von Gerd-Rüdiger Hoffmann
Im Spiegel erschien 1964 ein redaktioneller Artikel über Kwame Nkrumah unter dem Titel „Diktatur – unser Messias“. Es ging um Einparteienherrschaft, Personenkult, Präsidialregime und darum, warum die Politik des damaligen ghanaischen Partei- und Staatschefs auch für andere afrikanische Länder als Vorbild beim Übergang zur Diktatur mit nationalistischem und sozialistischem Programm dienen könnte. Der Beitrag endete mit dem Satz: „Den Kontinent, dem die Freiheit geschenkt wurde, erwartet die Diktatur.“
Die aufgezählten Fakten stimmten irgendwie, aber weder Nkrumah noch Ghana kamen als Subjekte eines historischen Prozesses vor, wenn geschlussfolgert wurde, dass „die Abkehr von der Demokratie westlicher Prägung, die Briten und Franzosen nach Afrika zu verpflanzen suchten, endgültig vollzogen“ sei. Da war sie – die Sprache des Kalten Krieges. Denn: Wer sollte denn dem Kontinent die Freiheit geschenkt haben? Die europäischen Kolonialmächte, deren funktionierende parlamentarische Demokratie in Europa auf der Grundlage eines relativen Wohlstandes für viele nicht unwesentlich mit der Ausbeutung ihrer Kolonien in Afrika zu tun hatte? Hatte die Hinwendung afrikanischer Führungspersönlichkeiten – Politiker, Gewerkschafter, Künstler, Philosophen – zum Sozialismus und Marxismus nicht vielmehr damit zu tun, dass ihnen eben nichts geschenkt wurde und Verbündete im Kampf gegen die alten Mächte zu suchen waren?
Kwame Nkrumah (1909–1972) war in den 1960er Jahren nicht nur deshalb geachtet, verehrt und gehasst, weil er als erster Politiker 1957 sein Land in die Unabhängigkeit führte, sondern ebenso wegen seiner Idee einer „Philosophie und Ideologie zur Entkolonialisierung und Entwicklung mit besonderer Berücksichtigung der afrikanischen Revolution“, die er verwirklichen wollte. Nkrumah war nicht bloß pragmatischer Politiker, sondern auch Theoretiker. Zwar sollte Theorie nützlich für politische Ziele anzuwenden sein, aber eine Reduktion zum Beispiel philosophischer Überlegungen auf politischen Nutzen fand sich bei ihm nicht. „Nkrumah nahm Theorie ernst“, betonte Thomas L. Hodgkin in seinem für Présence Africaine verfassten Nachruf und sah darin ein Merkmal für die Radikalität Nkrumahs. Es liegt nahe, dass Nkrumah in einer für Umbrüche reifen Zeit offen für marxistische Thesen war.
Einfache Antworten auf ideologische Entweder-Oder-Fragen zum Wirken von Nkrumah sind gar nicht möglich. Jedoch kam der Staatsmann Nkrumah über eine „Standpunktphilosophie“ (Theodor W. Adorno) kaum hinaus, so dass es zwischen Vermittlung von Wissen und Durchsetzen des politischen Willens, Definition der Erfahrungen und Aufklärung als Staatsräson oft nur ein schmaler Grat war.
Der Historiker Ulrich van der Heyden hat auch unter diesem Blickwinkel mit seinem neuen Buch einen originellen Beitrag zu einer differenzierten Bewertung einer wichtigen historischen Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts geleistet. Er konzentriert sich jedoch auf die politische Bewertung Kwame Nkrumahs im Kontext des Kalten Krieges und unter den Bedingungen eingeschränkter Möglichkeiten, die politische, ökonomische und kulturelle Unabhängigkeit Ghanas tatsächlich souverän zu gestalten. Ost und West nahmen Einfluss und sahen Ghana wie Afrika insgesamt als Projektionsfläche für ihre Vorstellungen. Es ging um Einflusssphären in der Systemauseinandersetzung. Während es jedoch im Westen mehr um den Erhalt von politischem Einfluss ging, galten in den sozialistischen Ländern die nationalen Befreiungsbewegungen auch als Hoffnungsträger für eine Erneuerung und Internationalisierung des Sozialismus und Marxismus. In offiziellen Verlautbarungen war davon jedoch kaum etwas zu lesen, in den Vorlesungen der Leipziger und Berliner Afrikawissenschaftler durchaus. Auch Christian Mährdel, der im Buch als Beispiel eines orthodoxen Vertreters der Afrikanistik genannt wird, hat in Leipzig und ab 1991 in Wien zu kritischer und genauer Beschäftigung Studierender mit Afrika beigetragen. Doch der Grundmangel des Lehrbuch-ML war ein Geschichtsmodell, das auf den Sieg des Sozialismus ausgerichtet war und irgendwie versuchte, antikolonialistische und nationale Befreiungsbewegungen in den als gesetzmäßig aufgefassten Ablauf der Weltgeschichte einzupassen. Diese Sicht wurde erst langsam ab Ende der 1970er Jahre infrage gestellt, in Leipzig vor allem in Soziologie- und Philosophieseminaren.
Der Afrikahistoriker van der Heyden begibt sich nur selten auf das Feld theoretischer Debatten dieser Zeit. Vielmehr setzt er sich mit Akten und dokumentierten Ereignissen auseinander. Vor allem aber beschäftigt er sich mit der politischen Bewertung der Politik Kwame Nkrumahs und den damit verbundenen Fehleinschätzungen sowie Wunschvorstellungen von Politikern und Wissenschaftlern der DDR in den 1960er Jahren und weit darüber hinaus. Die politische Radikalisierung Nkrumahs hatte jedoch nicht nur mit falscher Beratung und eigenen politischen Fehleinschätzungen zu tun. Bei einem allzu engen Bündnis mit der DDR zum Beispiel hätte Ghana mit „ökonomischer Vergeltung“ durch die BRD rechnen müssen. Das wusste auch Nkrumah. Darauf weist der Autor hin und berichtet über Ereignisse und Zusammenhänge, in denen es immer wieder um die Konkurrenz zwischen DDR und BRD in Westafrika geht. Selbst die Nachrichtendienste werden differenziert beschrieben, ohne die heute meist übliche Dämonisierung des DDR-Geheimdienstes. Erinnert wird auch an die Hallstein-Doktrin, mit der die BRD lange erfolgreich die internationale diplomatische Anerkennung der DDR verhinderte.
Das praktizierte europäische Sozialismusmodell konnte für Linke im Westen kaum als leuchtendes Vorbild für eine zukünftige sozial gerechte und demokratische Gesellschaft gelten. Dieses Dilemma traf auch Nkrumah und andere Politiker der afrikanischen Befreiungsbewegung. Das war aber etwas Anderes als die pauschale Verurteilung Nkrumahs als Diktator im erwähnten Spiegel-Artikel oder von links außen als „Diener des Imperialismus“.
Ulrich van der Heyden: Kwame Nkrumah – Diktator oder Panafrikanist? Die politische Bewertung des ghanaischen Politikers in der DDR im Spannungsfeld der deutsch-deutschen Konkurrenz in Westafrika, WeltTrends, Potsdam 2017, 86 Seiten, 14,90 Euro.
Schlagwörter: Afrika, Gerd-Rüdiger Hoffmann, Ghana, Kolonialismus, Kwame Nkrumah, Systemauseinandersetzung, Ulrich van der Heiden