von Clemens Fischer
Zeit für diesen Film hatte Steven Spielberg eigentlich nicht, denn er steckte mitten in der Arbeit an zwei anderen Projekten. Aber eine Freundin trug ihm das Skript mit Nachdruck an, und als er es, so der Regisseur kürzlich in einem Interview, zur Hälfte durch hatte, wurde ihm klar: „Diesen Film musst du machen, so schnell wie möglich.“
Dass es ein Parforceritt wurde – bis zum fertigen Schnitt von „The Post“ benötigte Spielberg lediglich neun Monate – war folgerichtig zuvorderst dem Sachverhalt geschuldet, dass es ihm um eine dringliche Botschaft an seine Landsleute ging, um eine Antwort auf die aktuelle Zuspitzung der Krise des politischen Systems in den USA. Die Spitze des Eisbergs besteht bekanntlich darin, dass der Mann im Weißen Haus einerseits mit Medien, die ihm nicht willfahren, einen Umgang pflegt, als seien sie räudige Hunde und ihr permanenter Platzverweis eine lange ausstehende Wohltat an der Allgemeinheit. Andererseits operiert dieser Mann selbst ständig mit alternative facts, die man bis zu seiner Inauguration üblicherweise einfach Lügen nannte.
Beides hat mit vergleichbarem Furor aus dem Weißen Haus heraus – Jahrzehnte zuvor – nur Richard Nixon zelebriert, und der ist, wie man weiß, in Unehren gescheitert: Er trat zurück, bevor er wegen krimineller Gesetzesverletzungen aus dem Amt gekegelt wurde.
Der Anfang von Nixons Ende bildet die Rahmenhandlung des Films – die Veröffentlichung der sogenannten Pentagon-Papers, eines 7000 Seiten umfassenden regierungsinternen Geheimdossiers, im Juni 1971. Sie offenbarten, dass die Öffentlichkeit unter vier Präsidenten (Truman, Eisenhower, Kennedy, Johnson) über den Krieg in Indochina und das Ausmaß des jeweiligen USA-Engagements systematisch belogen worden war und der amtierende Präsident (Nixon) dieser Linie weiter folgte.
Spielberg stilisiert letztlich den Einzelfall, der – gottseidank! – historisch hin und wieder vorkommt, quasi zum Patentrezept, das es – leider! – nicht gibt. Seine Botschaft lautet:
Erstens: Die verfassungsmäßig verbrieften Werte und Rechte der amerikanischen Gesellschaft befähigen sie zur Selbstreinigung,
– wenn wenigstens ein Einzelner (Insider) seinem Gewissen folgt,
– wenn dieser Whistleblower auf ein paar andere (einflussreiche) Einzelne trifft, die jene Werte und Rechte zumindest in bestimmten Situationen ebenfalls wortwörtlich nehmen, und
– wenn sich diese Melange – nötigenfalls auch Spitz auf Knopf – gegen das gerade herrschende Establishment stellt, den Präsidenten inbegriffen.
Zweitens: Unabhängige, unnachgiebige, kritische Medien spielen eine Schlüsselrolle bei der Verteidigung und gegebenenfalls bei der Wiederherstellung der Demokratie.
Hinzu kam in dem historischen Fall, um den es geht, dass selbst die Judikative der USA in Gestalt des Obersten Gerichts bisweilen und durchaus unerwartet gut für eine Überraschung ist: Das Gericht wies seinerzeit mit deutlicher Mehrheit die Klage der Regierung wegen Geheimnisverrats gegen die New York Times, die mit der Publizierung der Pentagon-Papers begonnen hatte, und die Washington Post, die damit fortfuhr, als dies der Times per einstweiliger Verfügung untersagt worden war, zurück und begründete das unter anderem mit dem, im Film mit gehörig Hollywood-Pathos vorgetragenen Grundsatz: „Die Presse soll den Regierten dienen, nicht den Regierenden.“
Der Film endet dort, wo ein anderer – über das Ende vom Ende der Nixon-Regierung, „All the President’s Men“ von 1976, – angesetzt hatte: beim Einbruch von Nixons „Klempnern“ in die Wahlkampfzentrale der Demokraten im Watergate-Hotel.
„The Post“ ist ein spannendes, auch hierzulande mit Erkenntnisgewinn oder zumindest -bestätigung zu rekapitulierendes Kapitel Zeitgeschichte; die beiden Oscar-Nominierungen (als Bester Film und für Meryl Streep als Beste Hauptdarstellerin) gingen völlig in Ordnung.
„The Post“ (deutsch: „Die Verlegerin“), Regie: Steven Spielberg. Derzeit in den Kinos.
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In den Vereinigten Staaten, informiert der Abspann von „Wind River“, gebe es für alle Bevölkerungsgruppen Vermisstenstatistiken – mit Ausnahme der Ureinwohner. Niemand wisse daher, wie viele Indigene jeweils vermisst werden. Die darin zum Ausdruck kommende gesellschaftliche Grundeinstellung ist womöglich nicht allein-, aber doch mitverantwortlich dafür, dass US-amerikanische Indianerreservate, was die Lebensbedingungen der Mehrzahl ihrer Bewohner betrifft, von einer ubiquitären lebensmuttötenden Tristesse und Aussichtslosigkeit sind. Daran ändert auch die atemberaubend schöne Winterlandschaft im bevölkerungsärmsten Bundesstaat Wyoming nichts, in der „Wind River“ spielt.
Es gibt dort zwar kaum Menschen, aber die dominieren umso apodiktischer: Wenn eine Berglöwenmutter ihrem Nachwuchs das Jagen beibringt und dabei ein Nutztier gerissen wird, sorgt ein behördlich bestallter Jäger für die Ausrottung der ganzen Sippe – mit Munition, die, trifft sie einen Menschen, ein Schleudertrauma zur Folge hätte, wenn dem nicht der Exitus zuvorkäme.
Wovon der Thriller im Einzelnen handelt, wird hier üblicherweise nicht verraten. Aber so viel darf gesagt werden: Wenn das 43. Blatt von Goyas Los Capriccios den Titel „El sueño de la razón produce monstruos“ („Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“) trägt, dann liefert „Wind River“ anschaulich den Beleg dafür, dass auch der Einfall profitorientierter Erdölförderung in eine zivilisationsferne Naturidylle dazu ohne Weiteres in der Lage ist …
Der Film kann als Neo-Western durchgehen, womit Drehbuchautor und Regisseur Taylor Sheridan genremäßig oscar-nominierte (Bestes Drehbuch) Erfahrung hat. Er lieferte das Script für „Hell or High Water“ (2016). Dass auch dieses Mal wieder Nick Cave und Warren Ellis für den Soundtrack verantwortlich zeichnen, rundet den an sich schon höchst gelungenen Streifen ab.
„Wind River“, Drehbuch und Regie: Taylor Sheridan. Derzeit in den Kinos.
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