von Edgar Benkwitz
Viele Inder werden verwundert den Medien entnommen haben, dass ihr Land „eine führende globale Macht“ ist und eine „Führungsrolle in der Sicherheit des Indischen Ozeans und der Region“ einnimmt. So verkündet in der im Dezember vorgestellten Nationalen Sicherheitsstrategie der USA, der ersten unter Präsident Trump. In Indien wurde derartiges bisher nicht behauptet, selbst extrem nationalistische Politiker halten sich damit zurück. Zu groß sind die inneren Probleme, die dem Land wie ein Klotz am Bein hängen. Zu groß sind auch die ungelösten Fragen mit einer Reihe von Nachbarstaaten, die Indien mangels Kraft und Ressourcen nicht in seinem Sinn beeinflussen kann. Letztendlich fehlt nach wie vor die wirtschaftliche Stärke – wie sie etwa China zeigt – um einen substantiell gestaltenden Einfluss auf Prozesse der internationalen Beziehungen auszuüben.
Realistische Kräfte weisen deshalb darauf hin, dass diese überzogene Kennzeichnung der Rolle Indiens ein Ausdruck des veränderten Herangehens der USA an das Geschehen in Asien ist. Während Indien neuerdings hoch gelobt wird, findet eine Verteufelung Chinas statt. Selbst ein einfacher Blick auf den 70-seitigen Text des Dokuments verdeutlicht das: Indien wird achtmal, und zwar nur positiv, China hingegen dreiunddreißigmal, jedoch durchgehend negativ, erwähnt. Die Trump-Administration will ganz offensichtlich den Machtverlust der USA in Asien durch die Einbeziehung Indiens in seine Pläne – als Gegengewicht zu China – kompensieren.
Natürlich fühlen sich einflussreiche Kreise in Indien geschmeichelt, von der Weltmacht USA umworben zu werden. Ein immer schon vorhandenes Wunschdenken wird angesprochen, das seine Wurzeln in der Größe des Landes mit seiner Milliardenbevölkerung, in seinem uralten Beitrag zur Weltkultur, aber auch in einem zutiefst sitzenden, durch den Hinduismus geprägten Nationalismus hat. Premierminister Narendra Modi gab diesen Gefühlen Ausdruck, als er Präsident Trump bei einem Treffen in Manila für die „äußerst guten Worte“ über Indien dankte und versicherte, Indien werde versuchen „den Erwartungen der USA“ zu entsprechen. Die so entstandene etwas eigenartige Situation für Indien brachte die Times of India süffisant mit der Bemerkung zum Ausdruck: „Indien ist wahrscheinlich das einzige bedeutende Land, das gegenwärtig ein „normales“ Verhältnis zu Trumps Amerika hat“.
Die strategischen Begehrlichkeiten der USA sind demnach nicht auf Sand gebaut. Seit ihrer Machtübernahme vor nahezu vier Jahren haben die hindunationalistischen Kräfte die Anstrengungen verstärkt, Indien auf dem Weg zu einer wirkungsvollen Großmacht voran zu bringen. Eine ansehnliche wirtschaftliche Entwicklung wie auch eine bedeutende Aktivierung seiner Diplomatie führten zu einer Festigung der internationalen Stellung des Landes. Als wichtige Statussymbole gelten der Besitz atomarer Waffen und ein ansehnliches Raketenarsenal.
Eine Schlüsselrolle in diesem Bemühen ist dem Ausbau der Beziehungen mit den USA zugedacht. Politische, wirtschaftliche, militärische und technologische Aspekte sollen sich in einer Strategie bündeln, mit der das Eigengewicht des Landes insgesamt – vor allem aber mit Blick auf China, gestärkt werden soll. In dieses Bemühen hakt jetzt die Trump-Administration ein. Schon vor einiger Zeit wurden auf einer Reihe von Gebieten „parallele Interessen“ beider Staaten herausgearbeitet, es folgte die Einstufung Indiens als ein Major Defence Partner der USA, wonach Indien bei Waffenlieferungen und militärischem Technologietransfer wie ein Bündnispartner behandelt wird. Ferner soll Indien stärker in das asiatische Geschehen eingebunden werden. So verkündet die neue „Afghanistan-Strategie“ – zum Ärger Chinas und Pakistans – Indien als einen unverzichtbaren Partner bei der Lösung der dortigen Probleme. Auch der althergebrachte Begriff der „asiatisch-pazifischen Region“ – noch von Präsident Obama gebraucht – wurde durch Trump aus dem US-Sprachgebrauch entfernt und durch „indo-pazifische Region“ ersetzt, so geostrategisch einen Raum anzeigend, der sich zwischen den USA und Indien erstreckt. Und schließlich deutete US-Außenminister Tillerson gar ein bevorstehendes goldenes Zeitalter an, indem er von einer „einhundertjährigen Partnerschaft“ seines Landes mit Indien sprach!
Doch in den Höhenflug eines Großmachtdenkens, das davon träumt, mit den USA über einen starken Partner in allen Lebenslagen zu verfügen, mehren sich verstärkt Zweifel. Trumps unberechenbare Politik, sein Vorgehen gegen Freihandel und internationalen Klimaschutz sowie die restriktiven Maßnahmen gegen ausländische Arbeitskräfte in den USA berühren unmittelbar indische Interessen. Das trifft auch auf die konfrontative Politik in Fernost und im Nahen Osten sowie gegenüber dem Iran zu. Eine aufkeimende Sorge ist zu spüren, dass Indien langfristig auf Positionen gedrängt wird, die mit den nationalen Interessen des Landes nicht zu vereinbaren sind. So begrüßt man natürlich, dass Trump gegenüber Pakistan in der Frage des Terrorismus zu drastischen Maßnahmen greift. Doch wird das Pakistan nicht noch stärker in die Arme Chinas treiben und damit noch unerreichbarer für Indien machen? Ein konfrontativer Kurs gegenüber China würde Indien eher schaden als nützen, denn eine Lösung der Grenz- und Territorialprobleme rückte damit in weite Ferne. Dialog und Verständigung, die in den letzten Jahren zu einem festen Mechanismus geworden sind, wären gefährdet. Und was ist mit dem im US-Sicherheitspapier verfemten Russland? Seit Jahrzehnten ist es der wertvollste Partner Indiens, dem das Land einen Großteil seiner militärischen Ausrüstung und eine vertrauensvolle politische Zusammenarbeit verdankt.
Als Nagelprobe vor allem im Verhältnis zu Russland und China könnte sich das von den USA angeschobene „Quad-Bündnis“(Quadrilaterale Strategische Allianz) erweisen, das Japan, Australien, die USA und Indien umfassen soll. Zurückgreifend auf eine alte Idee Japans von 2007, die nie zum Tragen kam, wurde es von Trumps Strategen hervorgekramt und in Manila im November 2017 wiederbelebt. In der neuen Sicherheitsstrategie der USA wird es unverblümt als ein Mittel bezeichnet, um Chinas Einfluss entgegenzutreten. Vorerst nur auf hoher Beamtenebene konstituiert, soll es demnächst zu einem Treffen von Ministern aufgestockt werden. China und Russland haben bereits vor dieser Allianz gewarnt. In Indien gibt es Kritik an der Teilnahme des Landes. Es wird darauf verwiesen, dass Indien als Mitglied der Schanghai-Gruppierung Verpflichtungen gegenüber Russland und China eingegangen ist, die sich wohl kaum mit den möglichen Zielen des Quad-Bündnisses vertragen werden.
In den Zeiten eines sich schnell ändernden Kräfteverhältnisses in Asien setzt die indische Regierung auf ein verstärktes Zusammengehen mit den USA. Sie meint, damit den Interessen des Landes und kommenden Herausforderungen am besten dienen zu können. Ohne Zweifel kann mit Unterstützung der USA auf vielen Gebieten die notwendige Entwicklung des großen Landes vorangetrieben werden. Das wäre ein echter Beitrag auch zur Sicherheit der USA, denn Hunger, Armut, Epidemien, Klimaveränderungen und andere globale Erscheinungen bedrohen auch dieses Land. Doch die neue nationale Sicherheitsstrategie erwähnt diese Probleme nicht. Dafür wird die Dominanz des Militärischen sichtbar, ist die Rede von Rüstungsprogrammen, Macht, Einfluss und Interessen. Statt globaler wirtschaftlicher Integration und Kooperation ist der Ungeist der Konfrontation zwischen den Großmächten zu spüren.
Die Außenminister Russlands und Chinas hinterließen bei ihrer traditionellen jährlichen Konsultationsrunde mit Indien im Dezember in Neu Delhi Empfehlungen an ihre indische Kollegin. Sie lauten, dass eine Sicherheitsarchitektur im asiatisch-pazifischem Raum nicht durch Blockbildung geschaffen werden kann. Vielmehr durch Vertrauen und Zusammenarbeit.
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