21. Jahrgang | Nummer 10 | 7. Mai 2018

Und Herr Tucholsky hat ja so Recht!

von Bettina Müller

Rheinsberger und Touristen wissen es natürlich schon längst. Der Star der Stadt heißt nicht länger Friedrich Irgendwas oder Kurt Tucholsky. Die wahre Attraktion hat vier Pfoten und ist zumeist im Schlosspark anzutreffen. Es gelang uns, den für gewöhnlich sehr wortkargen Schlosskater Sheldon für ein exklusives Interview zu gewinnen.

Herr Sheldon …
Sheldon: [entsetzt] Pardon?! Das verbitte ich mir, die korrekte Ansprache lautet: Ihre Hoheit!

[kleinlaut] Verzeihung, Ihre Hoheit. Sie haben sich herabgelassen, uns ein kurzes Interview zu gewähren, wofür wir Ihnen in Anbetracht Ihrer sicherlich knapp bemessenen Zeit äußerst dankbar sind.
Sheldon: So ist es, Frau …, wie war noch mal Ihr Name?

Müller.
Sheldon: Ach so. Sie sind vom Fußvolk. Ja, gab es denn keine adlige Reporterin [schüttelt irritiert das Köpfchen]?

[gerät ins Stottern] … äh, ich fürchte, Sie müssen mit mir Vorlieb nehmen.
Sheldon: [macht mit der Pfote eine royale Geste] Es fällt schwer, aber nun gut, so sei es.

[erleichtert] Danke… Ihre Hoheit, seit geraumer Zeit sind Sie als Touristenattraktion in Rheinsberg zu größter Beliebtheit aufgestiegen…
Sheldon: [pikiert] Wieso aufgestiegen? Ich war schon immer ausgesprochen attraktiv.

Wie auch immer: Touristen suchen Ihre Nähe und lassen sich mit Ihnen fotografieren, Rheinsberger Katzen verlassen in Scharen die Stadt, Kinder wiederum lieben Sie abgöttisch. Wie kommen Sie mit dem Ruhm und vor allem, seinen Schattenseiten, zurecht?
Sheldon: Ach, wissen Sie, ich sehe das ganz gelassen, an die frische Luft muss ich sowieso und wenn ich dann noch freundliche Touristen treffe, die mir Leckerlis bringen, finde ich das völlig in Ordnung und sie sind mir jederzeit herzlich willkommen. Und dekorativ im Gras herumliegen ist nun wirklich nicht schwer, es liegt mir sozusagen im Blut. Ich verbinde also das Angenehme mit dem Nützlichen, das ist meine Philosophie. Das Autogramm-Schreiben, ja [seufzt], das muss ich allerdings noch üben, es fällt noch schwer.

Ich verstehe … Sie wurden schon oft in der Schlossküche gesichtet, sind aber auch im Sommer regelmäßig bei Konzerten im Schlosspark anzutreffen. Warum? Was sind Ihre Beweggründe?
Sheldon: Sehen Sie, auch dort gilt es zu repräsentieren. Das Volk soll wissen, da ist jemand in Rheinsberg, auf den können wir zählen, auf den können wir uns verlassen, er ist für uns da. Daher ist es immens wichtig, sich unter das Fußvolk zu mischen, denn ich will ja auch König der Herzen werden. Repräsentieren ist das A und O meiner Tätigkeit. Das habe ich mir auf die königliche Fahne geschrieben. Und ich nehme meine Aufgabe sehr ernst.

[ernst] Schön.
Sheldon: Ja. Das hoffe ich doch.

Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft in Rheinsberg vor? Wo sehen Sie sich in, sagen wir, einem Jahr?
Sheldon: [enthusiastisch] Als Bürgermeister von Rheinsberg. Darüber hinaus fordere ich unbegrenzten Zugang zu der Schlossküche und allen Essensresten, als königliche Hoheit darf mir das nicht verwehrt bleiben. Die Aufsässigkeit meiner Untertanen muss ein Ende haben! Und natürlich Hundeverbot im Schlosspark, die bringen mein Fell immer so in Unordnung, wenn wir raufen und ich sie [schmunzelt verträumt] in die Flucht schlage. Das ist dann nicht gut für das Image. Nun ja, das sind so meine kurzfristigen Pläne, das können Sie auch ruhig so schreiben.

Gut. Nun leben Sie ja in unmittelbarer Nähe des Kurt-Tucholsky-Museums…
Sheldon: [unterbricht begeistert] Ein ganz famoser Mann! Grandios! Würde er noch leben, hätte ich ihn schon längst zum Ehrenbürger ernannt. Man hat mich mal aus Versehen eine Nacht in „sein“ Museum eingeschlossen und so hatte ich sehr viel Zeit, mich mit seinen Werken zu beschäftigen und mir die Ausstellung anzusehen. Ich muss sagen: Chapeau! Nur vor der Totenmaske hatte ich ein bisschen Angst. Mein Lieblingsbuch ist „Der Hund als Untergebener“. Ein absoluter Klassiker. Das Buch habe ich geradezu verschlungen. Und Herr Tucholsky hat ja so Recht. Deswegen plädiere ich eben auch für striktes Hundeverbot im Park. Verdreschen kann ich sie auch außerhalb. Muss ja nicht jeder mitkriegen.

Aber sind es nicht eben auch ganz bedauerliche Wesen? Wie sie einen so devot und treu anschauen mit ihren großen Hundeaugen?
Sheldon: [kichernd] Sie meinen treudoof? Wie auch immer. Mir sind sie zu tumb, eine Konversation ist mit ihnen einfach nicht möglich, sie bellen ja gleich los. Intellektuell sind wir ihnen einfach völlig überlegen, das verstehen die nur nicht. Und wenn es regnet, riechen sie komisch, das hält doch keiner aus. Auch da bin ich mit Herrn Tucholsky einer Meinung. Und das möchte ich in meinem Park einfach nicht haben. Schauen Sie mein Fell an, da werden Sie keinen einzigen Krümel drin finden, top gepflegt und zart duftend.

[bewundernd] In der Tat sehr flauschig. Ich bedanke mich für das interessante Gespräch, wünsche Ihnen viel Erfolg und alles Gute für die Zukunft.
Sheldon: [verdreht leicht die Augen] Aber bitte gerne doch.

Nach Beendigung des Interviews gestattete mir seine Hoheit noch großzügig, ihn möglichst vorteilhaft abzulichten, bevor er bei Gegenwind mit wehenden Ohren und flatterndem Fell zu seinem nächsten Pressetermin eilte. Ich verabschiedete mich ehrfürchtig mit einem lange einstudierten Hofknicks. Leider verlor ich das Gleichgewicht und fiel um. Noch lange sah ich seiner Hoheit nach. Das Sonnenlicht ließ sein Fell in den schönsten Farben leuchten. Dann ging die Sonne unter.