21. Jahrgang | Nummer 10 | 7. Mai 2018

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Carl von Ossietzky, couragierter Weltbühne-Chef 1927 bis 1933 – Am 4. Mai jährte sich Ihr Todestag zum 80. Male. Seit Ihrer Verhaftung in der Nacht des Reichstagsbrandes 1933 hatten Sie die Faschisten vom Polizeigefängnis am Alexanderplatz ins Polizeigefängnis Spandau, von dort ins KZ Sonnenburg und schließlich ins KZ Esterwegen im Emsland geschleppt. Als Ihnen der Friedensnobelpreis für das Jahr 1935 verliehen wurde, forderte Göring von Ihnen die Ablehnung. Sie lehnten ab – das verführerische Angebot der Nazi-Bonzen – und zogen sich damit deren noch größeren Hass zu. Auch im Krankenbett noch ein Gefangener, starben Sie 1938 im Sanatorium Nordend in Berlin-Niederschönhausen. Sie waren ein entschiedener Demokrat und kompromissloser Pazifist, Kurt Tucholsky beschrieb Sie überdies als „ausgezeichneten Stilisten“, in der Zivilcourage unübertroffen. Das Blättchen fühlt sich Ihrem Vermächtnis verpflichtet.

Benjamin Netanjahu, israelischer Regierungschef – Alle Achtung, das war eine beeindruckende Show, in der Sie neulich „schlüssige Beweise“ für das anhaltende Streben Irans nach Atomwaffen präsentiert haben. „Iran hat gelogen“, war Ihr Fazit, das internationale Atomabkommen mit Iran folglich ein „schrecklicher Deal“. Zwar hat die IAEA, die einzige unabhängige internationale Organisation, die mit der Überwachung der iranischen Verpflichtungen beauftragt ist, Ihrem Vorwurf widersprochen. Auch die EU sieht bislang keine Beweise für einen iranischen Verstoß gegen das Abkommen. Aber Donald Trump ist sicherlich begeistert darüber, dass Sie ihm Gründe geliefert haben, das jahrelang mühselig ausgehandelte Abkommen zu kündigen.
Warum nur fühlt man sich an Colin Powells Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat im Februar 2003 erinnert? Der damalige Außenminister der USA stellte seinerzeit „schlüssige Beweise“ für die Existenz von Massenvernichtungswaffen in Irak vor. Nach dem derart gerechtfertigten Krieg stellte sich nicht nur heraus, dass Powell im Namen der USA gelogen hatte, er selbst bezeichnete seinen Auftritt später als „Schandfleck“ in seiner Karriere. Das freilich ist von Ihnen – was immer auch geschehen mag – nicht zu erwarten.

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland – Nach mehreren antisemitischen Vorfällen in Deutschland haben Sie namens Ihrer Vereinigung Judenfeindlichkeit scharf kritisiert. „Antisemitismus, Rassismus und Hass sind große Sünden im Islam, deshalb werden wir das auch niemals dulden“, haben Sie der Rheinischen Post gegenüber geäußert. Eine derart kompromisslose Haltung ist ebenso wichtig und dankenswert wie bisherige ähnliche Erklärungen Ihres Verbandes gegen den islamistischen Terror. Inwieweit sich diese Position im Alltagsverhalten der Muslime hierzulande auch sichtbar wiederspiegelt, wird sich allerdings noch beweisen müssen. Allein was den Terror betrifft, waren bislang trotz Ihrer Erklärungen leider keine öffentlichkeitswirksamen Bekundungen zu erleben.

Markus Söder (CSU), katholische bayerische Lichtgestalt – Hinter dem Kruzifix, das nach dem Willen Ihrer Partei nunmehr auch wieder den Eingangsbereich eines jeden bayerischen Dienstgebäudes zieren muss, stehe, so Ihre Begründung, ein „ideelles Wurzelgeflecht“, über dessen tragende Elemente Sie in den Tagesthemen Klarheit werden ließen: Toleranz, Nächstenliebe, Respekt und Menschenwürde.
Das wird es den Einwohnern Konstantinopels wahrlich leicht gemacht haben, als sie namens des Kreuzes im April 1204 von christlichen Eroberern niedergemetzelt wurden. Oder den 40.000 bis 60.000 Menschen in ganz Europa, die vom 15. bis zum 18. Jahrhundert wegen Hexerei erst schwerste Folter seitens der Inquisition erlitten und dann in der Regel auf dem Scheiterhaufen landeten. Oder den ungezählten Opfern der Christianisierung in Afrika, Asien und Lateinamerika – um nur an die umfangreicheren Posten an Toleranz, Nächstenliebe, Respekt und Menschenwürde in der Geschichte der großen christlichen Kirchen zu erinnern.

Alice Bota, für Die Zeit in Moskau Weilende – Sie haben im Internet nicht nur Freunde. In Blog-Beiträgen müssen Sie sich schon mal „antirussische Hetzerin“ oder gar „Propagandanutte“ schimpfen lassen.
Das ist nicht unser Stil, auch wenn Ihre Äußerungen bisweilen nicht frei von pathologischen Zügen zu sein scheinen. Als jüngst der Publizist Friedrich Küppersbusch den „Ausgleich mit Russland“ eine „Kernaufgabe der deutschen Außenpolitik“ nannte und der Hoffnung auf eine „eigenständige deutsche Außenpolitik“ Ausdruck verlieh, attestierten sie ihm eine „Wortwahl wie ein freundlicher Reichsbürger“ und fuhren fort: „An dem deutsch-russischen Ausgleich soll Europa also genesen. Geschenkt, dass diese Politik über die Köpfe Mitteleuropas hinweg vor knapp 80 Jahren Millionen das Leben kostete.“
Halten wir fest: In Ihrer Weltsicht stehen das Plädoyer Küppersbuschs für ein kooperatives Verhältnis zu Russland, wie es auch Willy Brandt und Egon Bahr während des Kalten Krieges initiierten und gestalteten, womit ihnen eine entscheidende Weichenstellung für die friedliche Beendigung desselben gelang, und das temporäre Stillhalteabkommen zwischen zwei Massenmördern (Hitler-Stalin-Pakt) inklusive einvernehmlicher Eroberungsabgrenzung im Hinblick auf Polen und das Baltikum auf derselben Stufe.
Zu Risiken und Nebenwirkungen, respektive ob Ihnen schulmedizinisch noch zu helfen ist, fragen Sie am besten Ihren Arzt oder Apotheker. Wir als Nichtmediziner halten es bei derartigen Symptomen mit dem Kabarettisten Uwe Steimle: „Wer dumm geboren wird, der kann nichts dafür. Aber wer auch noch dumm stirbt, der muss schon ganz schön blöd sein.“ Sie immerhin sind erst vom Jahrgang ’79, und da sind Hopfen und Malz womöglich noch nicht gänzlich verloren.

Friedrich Küppersbusch, allweil Hellsichtiger – „Bisher war der Echo egal, weil die Musikindustrie dort ihre Verkaufszahlen hochwürgte und das Erbrochene fein püriert an Brunnenkresse einer Festgemeinde erneut servierte. Jetzt ist er überflüssig, weil zwischen Dummheit des Publikums und Ignoranz der Jurys keine Hirnstrommessung mehr Unterschiede ermitteln konnte”, haben Sie in einem taz-Text kommentiert, was die globale Welt der Deutschen derzeit so umtreibt. Chapeau! – Wieder einmal.

Herbert Diess, VW-Konzernchef – Auf der jüngsten Hauptversammlung Ihres Großunternehmens haben Sie bemerkenswerte Worte gesprochen: Dauerhafter wirtschaftlicher Erfolg sei nur mit einer gesunden Unternehmenskultur möglich. Und also: „Volkswagen muss in diesem Sinne noch ehrlicher, offener, wahrhaftiger, in einem Wort: anständiger werden.“ Respekt zunächst für eine solche, zumal öffentliche Aussage, die gewiss nicht zu den Üblichkeiten in vergleichbaren Führungsgremien gehört. Indes bleibt semantisch zu bemäkeln, dass Sie sich so komparativ ausdrücken. Denn nimmt man Sie wörtlich, so war VW bisher schon ehrlich, offen und wahrhaftig, mit einem Wort: anständig, nur, dass dies künftig noch mehr der Fall sein soll. In Anbetracht der Verlogenheit, die sich VW allein in der Causa Diesel auf Kosten von einigen Hunderttausend Käufern und Nutzern samt Umwelt geleistet hat, ist Ihre scheinbar so tolle Reumütigkeit denn doch nicht annähernd so viel wert, wie es auf den ersten Blick scheint.

Ulrich Kaufmann, Blättchen-Autor – Helle Empörung hat Ihre Bemerkung über die „amusische Oberschule ‚John Brinkmann‘ in Güstrow“ bei Absolventen der John-Brinckman-Oberschule (!) hervorgerufen, die Sie wahrscheinlich meinten. Mag ja sein, dass Joachim Damm, über dessen Briefwechsel mit Franz Fühmann Sie im Blättchen berichteten, für sein Puppenspiel dort kein Interesse fand, doch besagte Absolventen haben Ihre „Penne“ als eine mit hervorragendem Literatur-, Musik- und Kunstunterricht kennengelernt. Auch dass Sie Güstrow, das Herz Mecklenburgs, das nicht nur dem Schriftsteller John Brinckman, sondern auch Georg Friedrich Kersting, Ernst Barlach und Uwe Johnson zeitweilig Heimat war und Friedrich von Flotow als ein Klein-Paris galt, zur „finstersten Provinz“ erklären, muss bei Lokalpatrioten selbstredend Widerspruch auslösen. Wo in Mecklenburg-Vorpommern die finsterste Provinz wirklich liegt, wusste uns eine kundige Leserin mitzuteilen. Um nicht weitere Gefühle zu verletzen, schweigen wir davon jedoch.
Im Übrigen ist der Titel Ihrer Rezension „Der Puppenspieler aus Mecklenbörg“ weder Platt- noch Hochdeutsch. Wenn schon, müsste es wohl „De Poppenspeeler ut Meckelbörg“ heißen

Homo sapiens, ein vernunftbegabtes (?) Tier – Man mag ja – schon aus Gründen präventiver Selbstachtung – an Koestlers These grundsätzlich zweifeln, Sie seien ein Irrläufer der Evolution. Aber allein Ihre pathologische Unfähigkeit, die von Ihnen kreierten Mittel der Selbstausrottung wieder aus der Welt zu schaffen (Kernwaffen, Gentechnik und ähnliches mehr), spricht eine andere Sprache. In jedermanns Alltag fallen stets aufs Neue schlagende Indizien an, die jegliche Zweifel an Koestler im Keim ersticken.
Jüngst wieder dieses: In Hannover hatte ein Staffordshire-Terrier-Mischling, ein „Kampfschmuser“, mit dem schwer irreführenden Namen Chico („Kleiner“) seinen Halter und dessen Mutter, eine schwerbehinderte Frau im Rollstuhl, totgebissen und sollte deswegen behördlicherseits eingeschläfert werden. Bevor es dazu kam, löste eine Tierschützerin online die Petition „Lasst Chico leben!“ und einen Tsunami der Empathie aus: 280.000 Unterschriften binnen weniger Tage, mit Kommentierungen wie „supersüß“ oder „arme Seele“. Ins Tierheim Langenhagen wurde eingebrochen, um Chico zu befreien. Ein Elternpaar wollte das Tier als Spielgefährten für seine Tochter übernehmen. (Zur Auswahl stünde im Übrigen auch dessen Rassebruder Kowu aus Bad König; der hatte kurz nach Chico den sieben Monate alten Sohn des Halterehepaares final in den Schädel gebissen.) Im Tierheim will man Chico einen Maulkorb nicht zumuten, um ihn, also den Wuff, nicht unnötig zu reizen, schon gar nicht beim Gassi gehen außerhalb des Tierheims. Auch das mit dem Einschläfern hat die Stadtverwaltung Hannover angesichts des Volkszorns erst mal zurückgestellt und sucht stattdessen einen Gnadenhof für Chico.
Zwar entgegen landläufiger Meinung wohl nicht von Einstein, aber im vorliegenden Kontext doch ganz treffend: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.