von Erhard Crome
Die diesjährige Wehrkundetagung, die jetzt „Sicherheitskonferenz“ heißt, hat vom 16. bis 18. Februar im Münchner Hotel „Bayerischer Hof“ stattgefunden. Allerdings war sie nicht wieder Ort der Verkündigung deutscher Weltgeltung, wie vor vier Jahren, als der damalige Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Militärministerin von der Leyen dies unisono zelebrierten.
Bei einer Bundeswehr, der attestiert wird, dass weder Hubschrauber und Flugzeuge richtig fliegen, noch Panzer oder U-Boote fahren, wie sie sollen, der Exportweltmeister ein halbes Jahr braucht, um die nötige Ersatzteile zu liefern, und die Bundeswehrangehörigen angesichts fehlender Ausrüstungsgegenstände frustriert sind, fällt dies auch schwer. Ob die entsprechenden Mitteilungen, die jüngst wieder in die Öffentlichkeit gebracht wurden, Tatsachenfeststellungen sind oder eher dazu dienen sollen, der deutschen Wählerin und dem deutschen Steuerzahler die angezielte Steigerung der Ausgaben für Erhalt, Erweiterung und Einsatz der Bundeswehr an der russischen Grenze und auf den Weltmeeren aufzunötigen, kann derzeit nicht abschließend beantwortet werden.
Auf jeden Fall ist Frau Dr. Ursula von der Leyen ressortgemäß für derlei Zustände verantwortlich. Einst als mögliche Alternative zur Bundeskanzlerin oder deren Nachfolgerin gehandelt, scheint sie im Amt verbrannt und soll wohl zur NATO weggelobt werden. In München hatte sie den großen Auftritt der Eröffnungsrede, vielleicht die letzte große Rede der Verteidigungsministerin, vielleicht die Bewerbungsrede für das NATO-Generalsekretariat. Sie tat, was sie konnte: Sie malte die „russische Gefahr“ an die Wand, faselte von „Verantwortung“, wenn sie von NATO-Truppen im Osten redete, und beschwor die „transatlantische Partnerschaft“ mit den USA, als habe sich seit George Marshalls Zeiten nichts geändert, sowie die Zusammenarbeit mit dem US-Verteidigungsminister.
Das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die USA ihre Beteiligung an der Münchner Konferenz herabgestuft hatten. Abgesehen von der Teilnahme einiger Abgeordneter und einer demonstrativen Ehrenmedaille für den todkranken Senator John McCain, die seine Gattin entgegennahm, waren die USA nicht so repräsentativ vertreten wie im Vorjahr. 2017 hatten Vizepräsident Mike Pence und Verteidigungsminister James Mattis die kommende „America First“-Politik ihres Präsidenten erläutert. Letzterer wurde jetzt auch wieder in München gesehen, äußerte sich aber nicht öffentlich. Für die USA redete Sicherheitsberater Herbert R. McMaster, der allerdings entgegen der Intention seines Präsidenten die Geschichten von der russischen Einmischung in den USA-Wahlkampf kolportierte, was ihm prompt eine öffentliche Rüge Donald Trumps einbrachte. Der russische Außenminister Sergej Lawrow ätzte: Gerüchte.
Bemerkenswert war ein anderer Strang der Debatten. Der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, wirkte bisher recht zivil. Vielleicht auch deshalb, weil er Luxemburger ist – die hatten ihre letzte große Armee unter Kaiser Karl IV. im 14. Jahrhundert. Hier jedoch plädierte auch er für Aufrüstung. Er betonte, die Europäische Union sei bisher „nicht auf Weltpolitikfähigkeit ausgerichtet“, „nicht weltpolitikfähig“. Das müsse sich schleunigst ändern. „Und dies gilt vor allem im Verteidigungsbereich.“ Bereits von der Leyen hatte „die europäische Verteidigungsunion“ hervorgehoben, die eine „Armee der Europäer“ werden solle, gestützt auf deutsch-französische Militärkooperation. Dazu brauche es „eine gemeinsame strategische Kultur Europas. Ein gemeinsames europäisches Verständnis unserer Interessen, unserer Ziele und unserer Instrumente des äußeren Handelns.“ Nur dann gewinne „Europa das nötige Gewicht“. Zugleich hatte von der Leyen verkündet: „Der Aufbau von Fähigkeiten und Strukturen ist das eine. Das andere ist der gemeinsame Wille, das militärische Gewicht auch tatsächlich einzusetzen“. Unter deutscher Ägide und mit deutsch-französischer Kooperation soll EU-Europa endlich kriegsführungsfähig werden. Sigmar Gabriel, nach wie vor Außenminister der Provisorischen Regierung in Berlin, stieß einerseits in dasselbe Horn: „Europa braucht auch eine gemeinsame Machtprojektion in der Welt“. Andererseits setzte er eigene Akzente, pöbelte gegen China und plädierte zugleich für ein besseres Verhältnis zu Russland und den Abbau der anti-russischen Sanktionen.
Wolfgang Ischinger, Chef der Sicherheitskonferenz, hatte bereits vor Beginn die Losung herausgegeben, die Kriegsgefahr in der Welt sei spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges nicht so groß gewesen wie heute. Die illustre Reihe der Redner entsprach dem: Der israelische Ministerpräsident beschwor die iranische Gefahr und drohte, der iranische Außenminister drohte zurück; der türkische Ministerpräsident beschwor die kurdische Gefahr und propagierte die Kriegspolitik seines Präsidenten; der NATO-Generalsekretär beschwor die russische Gefahr und forderte mehr NATO. Von den USA und Russland war schon die Rede. Nordkoreas Atombomben, die Reste des „Islamischen Staates“, der Krieg in Syrien waren ebenfalls Thema.
Christoph von Marschall, Kolumnist des Tagesspiegels, resümierte ganz in diesem Sinne: „Die Bilanz der diesjährigen Sicherheitskonferenz ist niederdrückend. Vielerorts wächst die Kriegsgefahr. Auf die vom Westen dominierte Ordnung, die dem Globus über Jahrzehnte Stabilität gab, ist nicht mehr recht Verlass.“ Von welchen Jahrzehnten spricht er? Die Stabilität oder Instabilität in der Welt war bis 1990 vom Kalten Krieg, der Systemkonkurrenz und Supermächterivalität bestimmt. Danach gab es höchstens ein bis zwei Jahrzehnte westlicher Dominanz, die jedoch durch die westlichen Kriege in Jugoslawien, gegen Irak und Libyen, in Afghanistan und Syrien und anderenorts und deren Fiasko unterminiert wurde. Hinzu kamen der Aufstieg Chinas, Indiens und das erneute Erstarken Russlands, nachdem der Westen dessen ausgestreckte Hand mehrmals ausgeschlagen hatte. Im Endeffekt jammert Marschall über die „transatlantische Distanz“ und darüber, dass das Schicksal uns Trump serviert hat.
Kurt Riezler, zur Zeit des Ersten Weltkrieges enger Mitarbeiter von Reichskanzler Bethmann Hollweg und später vor den Nazis in die USA emigriert, schrieb 1914 zu den Grundzügen der Weltpolitik: „Der Engländer ist Kosmopolit unter der Voraussetzung, dass die Welt englisch ist und bleibt. Er ist es um so mehr, je sicherer und unangetasterer die englische Herrschaft aufgerichtet ist, und hört sofort auf es zu sein, wenn diese Herrschaft in Frage gestellt wird.“ Sieht man einmal von dem zeitüblichen Singular sowie davon ab, dass Riezler nicht das britische Volk, sondern die Herrschenden und Regierenden meinte, so ist die Aussage sehr aktuell, ersetzt man nur den Engländer durch den Amerikaner. Trumps Politik markiert den Wechsel von dem, was damals „Kosmopolitismus“ genannt wurde und heute im Politsprech „liberale Weltordnung“ heißt, zu interessengeleiteter Realpolitik der USA. So beklagte Ischinger den „weltpolitischen Rückzug der USA“ als „Ordnungsmacht“. Die Münchner Konferenz vermittelt erneut den Eindruck, die meisten politisch Verantwortlichen in Deutschland wissen trotz internetgesättigter Informationsschwemme recht wenig über die Grundzüge der Weltpolitik – oder deuten sie falsch.
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