von Ulrich Busch
1723 veröffentlichte Bernard Mandeville in London seinen Essay „Die Bienenfabel“ und löste damit einen Skandal aus, der schließlich zum Verbot der Schrift und zur gerichtlichen Verfolgung des Autors führte. Die Begründung dafür findet sich im Untertitel, worin „private Laster“ als „gesellschaftliche Vorteile“ firmieren. Spätere Denker wie Adam Smith, Karl Marx, Joseph A. Schumpeter und Sigmund Freud griffen diese These auf und zeigten, dass individuelle Laster wie Luxus und Verschwendung in der Tat volkswirtschaftlich und gesellschaftlich von Vorteil sein können, indem sie die Nachfrage stimulieren, die Produktion ankurbeln, Arbeitsplätze schaffen und so weiter. Ein Gemeinwesen, das es verstehe, sich dies zu Nutze zu machen, prosperiere folglich und sein Wohlstand wachse.
Wenn dem so ist, dann muss aber auch das Umgekehrte gelten, das heißt die Einhaltung der von Staat und Kirche postulierten Moralnormen, die Verdammung aller Laster und die Förderung von Tugenden wie Sparsamkeit, Enthaltsamkeit und Mäßigung führt dann zwangsläufig zum Niedergang von Wirtschaft und Gesellschaft, auf jeden Fall aber zu Einbußen beim Wohlstand und zu ökonomischen Verlusten. Die Logik, die diesem Schluss zugrunde liegt, ist verblüffend einfach und doch schwer zu begreifen, denn sie beruht erstens auf der Unterscheidung zwischen Einzelnem und Gemeinwesen oder, anders ausgedrückt, zwischen individueller und volkswirtschaftlicher Ebene, einer Unterscheidung also, die schlichten Gemütern mitunter abgeht. Zweitens werden hierin populäre Irrtümer, wie der vielzitierte Spruch von der „schwäbischen Hausfrau“, die vermeintlich genau wisse, wie man die Finanzen eines Staates verwaltet, nämlich so, wie sie ihre Haushaltskasse, ad absurdum geführt. Dieser Spruch ist genauso unsinnig, wie der von der Köchin, die ohne weiteres einen Staat lenken könne, wenn man sie nur ließe.
Statt derartigem Blödsinn aufzusitzen, sollte besser die gegensätzliche Wirkung bestimmter Aktivitäten auf den unterschiedlichen Ebenen, der privaten und der volkswirtschaftlichen, beachtet werden.
In Bezug auf das Sparen hat dies in dem berühmten und in einschlägigen ökonomischen Lehrbüchern zu findenden „Sparparadoxon“ seinen Niederschlag gefunden. Dieses besagt, dass vermehrtes Sparen einen privaten Haushalt reicher macht, eine Volkswirtschaft aber ärmer. „Das“, so der US-Ökonom Paul A. Samuelson, „was für den einzelnen richtig ist, nämlich, dass außergewöhnliche Sparsamkeit zu höheren Ersparnissen und größerem Wohlstand führt, kann sich für eine Volkswirtschaft verhängnisvoll auswirken.“ „Private Klugheit“ wird zu „sozialer Torheit“, wenn man mikroökonomische Wahrheiten auf die makroökonomische Ebene überträgt und so dem Trugschluss unzulässiger Verallgemeinerung erliegt.
Die Erklärung für dieses Paradoxon liegt darin, dass, wenn alle sparen, Umsätze und Produktion zwangsläufig zurückgehen müssen, die Einkommen sinken und Investitionen ausbleiben würden. Die Konsequenz wäre, dass die Ersparnis insgesamt, als volkswirtschaftliche Größe, nicht weiter wächst, sondern sinkt. Allgemeines Sparen würde eine Volkswirtschaft also nicht reicher, sondern letztlich ärmer machen.
Hinzu kommt, dass unser Geld Kreditgeld ist, jedem Guthaben also eine Schuld entspricht. In der volkswirtschaftlichen Rechnungsführung verhält es sich danach so, dass die Salden der Nettogeldersparnis der vier Sektoren (Haushalte, Unternehmen, Staat und Ausland) in ihrer Summe null ergeben. Die Ersparnis des einen ist immer der Kredit oder die Verschuldung des anderen, jeder Forderung entspricht eine Verbindlichkeit. Dies gilt innerhalb der Sektoren wie im Aggregat. Wollen also zum Beispiel die privaten Haushalte mehr sparen, als sie bisher schon auf der hohen Kante haben, so muss sich der Staat entsprechend höher verschulden oder die Unternehmen müssen mehr Kredite nachfragen oder es erhöht sich die Forderung Deutschlands gegenüber dem Ausland. Und vice versa.
Es können daher im Inland niemals alle, also private Haushalte, Unternehmen und Staat, gleichzeitig sparen, ohne dass die Forderungen gegenüber dem Ausland explodieren würden. Und, beließe man die Auslandsforderungen auf dem bestehenden Niveau, so müssen sich der Staat und/oder die Unternehmen höher verschulden, wenn die Bevölkerung mehr spart. Dies ist ein absolut zwingender Zusammenhang, ein ökonomisches Gesetz, an dem sich bisher noch jeder die Zähne ausgebissen hat, der dies nicht wahrhaben wollte.
Betrachten wir die aktuelle Situation, so zeigt sich, dass der deutsche Staat infolge enormer Kreditaufnahmen während der Finanzkrise, aber auch auf Grund selbst auferlegter Zwänge („Schuldenbremse“), momentan kaum in der Lage ist, sich zusätzlich zu verschulden. Der neue Finanzminister Olaf Scholz hat deshalb die „schwarze Null“ seines Vorgängers sogleich auch zu seinem Haushaltsziel erklärt. Die Unternehmen aber finanzieren sich weitestgehend konzernintern, benötigen also keine neuen Kredite. Sie fallen damit ebenfalls als zusätzliche Schuldner aus. Das Ausland sieht sich durch die gigantischen Leistungsbilanzüberschüsse und den Kapitalexport Deutschlands ohnehin schon über Gebühr belastet und von Deutschland abhängig. Es wäre unverantwortlich und würde den Frieden in Europa und in der Welt empfindlich stören, wollte man hier in Zukunft noch höhere Geldforderungen auftürmen.
Welche Optionen resultieren hieraus nun aber für die privaten Haushalte? Ganz sicher nicht ein verstärktes Sparen! Und auch nicht ein „weiter so“ der bisherigen Sparpraxis. Einzig richtig wären eine Reduktion der Ersparnisbildung und die Umlenkung der Mittel in den Konsum. Dies ist selbstredend volkswirtschaftlich gemeint und gilt für die Ersparnisbildung insgesamt. Einzelne, insbesondere ärmere Haushalte müssen natürlich sparen, um Vorsorge zu treffen. Vermögende Privatpersonen aber, die heute überproportional viel Geld zurücklegen, sollten künftig weniger sparen oder sogar entsparen. Dies gebietet einfach die ökonomische Vernunft. Andernfalls eskalierten die Probleme: Das Sparen würde von einer privaten Tugend zu einem öffentlichen Laster werden.
Gegenwärtig gibt es in Berlin eine sehenswerte Ausstellung, die das Sparen als „deutsche Tugend“ feiert. Ob sich die Initiatoren aber vollends darüber im Klaren sind, dass sie damit einen Beitrag wider alle ökonomische Vernunft leisten, weiß man nicht. Auch nicht, ob dahinter kalkulierte Absicht steckt oder nur ökonomische Naivität. Die Reaktionen auf die Ausstellung werden es uns zeigen.
Schlagwörter: Geld, Schuldenbremse, Sparen, Sparparadoxon, Ulrich Busch, Volkswirtschaft