20. Jahrgang | Nummer 23 | 6. November 2017

„Die schützende Hand“ im ZDF

von Gabriele Muthesius

Bereits mindestens zwölf Stunden tot … waren Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zum Zeitpunkt ihres Auffindens in Eisenach-Stregda am 4. November 2011 um 12.05 Uhr mittags. Das lässt sich aus der Auffindesituation der Leichen und ihrer dokumentierten Totenflecken ableiten, wie Autor Wolfgang Schorlau und sein Rechercheur Ekkehard Sieker in der am 6. April dieses Jahres erschienenen Taschenbuchausgabe des Politthrillers „Die schützende Hand“ – ausführlich besprochen im Blättchen 8/2017 – mit wissenschaftlicher Exaktheit dargestellt haben.
Seltsamerweise hat sich der zweite NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages ausweislich seines am 23. Juni vorgelegten Abschlussberichtes (Vorabfassung) zwar mit der Obduktion von Mundlos und Böhnhardt befasst (siehe zum Beispiel die Seiten 176 f, 193 und 1578), aber offensichtlich nicht mit dem Zusammenhang zwischen Auffindesituation der Leichen, den dokumentierten Totenflecken und den daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen hinsichtlich des Todeszeitpunkts von Mundlos und Böhnhardt. Die Sucheingabe „Totenflecke“ ergibt für den voluminösen Abschlussbericht jedenfalls keinen Treffer. Das mag aufgrund mangelnden forensischen Sachverstands der Ausschussmitglieder nicht verwunderlich sein. Allerdings hatten alle Ausschussmitglieder per Mail an ihre Büros die komplette Sachstandsdarstellung im Blättchen erhalten – und zwar am Erscheinungstag, dem 10. April 2017. (Wie zuvor bereits auch alle anderen Beiträge der Autorin zum NSU-Komplex.) Bei einer gemeinsamen Podiumsveranstaltung von Schorlau und dem Ausschussvorsitzenden Clemens Binninger (CDU) im Sindelfinger Pfarrwiesen-Gymnasium am 5. Mai ist der CDU-Politiker auch vom Autor selbst über die besagten Erkenntnisse ins Bild gesetzt worden – auch schwarz auf weiß: durch Übergabe eines Buchexemplars.
In der Ausschussarbeit hat sich all dies nicht niedergeschlagen. Nicht nur weil Binninger im neu gewählten Bundestag nicht mehr vertreten ist, stellt sich die Frage, ob auch ein nächster Untersuchungsausschuss, sollte es ihn geben, diese forensischen Aspekte erneut „übersehen“ oder ausklammern wird. Anderenfalls hätte ein solcher Ausschuss einen der erfahrensten deutschen Forensiker, der dazu befragt werden könnte, quasi um die Ecke. Michael Tsokos, der Chef des Instituts für Rechtsmedizin der Charité, residiert, vom Deutschen Bundestag aus gesehen, in fußläufiger Entfernung.
Am 6. November um 20.15 Uhr strahlt das ZDF die Verfilmung des Schorlau-Thrillers aus. Dabei werden, wie bereits der Trailer zeigt, etliche der gravierenden Ungereimtheiten im Zusammenhang mit der offiziellen Darstellung der Ermittlungsbehörden zum Tode von Mundlos und Böhnhardt aufgegriffen, über die ebenfalls im Blättchen bereits berichtet worden ist.
Und wer den Streifen heute Abend verpasst, der sollte prüfen, ob ihn das ZDF nicht noch für einige Zeit in seiner Mediathek anbietet …