von Jan Opal, Gniezno
Polens Hochschulminister Jarosław Gowin, zugleich stellvertretender Ministerpräsident, hat nach Gesprächen in Israel und in den USA eingeräumt, das sogenannte Holocaustgesetz vom Januar dieses Jahres müsse geändert werden. Im Ausland, so Gowin jüngst in der Presse, werde nicht ausreichend verstanden, worum es dem Regierungslager mit diesem Gesetz überhaupt gegangen sei. Dort werde als ein Eingriff in die Freiheit von wissenschaftlicher Forschung und von Meinungsfreiheit gewertet, was lediglich als konsequente Verteidigung historischer Wahrheit gedacht sei. Gowin ist Polens erster hochrangiger Regierungsvertreter, der öffentlich dazu aufruft, das umstrittene Gesetz in seiner jetzigen Form zu ändern.
Eigentlich ist das fragliche Gesetz eine Novellierung des bestehenden Gesetzes über die staatliche Geschichtsbehörde IPN (Institut für nationales Erinnern). Daraus ist in den internationalen Medien ganz schnell ein „Holocaustgesetz“ geworden, wie es nun auch in den polnischen Medien verkürzend immer öfter genannt wird. Denn im Kern geht es dem Gesetz tatsächlich um Äußerungen, die im Zusammenhang mit der massenhaften Vernichtung jüdischen Lebens im okkupierten Polen getroffen werden. Unter Androhung von Strafe soll fortan verboten sein, dem polnischen Volk oder dem polnischen Staat eine Mitschuld am Holocaust zuzuschreiben. Verwiesen wurde regierungsseitig auf Bezeichnungen wie „polnisches Todeslager“, wenn lediglich gemeint ist, dass sich Vernichtungslager wie Auschwitz-Birkenau oder Treblinka auf dem Gebiet des heutigen Polen befanden. Denn die Annahme ist völlig richtig, dass nicht jeder unter den Lesern oder Zuschauern sofort im Bilde ist, welche Zusammenhänge in diesen Schreckensorten damals tatsächlich bestanden.
Polens Nationalkonservative wollten mit diesem Gesetz der Öffentlichkeit in Polen demonstrieren, dass sie – anders als ihre politischen Gegner – nicht nur hinterher in jedem Fall entrüstet zu protestieren, sondern tatsächlich dem verfälschenden Treiben einen Riegel vorzuschieben verstehen. So weit so gut, indes hat das Gesetz noch eine ganz andere Ausrichtung, die es schnell ins Gerede gebracht hatte. Denn zuallererst sind ja nicht ferne Redaktionsstuben jenseits des Atlantischen Ozeans gemeint, in denen mit der leichtfertigen geographischen Zuordnung geschichtlicher Unsinn zumindest provoziert wird, sondern gezielt wird auf die Holocaustforschung in Polen selbst, die den Nationalkonservativen seit langem ein rechter Dorn im Auge ist. Spätestens seit dem Erscheinen von „Nachbarn. Der Mord an den Juden in Jedwabne“ des Historikers Jan Tomasz Gross im Jahre 2000 läuten im nationalkonservativen Lager die Alarmglocken. Jarosław Kaczyński hatte bereits damals unmissverständlich reagiert: „Sie versuchen, uns in Verruf zu bringen, aus uns einen Helfershelfer Hitlers zu machen.“
Das Gesetz soll aus Sicht der Nationalkonservativen also dazu dienen, solche aus ihrer Sicht ungeheuerlichen Vorgänge, bei denen der Ruf Polens im Zusammenhang mit dem Judenmord im okkupierten Polen weltweit unrechtmäßig diskreditiert werde, künftig zu verhindern. Ein aktueller Fall ist auch zur Hand, denn Polens wackere Streiter für die geschichtliche Wahrheit sehen sich erneut auf den Plan gerufen. Erst vor wenigen Wochen wurde in Warschau im Museum zur Geschichte der polnischen Juden (Polin) ein bemerkenswertes Buch mit dem Titel „Dalej jest noc“ (Und immer noch herrscht Nacht) präsentiert, das sich auf Untersuchungen zum Verhältnis zwischen christlichen Polen und verfolgten Juden im okkupierten Polen konzentriert. Das deutsche Schreckensregime bleibt vergleichsweise zurückgesetzt im Hintergrund, in den Vordergrund rücken dagegen die Beziehungen zwischen den beiden großen Bevölkerungsgruppen Polens. Dokumentiert wurden die Zustände in acht ausgewählten Amtskreisen des okkupierten Landes, in denen Im Frühjahr 1942 – vor Beginn der Vernichtungsaktion „Reinhardt“ – insgesamt 140.000 jüdische Menschen wohnten, die in den betreffenden Amtskreisen fünf bis zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten. Die Herausgeber Barbara Engelking und Jan Grabowski setzen das Buch in der Einleitung ausdrücklich in die Tradition der mit Jan T. Gross begonnen Diskussion, in der nun aber die Frage nach der Haltung christlicher Polen zu den verfolgten Juden nach der Beendigung der Aktion „Reinhardt“ stärker untersucht werden solle. In den Jahren 1942 bis 1945, so die Herausgeber, habe die Einstellung der polnischen Umgebung im enormen Maße darüber entschieden, ob Juden, die der unmittelbaren Vernichtungsaktion entkommen waren, auch den Krieg überleben konnten.
Auf scharfe Reaktionen aus dem Regierungslager brauchte nicht lange gewartet werden. Ein hochrangiger IPN-Vertreter schlug gleich vor zu untersuchen, ob das Buch überhaupt wissenschaftlichen Kriterien genüge. Er verwies auf Kreml-Historiker in Russland, die in erster Linie Propagandaaufgaben zu erfüllen hätten. Die beiden Herausgeber gehören seit vielen Jahren einer weltweit angesehenen Forschungsgemeinschaft an, die als Zentrum für die Erforschung des Holocaust mit regelmäßigen Publikationen auf ihre Ergebnisse aufmerksam macht. Bislang sind seit 2005 beispielsweise dreizehn umfängliche Bände zum Judenmord in Europa erschienen. Polens Kulturministerium hat nun kurzerhand die weitere Förderung für diese Forschungsgemeinschaft eingestellt. Und Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat bereits angekündigt, Barbara Engelking, die bislang und in der Nachfolge von Władysław Bartoszewski Vorsitzende des Internationalen Auschwitz-Rates ist, nicht wieder zu berufen.
Schlagwörter: Geschichtspolitik, Jan Opal, Judenverfolgung, Polen