von Heinz Jakubowski
Jahrelang haben Martin und seine Kletterfreunde, die ihn Jodl nennen, weil er mit einschlägigem Jodel-Jubel den Erfolg seine Gipfelstürme in der Sächsischen Schweiz zu feiern pflegt, von noch größeren, ihnen aber verwehrten Herausforderungen am Felsen geträumt; die andere, die schweizerische Schweiz bot sich der Fantasie freilich regelrecht an. Nun, als am Sterbebett der DDR für die sächsischen Gipfelstürmer die Alpen in den Bereich des Möglichen gekommen sind, und Martin mit seiner Ehefrau den Eiger-Ort Grindelwald wirklich ansteuert, hat sich indes viel verändert seit den geliebten Eroberungen von Affenfelsen, Mönch, Falkenstein oder den böhmischen Tyrš-Türmen. Die DDR erlebt gerade ihr agonisches Ende zwischen Hoffnung und Enttäuschung, Freude und Sorge, Martins – alles andere als politikaffiner – Job ist perdu, die Ehe hat gelitten, die Gesellschaft krempelt sich zur Unkenntlichkeit um. Brechts Apercu aus dem Guten Menschen von Sezuan „Wir stehen selbst enttäuscht und seh’n betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen“ feiert Urständ.
Es ist – auch für den Dresdner Martin Menne – die Zeit für eine unumgängliche Neufindung.
Mitten in der Suche nach einer treffenden Bewertung des bisherigen Lebens und den Möglichkeiten eines „zweiten“ begeben er und Ehefrau Isolde sich im trotzigen Trabbi auf die lange West-Reise gen Süden, ahnend allerdings auch, dass der zuvor trotz allen gegenteiligen Mühens an Martins Physis nagende Zahn der Zeit die ultimative Erfüllung seiner Träume wohl kaum noch Wirklichkeit werden lassen wird…
Das in etwa ist jener Teil des wunderbaren Buches „Jodl der Kletterer“, dem sein Autor N. O. Mennescio nun aber eine virtuose ironische Brechung beigibt, indem Mennes im Werden begriffene Autobiografie ein fiktiver Dialog mit einem regelrecht mephistophelischen Berater namens Hannibal Lector begleitet.
Nicht dass diese Dialoge samt zum Teil ausformuliert büchermarktaffinen Änderungswünschen Hannibals die zeitgeschichtlichen Realitäten dieser eigentlich einfachen Beziehungsgeschichte zwischen Martin und Isolde lächerlich machten, keineswegs. Sie zeugen vielmehr, wie gute Satire eigentlich immer, von einer Souveränität der Betrachtung von individuellen und gesellschaftlichem Lebensumständen, die zum geschilderten Verlauf dieses eigentlich so normalen Lebens quasi eine komplementäre Erweiterung und Abrundung darstellt. Ein Kunstgriff des Autors, der aus dem Buch viel mehr macht als ein nostalgisches Anrufen der Vergangenheit, oder aber deren verständnis- und damit gnadenlose Aburteilung. Ein Buch also, das zurückführt in das denkwürdige Jahr zwischen Mauerfall und Vereinigungsakt. Es ist nachvollziehbar der Realität verpflichtet, aber frei von selbstbetrügerischem Selbstmitleid und voll von jenem intelligenten Humor, Selbstironie inklusive, von dem Charles Dickens sagt, dass dieser die Welt hinnimmt, wie sie ist, sie nicht zu verbessern und zu belehren sucht, sondern sie mit Weisheit erträgt.
Oder mit Shakespeares Worten: „Um ernst zu sein, genügt Dummheit, während zur Heiterkeit ein großer Verstand unerlässlich ist.“
N. O. Mennescio (Pseudonomen ist Omen) besitzt Weisheit und heiterkeitsfähigen Verstand in einem Maße, das unumwunden einen Glückwunsch verdient. Seinem Buch mögen viele Leser beschieden sein; Reue muss niemand befürchten; na gut, wer nicht lachen kann, schon…
Übrigens: Mennescio lässt seine Geschichte ziemlich abrupt abbrechen und bietet nun dem Leser an, sie zu vollenden. Der überzeugendste Vorschlag kann sich dann in einer Neuauflage des Buches wiederfinden…
N. O. Mennescio: Jodl der Kletterer, Enno-Verlag, Berlin 2017, 336 Seiten, 20 Euro. Weitere Informationen im Internet.
Schlagwörter: DDR, Heinz Jakubowski, N.O. Mennescio, Vergangenheit