von Holger Politt, Warschau
Enttäuscht waren sie alle: Polens Linksdemokraten, als sie im Herbst 2015 mit dem von ihnen zusammengehaltenen Wahlbündnis knapp unter der für solche Bündnisse obligatorischen Achtprozenthürde geblieben waren, die Kommunisten in Tschechien, als sie im Oktober dieses Jahres im Rennen um die Parlamentssitze mit fast 7,8 Prozent nur noch unter „ferner liefen“ einkamen, so aber auch die Linken in den ostdeutschen Bundesländern, als sie bei den diesjährigen Bundestagswahlen mit dem Schnitt von 17 Prozent deutlich unter den Ergebnissen blieben, an die sie sich gewöhnt hatten. Erst der Vergleich untereinander bringt den gewichtigen Unterschied zutage.
Einst hatten alle drei linksgerichteten Kräfte, die mehr oder weniger in der Nachfolge der vormaligen Staatsparteien standen, nach turbulenten Entwicklungen schließlich ein ungefähr gleichgroßes Wählerpotenzial von 20, sogar 25 Prozent aus der Konkursmasse des untergegangenen Sozialismus in die neuen Zustände hinüberretten können. Das war eine hervorragende Ausgangslage für die weiteren Entwicklungen. In Polen hatte diese Lage schnell gereicht, um an die Regierung zu gelangen, Ministerpräsidenten zu stellen und schließlich Ende 1995 mit Aleksander Kwaśniewski den eigenen Kandidaten zum Sieg bei den Präsidentschaftswahlen zu führen. Dessen Losung war eindeutig: Wir wählen die Zukunft. Das auf schnelle Entwicklung angelegte Zukunftskonzept, das die jüngere Geschichte den Historikern überlassen wollte, schien aufzugehen, denn 2001 erhielten Polens Linksdemokraten bei den Parlamentswahlen fast die absolute Mehrheit der Sitze. Der Abstieg kam indes schneller als gedacht, denn seit 2005 sinken die Zustimmungswerte stetig und deutlich – jetzt steht bereits die Existenzfrage. Der Traum von einer Volkspartei, ohne die keine politische Machtfrage entschieden werden kann, war schnell geplatzt. Der Wind der Zukunftshoffnungen treibt nun ganz andere Optionen vor sich her, die Linksdemokraten haben Schwierigkeiten, überhaupt noch mitzukommen.
Im Vergleich dazu waren die Ergebnisse in Ostdeutschland und in Tschechien in den Nachwendejahren zunächst bescheidener, wenn auch kaum weniger respektabel. Die PDS hatte mit ihren hohen Werten in Ostdeutschland die Chance, sich dauerhaft als Bundestagspartei zu profilieren. Allerdings hätte das ohne dazukommenden Zuspruch auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik im Osten stabile Werte an der 30-Prozent-Marke bedeutet. Solche Werte wurden in einstigen Bezirksstädten auch erreicht, in Ostberlin kam die Partei gar an „polnische“ Werte heran. Erst mit der Gründung der Partei Die LINKE, die nun viel wirksamer als eine gesamtdeutsche Partei auftreten konnte, wurde die Abhängigkeit von den hohen Wahlergebnissen im Osten geringer. Dabei erreichte die Partei in einzelnen östlichen Bundesländern noch einmal Werte von fast 30 Prozent. Vor diesem Hintergrund scheinen nun die 17 Prozent in diesem Jahr enttäuschend zu sein, was sie aber gar nicht sind.
Die Kommunisten in Tschechien konnten sich schnell als dritte politische Kraft etablieren – neben den Sozialdemokraten und den Liberal-Konservativen. Die Werte zwischen 15 und 20 Prozent galten viele Jahre lang als stabil, was die Partei in einer sich dynamisch entwickelnden und vergleichsweise instabilen Parteienlandschaft zu einem Faktor verlässlicher Ruhe werden ließ. Manchmal schien es gar, als sollte das eigenwillige politische Konzept, den bestehenden Kapitalismus unbeschadet und möglichst unbefleckt zu überstehen, um den kommenden neuen Sozialismus im 21. Jahrhundert umso besser gestalten zu können, eine ideale Gestalt angenommen zu haben. Egal wie die Wellen auch strömten, die Flaschenpost mit dem Versprechen auf den neuen Sozialismus hielt den Kurs. Auch dahinter steckt eine beachtliche politische Leistung, allein die untrügliche Tendenz verriet, dass auch in Tschechien die Glanzzeiten des treuen, aus dem alten Sozialismus stammenden linken Wählerpotenzials vorübergehen werden. Wenn heuer in der Hauptstadt Prag nicht einmal fünf Prozent erreicht wurden und auch in anderen großen Städten wie Brno oder Plzeň die Marke nur noch knapp übersprungen werden konnte, wird die Krise manifest. Tschechiens Kommunisten sind nun bei den Werten der Linksdemokraten in Polen angelangt, die gravierenden Unterschiede in der politischen Ausrichtung und im politischen Selbstverständnis der beiden Gruppierungen scheinen da paradoxerweise eine gar nicht so entscheidende Rolle zu spielen. Wollen sie überleben, müssen neue Wählerressourcen aufgeschlossen werden, muss der Weg an das gegenüberliegende Ufer gefunden werden. Doch das gleicht ein wenig der nicht einfachen Situation, in der sich ihre Länder insgesamt befinden – der Sprung ans andere Ufer wird kein Spaziergang sein.
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