbronn), und trotzdem keine Zeugen für die Anwesenheit von Mundlos und Böhnhardt zu den Tatzeiten, auch keine Täterspuren der beiden Uwes: das ergibt eine Serie von – was die mutmaßlichen Täter anbetrifft – spurenlosen Tatorten, die in der Kriminalgeschichte ihresgleichen suchen dürfte.
Aber die Waffen der Heilbronner Polizisten im Camper von Mundlos und Böhnhardt?!
Wenn der Gothaer Einsatzleiter Menzel von der Kiesewetter-Waffe bereits wusste, bevor diese überhaupt geborgen worden war, dann hatte er diese Information jedenfalls nicht von den Uwes …
Und die Pistole Ceska 83, mit der die neun Kleinunternehmer ermordet wurden, sowie die beiden Tatwaffen von Heilbronn unter den Zwickauer Asservaten?!
Nach dem Wohnungsbrand in der Zwickauer Frühlingsstraße 26 und dem dadurch ausgelösten Feuerwehreinsatz erfolgte noch in der Nacht des 4. Novembers 2011[47] eine Teilberäumung der Wohnung mittels eines Baggers, wobei „ein Teil der Vorderfront des Wohnhauses herausgerissen wurde“[48]. Der Bergungsschutt wurde im Freien neben dem Gebäude aufgehäuft.
Ausweislich eines kriminaltechnischen Untersuchungsberichtes der Polizeidirektion Südwestsachsen vom 31.01.2012 wurden danach in der Wohnung verschiedene Waffen sichergestellt, darunter eine Pistole Radom[49] (die eine Tatwaffe in Heilbronn), nicht aber die Pistolen Tokarew (die andere Tatwaffe in Heilbronn) und Ceska 83 (die Tatwaffe der Ceska-Serie).
Letztere wurde erst am 9. November, also fünf Tage später, von einem zu Aufräumarbeiten an den Tatort beorderten Polizeischüler aus dem Bergungsschutt vor dem Haus gezogen.[50]
Ob sich die Waffe tatsächlich in der Wohnung befunden hatte, kann daher nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden. DNA-Spuren oder Fingerabdrücke von Mundlos, Böhnhardt oder Zschäpe auf dieser Waffe konnten nicht nachgewiesen werden.[51]

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Der Münchner Richter Götzl, der im Dezember seine Regelaltersgrenze erreicht, hat nun mehr als anderthalb Jahre Zeit, das Urteil von München schriftlich zu begründen. So gibt es Paragraph 275 der Strafprozessordnung her. Erst danach kann Revision eingelegt und der gesamte Prozess gegebenenfalls von vorn aufgerollt werden.
Vielleicht aber könnte ja ein weiterer NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages bis dahin schon etwas mehr Licht ins Dunkel bringen …

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[1] – Im Einzelnen handelt es sich in chronologischer Reihenfolge ihres Erscheinens um folgende Beiträge:

[2] – Siehe Julia Jüttner: Das allerletzte Wort, Der Spiegel, 27/2018, S. 42.

[3] – Siehe Annette Ramelsberger: Das Gericht hat eine historische Chance vertan, süddeutsche.de, 13.07.2018; https://www.sueddeutsche.de/politik/nsu-prozess-das-gericht-hat-eine-historische-chance-vertan-1.4053170 – aufgerufen am 20.07.2018.

[4] – Gisela Friedrichsen: Kurzer Prozess war keine Option, Die Welt, 09.07.2018, S. 3.

[5] – Ebenda.

[6] – Zit. nach Annette Ramelsberger: Der Richter und sein Urteil, sueddeutsche.de, 11.07.2018; https://www.sueddeutsche.de/panorama/nsu-prozess-der-richter-und-sein-urteil-1.4049749 – aufgerufen am 20.07.2018.

[7] – IGMG: Vier Jahre NSU-Prozess – eine große Enttäuschung, Pressemitteilung, 04.05.2017; https://www.igmg.org/vier-jahre-nsu-prozess-eine-einzige-enttaeuschung/ – aufgerufen am 20.07.2018.

[8] – Arno Widmann: Darum warten wir auf die Aufklärung der Morde, berliner-zeitung.de, 11.07.2018; https://www.berliner-zeitung.de/politik/nsu-prozess-darum-warten-wir-auf-die-aufklaerung-der-morde-30945700 – aufgerufen am 20.07.2018.

[9] – Annette Ramelsberger: Das Gericht …, a.a.O.

[10] – Andreas Förster: Der NSU-Prozess – nichts an diesem Fall war gewöhnlich, berliner-zeitung.de, 07.07.2018; https://www.berliner-zeitung.de/politik/437-tage-der-nsu-prozess—nichts-an-diesem-fall-war-gewoehnlich-30920480 – aufgerufen am 20.07.2018.

[11] – Ders.: Richter Götzl verzichtet in Urteilsbegründung auf jedes persönliche Wort, berliner-zeitung.de, 11.07.2018; https://www.berliner-zeitung.de/politik/nsu-prozess-richter-goetzl-verzichtet-in-urteilsbegruendung-auf-jedes-persoenliche-wort-30945512 – aufgerufen am 20.07.2018.

[12] – Annette Ramelsberger: Das Gericht …, a.a.O.

[13] – Am Abend der Urteilsverkündung lief in der ARD eine Dokumentation, die die Arbeit dieser Anwälte und auch die sukzessive Zerrüttung des Verhältnisses zwischen ihnen und ihrer Mandantin zum Gegenstand hatte – siehe Eva Müller: Heer, Stahl und Sturm  – Die Zschäpe-Anwälte, ARD, 11.07.2018; https://www.ardmediathek.de/tv/Reportage-Dokumentation/Heer-Stahl-und-Sturm-Die-Zschäpe-Anwä/Das-Erste/Video?bcastId=799280&documentId=54086152 – Aufruf und Download am 12.07.2018; verfügbar in der ARD-Mediathek bis 11.07.2019.

[14] – Zur Argumentation von Zschäpes Alt-Verteidigern siehe ausführlich Andreas Förster: Zschäpe-Plädoyer im NSU-Prozess. Die Pflicht des verschmähten Trios, berliner-zeitung.de, 05.06.2018; https://www.berliner-zeitung.de/politik/zschaepe-plaedoyer-im-nsu-prozess-die-pflicht-des-verschmaehten-trios-30572880 – aufgerufen am 20.07.2018.

[15] – Bis zu zwölf Stunden nach Eintritt des Todes verändern sich Totenflecken, wenn die Lage eines Leichnams verändert wird. Danach sind sie irreversibel fixiert. Mundlos’ Leichnam wurde sitzend aufgefunden, Böhnhardts in seitlicher Bauchlage. Da beide Tote Leichenflecken auf dem Rücken aufwiesen, die es in ihren Auffindelagen nicht geben könnte, können sie jeweils erst wenigstens zwölf Stunden nach Todeseintritt in diese Lagen gebracht worden sein.

[16] – Siehe Gabriele Muthesius: NSU. Wann, wie und wo starben Mundlos und Böhnhardt?, a.a.O.

[17] – Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof: Anklageschrift, Karlsruhe, 05.11.2012, S. 214 f. (2 BJs 162/11-2. 2 StE 8/12-2).

[18] – In Schorlaus Thriller antwortet ein früherer BKA-Beamter auf die Frage „Welche Geschichte wird uns mit dem Ableben der beiden Neonazis erzählt?“ mit folgenden Überlegungen: „Schwer zu sagen. Vermutlich wurde ein Schlussstrich gezogen. Plötzlich wird eine der größten Mordserien in der Geschichte der Bundesrepublik zu Ende ermittelt, die Morde an den türkischen Geschäftsleuten werden aufgeklärt, der mysteriöse Mord an der Polizistin Kiesewetter, der Nagelbombenanschlag in Köln, ein weiterer Anschlag, einige Banküberfälle und vielleicht noch ei­niges anderes. Ein Sammelsurium, könnte man sagen. Es ist eine Schlussstrichgeschichte. Wir haben die Täter, ein Terror-Trio, die das allein zu verantworten haben. Zwei sind tot, der dritten Per­son wird der Prozess gemacht. Danach, nach dem Urteil in Mün­chen, können wir alle wieder zur Tagesordnung übergehen, und niemand soll mehr fragen, was die Dienste damit eigentlich zu tun haben.“ (Wolfgang Schorlau: Die schützende Hand, Köln 2015, S. 189.)

[19] – Zur Darstellung der 27 Verbrechen in der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft für den Münchner Prozess (Dokumentenauszug) hier klicken.

[20] – An acht türkischen Kleinunternehmern und einem griechischen:

  • Enver Şimşek, Inhaber eines Blumenhandels in Nürnberg am 09.09.2000,
  • Abdurrahim Özüdoğru, Inhaber einer Änderungsschneidere in Nürnberg, am 13.06.2001,
  • Süleyman Taşköprü, Obst- und Gemüsehändler in Hamburg am 27.06.2001,
  • Habil Kılıç, Inhaber eines Obst- und Gemüsehandels in München am 29.08.2001,
  • Mehmet Turgut, in Rostock an einem Imbiss, in dem er einen Freund vertrat, am 25.02.2004,
  • İsmail Yaşar, Inhaber eines Imbisses in Nürnberg am 09.06.2005,
  • Theodoros Boulgarides, Mitinhaber eines Schlüsseldienstes in München am 15.06.2005,
  • Mehmet Kubaşık, Besitzer eines Kiosks in Dortmund am 04.04.2006,
  • Halit Yozgat, Betreiber eines Internetcafés in Kassel am 06.06.2006, sowie
  • an der Polizistin Michele Kiesewetter in Heilbronn am 25.04.2007.

[21] – Es soll sich um folgende Überfälle handeln:

  • 18.12.1998 – Chemnitz, Edeka-Filiale,
  • 06.10.1999 – Chemnitz, Postfiliale,
  • 26.10.1999 – Chemnitz, Postfiliale,
  • 30.11.2000 – Chemnitz, Postfiliale,
  • 05.07.2001 – Zwickau, Postfiliale,
  • 25.09.2002 – Zwickau, Sparkasse,
  • 23.09.2003 – Chemnitz, Sparkasse,
  • 14.05.2004 – Chemnitz, Sparkasse,
  • 18.05.2004 – Chemnitz, Sparkasse,
  • 22.11.2005 – Chemnitz, Sparkasse,
  • 05.10.2006 – Zwickau, Sparkasse,
  • 07.11.2006 – Stralsund, Sparkasse,
  • 18.01.2007 – Stralsund, Sparkasse,
  • 07.09.2011 – Sparkasse Arnstadt,
  • 04.11.2011 – Sparkasse Eisenach.

[22] – Am 19.01.2001 in einem Lebensmittelgeschäft in Köln sowie am 09.06.2004 ebenfalls in Köln, in der Keupstraße.

[23] – Siehe z. B. Andreas Speit: „Dritter Mann ist ausgeschlossen“, taz.de, 03.11.2013; http://www.taz.de/!5055507/ – aufgerufen am 20.07.2018.

[24] – Gisela Friedrichsen schrieb unlängst mit Blick auf den Fall des Verfassungsschutzmannes Andreas Temme, der bei dem Mundlos und Böhnhardt von den Ermittlungsbehörden angelasteten Mord in dem Internetcafé in Kassel anwesend war: „Jeder darf sich darüber wundern, dass ausgerechnet T., ein gelernter Postbote, den man zum Verfassungsschützer umgeschult hat, zur Tatzeit am Tatort war. T. behauptet, nur auf einer Flirt-Line gechattet und nichts von dem Mord in dem kleinen Internetcafé mitbekommen zu haben. Man kann ihm das glauben oder nicht. Aber zu behaupten, der deutsche Verfassungsschutz habe seine Leute angewiesen, junge Türken hinzurichten, ist denn doch eine absurde These.“ (Gisela Friedrichsen: Kurzer Prozess …, a.a.O.)

[25] – Siehe dazu Günther K. Weiße: NATO-Intelligence. Das militärische Nachrichtenwesen im Supreme Headquarters Allied Powers Europe (Shape) 1985–1989, Stuttgart 2013. Besprechung – Alfons Markuske: Das Anschneiden des Kuchens – oder: Aus dem Alltag im NATO-Hauptquartier, Das Blättchen, 14/2017; https://das-blaettchen.de/2017/06/das-anschneiden-des-kuchens-–-oder-aus-dem-alltag-im-nato-hauptquartier-40485.html – aufgerufen am 20.07.2018.

[26] – Siehe ausführlich Erich Schmidt-Eenbomm / Ulrich Stoll: Die Partisanen der NATO: Stay-Behind-Organisationen in Deutschland 1946-1991 (2., erweiterte und aktualisierte Auflage), Berlin 2016.

[27] – Siehe ausführlicher Gabriele Muthesius: „Besenrein“ – oder: „Wie viel Staat steckt im NSU?“, Das Blättchen, Sonderausgabe vom 05.09.2016; https://das-blaettchen.de/2016/09/„besenrein“-–-oder-„wie-viel-staat-steckt-im-nsu“-37111.html – aufgerufen am 20.07.2018.

[28] – Der leitende Obduzent von Mundlos und Böhnhardt, Dr. Reinhardt Heiderstädt von der Gerichtsmedizin in Jena, sprach im Münchner NSU-Prozess von einer „Kopfdurchschussverletzung mit Handlungsunfähigkeit und sofortigem Tod“. (NSU Watch: Protokoll 114.  Verhandlungstag – 21. Mai 2014; https://www.nsu-watch.info/2014/06/protokoll-114-verhandlungstag-21-mai-2014/ – aufgerufen am 20.07.2018.)
Heiderstädt war auch der Obduzent, dem keine Diskrepanz zwischen der Positionierung der Totenflecken von Mundlos und Böhnhardt und der Auffindesituation der Leichen aufgefallen ist. Er hatte allerdings trotz Anwesenheit in Stregda am 04.11.2011 das Innere des Wohnmobils nicht selbst in Augenschein nehmen können. Ob ihm bei der Obduktion Ermittlungsfotos von der Auffindesituation der Leichen vorlagen, entzieht sich der Kenntnis der Autorin.

[29] – Eine Quelle behauptet zwar, es existierten gleich mehrere Polizei- und insbesondere ein BKA-Gutachten vom 04.05.2012, die nachwiesen, dass eine Pumpgun sich beim Herabfallen auch selbst entladen könne. Im Detail teilt der Autor mit: „Ergebnis des Gutachtens (des BKA – G.M.) ist, dass das Hinunterfallen der bewussten Pumpgun (Winchester 1300 Defender, ca.70 cm lang) aus einer Höhe von 10 cm oder mehr ausreicht, um durch die Erschütterung beim Aufschlagen auf den Boden und nachfolgendes Umkippen das Auswerfen der Hülse zu bewirken. Der Versuch ist durch zahlreiche Fotos dokumentiert.“ (Tomas Lecorte: NSU: Schüsse im Wohnmobil, 04.11.2013; http://www.lecorte.de/2013/11/nsu-schuesse-im-wohnmobil/ – aufgerufen am 21.07.2018.) Leider hat der Autor selbst seine Quelle nicht angegeben, und eine Internet-Recherche der Autorin nach diesem Gutachten verlief ergebnislos. So kann der Frage nicht auf den Grund gegangen werden, ob die Versuche des BKAs mit der neben Mundlos aufgefundenen Waffe oder mit einer andren vorgenommen wurden und inwieweit die konkrete Versuchsanordnung mit den Gegebenheiten im Camper übereinstimmte.
Ekkehard Sieker jedenfalls konnte, wie er der Autorin berichtete, am Rande der Dreharbeiten zur Verfilmung von Schorlaus Thriller mit Hilfe eines anwesenden Waffenmeisters und einer Pumpgun einige praktische Versuche unternehmen: „Selbst beim genau senkrechten Aufstauchen der Waffe mit signifikantem Kraftaufwand auf ein sehr hartes Aufprallmaterial öffnete sich das Schloss nur in einem von fünf Fällen, doch nie vollständig und nie mit Auswurf der Patrone.“

[30] – Mit viel Wenn und Aber versuchte sich Dr. Reinhardt Heiderstädt vor dem zweiten Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss an einer Erklärung dafür: „Warum die (die beiden Toten – G.M.) jetzt keinen Ruß haben, weiß ich nicht. Da kann ich mir auch nur überlegen, wie das passiert sein könnte, ohne dass das eine endgültige Erklärung sein soll. Aber wenn ich mir vorstelle, dass in dem kleinen Auto ein Brand gesetzt wird […], dass jemand in irgendeinem Bereich einen Brand setzt, CO-Gas ist leichter als Luft, steigt auf; es ist nicht zu vermuten, dass man, wenn man einen kleinen Brandherd erst mal setzt, seinen Kopf – wie auch immer – oder seine Nase über den Brandherd direkt setzt und damit CO einatmet. Man wird sich wahrscheinlich, wenn man einen Brand setzt, mit dem Kopf auch etwas wegbeugen in eine andere Richtung. Das Zweite wäre, wenn es dann brennt, entsteht natürlich Ruß. Aber man wird sich gewohnterweise vielleicht auch nicht gleich über die Brandstelle so bewegen, dass man den Ruß einatmet. Man will ja auch einen freien Blick haben. Der Rauch steigt auf, sammelt sich, davon gehe ich aus, unter der Decke – eigentlich wird er von oben nach unten breiter –, die Hitze und das CO. Wenn man also einen Brand so entstehen lässt, würde man sich selbst möglicherweise in einem Bereich aufhalten, wo jetzt noch nicht so dieser Brand oder CO entstanden ist. Dann kann es natürlich brennen, aber man ist nicht drin. Irgendwann – gut – wird auch der Schuss gesetzt. Es wäre eine reine Hypothese.“ (Thüringer Landtag, 6. Wahlperiode, Untersuchungsausschuss 6/1 „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“, 12. Sitzung am 3. März 2016: Wortprotokoll der öffentlichen Beweisaufnahme, S. 154.)

[31] – Aktenzeichen TH1309-023340-11/9 (Sachbearbeitung durch Möckel, KHM): Einsatzverlaufsbericht, S. 2. (Zur detaillierteren Schilderung der Bergung der Dienstwaffe siehe die Aussage von Sylvia Michel – am 04.11.2011 in Stregda zur Tatortgruppe gehörig, deren Aufgabe die Spurensicherung ist: Thüringer Landtag, 6. Wahlperiode, Untersuchungsausschuss 6/1 „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“, 7. Sitzung am 22. Oktober 2015, Wortprotokoll der öffentlichen Beweisaufnahme, S. 135.)

[32] – Trotzdem vermerkte Dr. Heiderstädt auf Veranlassung Menzels als exakten Todeszeitpunkt auf den Totenscheinen den 4. November, 12:05 Uhr.

[33] – Vom Innenbereich des Wohnmobils in Stregda – also vor dessen Verladung und Abschleppen – existieren keine Spheron-Aufnahmen, die den Auffindezustand des Tatortes dokumentieren würden. Zur Ursache für die Unterlassung dieser Ermittlungsroutine äußerte die Vorsitzende der NSU-Ausschüsse des Thüringer Landtages, Dorothea Marx (SPD), bei einer Einvernahme Menzels:
„Vors. Abg. Marx:
Also die Frau Michel (Tatortgruppe Stregda – G.M.), die wir hier angehört haben, hat uns dazu gesagt, dass es nicht gefordert war oder auch nicht gewollt war, dass diese Spheron-Aufnahmen schon in Eisenach-Stregda gemacht werden. Die sind erst später in der Halle gemacht worden. Sie hat dann gesagt, na ja, sie hatte da eben den Hut für die Tatortgruppe nicht auf, das seien immer noch Sie gewesen vor Ort und deswegen habe man das nicht gemacht.“ (Thüringer Landtag, 6. Wahlperiode, Untersuchungsausschuss 6/1 „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“, 15. Sitzung am 28. April 2016, Wortprotokoll der öffentlichen Beweisaufnahme, S. 24.)

[34] – Rainer Fromm: Auf der Spur des rechten Terrors, ZDF, 11.07.2018, ab Minute 41:00; https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzoom/zdfzoom-auf-der-spur-des-rechten-terrors-100.html – Aufruf und Download am 15.07.2018.

[35] – Fünf Jahre NSU – Aufklärung unerwünscht?, Minute 13:35; https://www.youtube.com/watch?v=HRXWIl6jJjc – Aufruf und Download am 22.07.2018.

[36] – Menzel hatte 2016 übrigens die Chuzpe, coram publico zu erklären: „Wenn man die Bewaffnung gesehen hat […] Also die (Mundlos und Böhnhardt – G.M.) hätten sich ja nicht unbedingt selbst erschießen müssen. Sondern vielleicht gibt’s da ’ne Geschichte, die wir noch nicht kennen.“ (Stefan Aust / Dirk Laabs: Der NSU-Komplex; https://www.ardmediathek.de/tv/Der-NSU-Komplex/Der-NSU-Komplex/ARD-alpha/Video?bcastId=54155924&documentId=54155940, ab Minute 1: 24:19 – Aufruf und Download am 01.08.2018; verfügbar unter dem angegebenen Link bis 11.10.2018.) Man könnte dies für ein Signal – an wen auch immer – halten, ihm nicht zu dicht auf die Pelle zu rücken.

[37] – Siehe Dokumentenauszug – hier klicken.

[38] – Siehe Dokumentenauszug – hier klicken.

[39] – Ausführlicher zu beiden Ermittlungsverfahren siehe Georg Lehle: Staatsanwaltschaft ermittelt seit 2017 gegen Michael Menzel aufgrund Mordverdacht an Böhnhardt/Mundlos, Friedensblick, 03.06.2018; http://friedensblick.de/28147/staatsanwaltschaft-ermittelt-seit-2017-gegen-michael-menzel-aufgrund-mordverdachts-an-boehnhardtmundlos/ – aufgerufen am 26.07.2018.

[40] – Bundeskriminalamt, ST 14 – 140006/11, GBA 2 BJs 162/11-2, BAO TRIO: Gesamtüberblick über sichergestellte Waffen, Meckenheim, 06.12.2011, S. 1; zum Dokument hier klicken!

[41] – Ebenda.

[42] – Ebenda.

[43] – Gesamtüberblick über sichergestellte Waffen, 23.12.2011, S. 1 f.; zum Dokument hier klicken!

[44] – Ebenda, S. 2.

[45] – „FINGERABDRÜCKE. Diese Schmiere“, Der Spiegel, 49/1977; http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40680432.html – aufgerufen am 21.07.2018.

[46] – Julia Jüttner: Das allerletzte Wort, a.a.O., S. 42 f.

[47] – Siehe Polizeidirektion Südwestsachsen: Kriminaltechnischer Untersuchungsbericht. Zur Explosion mit Brandfolge des Wohnhauses Frühlingsstraße 26, in 08058 Zwickau, am 04.11.2011 gegen 15:08 Uhr, Az: GBA 2BJs 162/11-2, 31.01.2012, S. 6; zur Quelle hier klicken.

[48] – Siehe ebenda.

[49] – Siehe ebenda, S. 52.

[50] – Über die Einvernahme dieses Polizeischülers mit dem Namenskürzel N. durch den damaligen NSU-Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtages im Jahre 2015 hieß es in einem Pressebericht: „Aufgabe der Polizeischüler sei es gewesen, den Schutt in Schubkarren zu verladen und zu einem Sammelplatz zu bringen, wo er akribisch durchsucht werden sollte. Schon bald wurde klar, dass es sich um weit mehr als schnöde Gebäudereste handelte: Neben Balken, Brettern und Ziegeln seien auch eine Maschinenpistole und ein Revolver gefunden worden, dazu Gläser voller Schwarzpulver und Schachteln mit Munition. Zusätzliche Sicherungsmaßnahmen wurden nach den brisanten und gefährlichen Funden freilich nicht veranlasst: Weder Hunde noch Metalldetektoren seien eingesetzt worden, sagte N.“ Und zum eigentlichen Waffenfund: „Er dachte, er ziehe an einem Heizungsrohr (es handelte sich um den Schalldämpfer der Waffe – G.M.), ‚und plötzlich hing eine Pistole dran‘, sagt der Bereitschaftspolizist Jörn N. über einen Einsatz in Zwickau am 9. November 2011. Schon das wäre eine unangenehme Überraschung gewesen. Sie wuchs sich allerdings zur Sensation aus, als klar wurde, was für eine Art Waffe der damalige Polizeischüler aus dem Schutt des bei einer Explosion zerstörten Wohnhauses in der Zwickauer Frühlingsstraße 26 geborgen hatte: Es handelte sich um die Pistole vom Typ Ceska CZ 83, mit der […] in den Jahren von 2000 bis 2006 mindestens neun griechische und türkische Kleinunternehmer ermordet“ worden waren. (Hendrik Lasch: Ein Schutthaufen voller Waffen, neues deutschland, 06.10.2015; https://www.neues-deutschland.de/artikel/986739.ein-schutthaufen-voller-waffen.html – aufgerufen am 28.07.2018.)

[51] – Siehe Gesamtüberblick über sichergestellte Waffen, 23.12.2011, S. 6.