von Erhard Crome
Die Wahl Emmanuel Macrons war bereits etwas Außergewöhnliches. Rechte Konservative und Liberale wie Linke unterschiedlicher Couleur in ganz Europa ersehnten seinen Sieg in der Stichwahl, schon weil sie Marine Le Pen und ihren Front National fürchteten. Der ungarische Linke Gáspár Miklós Tamás nannte es absonderlich, dass mit Macron ein entschiedener Vertreter des Neoliberalismus zum Präsidenten Frankreichs gewählt wurde und die Linke dies als einen grandiosen Sieg über die Rechte feierte. Davon war hier schon die Rede (Das Blättchen, 18/2017).
Politisch scheint er ein Naturtalent zu sein, ähnlich wie Sebastian Kurz in Österreich. Er hat die politische Landschaft in kürzester Zeit umgekrempelt. Die ersten internationalen Auftritte, auf EU- und NATO-Treffen, mit Kanzlerin Merkel, auf dem G7- und dem G20-Gipfel, als Gastgeber Donald Trumps absolvierte Macron auf eine Weise, als hätte er das schon seit Jahren gemacht: selbstsicher, stilgerecht, mit trefflicher Wortwahl. Innenpolitisch inszenierte er Großauftritte, etwa im Schloss Versailles, mit dem Pomp des Sonnenkönigs als seiner Aura.
Politisch erklärte er sich quer zu rechts und links und gewann Unterstützer aus beiden Lagern, die in Frankreich seit Jahren als unversöhnlich galten. Wirtschafts- und sozialpolitisch hat er die nachwirkende Schreckstarre der Linken vor dem Schatten Le Pens genutzt, um jene neoliberalen „Reformen“ auf den Weg zu bringen, an denen seine beiden Vorgänger gescheitert waren. Mit der Maßgabe „Das Recht der Bürger auf Sicherheit hat Vorrang vor individuellen Freiheitsrechten“ wurden Mitte Oktober wesentliche Teile des Ausnahmezustandes und der Anti-Terror-Gesetze, die nach den fürchterlichen Anschlägen von Paris durch Präsident François Hollande in Kraft gesetzt worden waren, in „normales Recht“ überführt. Damit werden die Freiheitsrechte im Land der Freiheitsrevolution in der Tat sichtbar reduziert. Aber kein lauter Aufschrei ertönt. Weil ER das macht.
Emmanuel Macrons Wahlprogramm hieß: „Europa“. Schon weil Le Pen den Austritt aus der EU, den Frexit nach dem Brexit propagiert hatte. Jetzt, nach dem Wahlsieg, sieht er die Umsetzung seiner europapolitischen Vorstellungen als zentrales Vorhaben seiner Präsidentschaft an, für das er das Mandat der französischen Wähler erhalten habe. Wenn die anderen Europäer, die ihn alle in der Auseinandersetzung mit Le Pen anfeuerten, jetzt zurückschrecken, ist seine Bejubelung pure Heuchelei gewesen. Am 27. September 2017, zwei Tage nach der deutschen Bundestagswahl, hat er in einer Grundsatzrede an der Pariser Universität Sorbonne seine europapolitischen Vorstellungen umrissen. Wenn Frankreich schon soziale Einschnitte nach deutschen Vorgaben vornimmt, sollen sie wenigstens einem höheren Zweck dienen. Und der heißt „Mehr EU“, so dass am Ende auch das starkleibige Deutschland zu europapolitischen Zwecken etwas abspecken müsste. In der anschließenden Diskussion mit Studenten an der Universität erklärte er auch den Termin seiner Rede: Er wollte sie nicht vor der Bundestagswahl halten, damit ihm niemand vorhalten könne, er habe sich in den deutschen Bundestagswahlkampf einmischen wollen. Andererseits wollte er nicht warten, bis die Koalitionsverhandlungen in Deutschland abgeschlossen sind, weil ihm dann gesagt würde, es seien zwar prima Ideen, aber die Europapolitik sei im Koalitionsvertrag bereits fest vertäut und deshalb gäbe es bis 2021 keine Spielräume.
Leitgedanke der Macron-Rede ist die „Souveränität Europas“. In der bisherigen französischen Debatte stehen sich EU-Befürworter und „Souveränisten“ gegenüber. Indem er die Souveränität auf die EU bezieht, versucht er, den Nationalisten den Souveränitätsbegriff zu entwinden. Die Union, die wir kennen, sei „zu schwach, zu langsam, zu ineffizient“. Deshalb müsse man ihr auf die Sprünge helfen. Denn „nur Europa gibt uns in der Welt Handlungsspielraum angesichts der großen Herausforderungen“. Es brauche ein anderes, ein starkes, gemeinsames und souveränes Europa. Nur so werde sich Europa auf Augenhöhe mit China und den USA befinden.
Das dürfte ein Gedanke sein, den er mit Angela Merkel teilt. Allerdings leitet Macron daraus ab, es sei ein gemeinsames Budget der Euro-Zone erforderlich. „Ein Budget geht natürlich nur mit starker politischer Führung, daher braucht es einen Finanzminister und eine parlamentarische Kontrolle. Nur die Euro-Zone mit einem starken Euro kann Europa den Rahmen geben, eine starke weltweite Wirtschaftsmacht zu sein.“ Dass der starke Euro Grundlage einer globalen Wirtschaftsmacht EU ist, dürfte von den herrschenden und regierenden Kreisen in Deutschland ebenfalls geteilt werden. Aber nicht auf der Grundlage eines gemeinsamen Budgets, eines Finanzministers, der in Brüssel und nicht in Berlin angesiedelt ist, und schon gar nicht unter der Voraussetzung einer Kontrolle durch das EU-Parlament oder ein noch zu schaffendes Parlament der Länder der Euro-Zone. Noch nie wollte dieses Deutschland, dass all die Habenichtse über den Euro mitbestimmen, der die wichtigste Waffe in der Auseinandersetzung mit den anderen Wirtschaftsgroßmächten ist. „Herr Dr. Schäuble“, wie der von diesem mit Eifer immer wieder düpierte frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis ihn stets ansprach, tritt nun als oberster Kassenwart ab. Wenn die FDP in der neuen Koalition diesen Posten übernimmt, wird es aber wohl nicht anders werden.
Unter der Überschrift: „Französische Horizonte gegen deutsche rote Linien“ schrieb im Magazin Cicero in seiner Online-Variante am 26. September 2017 Eric Bonse, Macron habe dem Europa der „Technokraten“ das Europa der Souveränität entgegengestellt, zur „Neugründung Europas“. Frankreich mache seine Hausaufgaben, nun sei Deutschland dran: „Wir machen Reformen, wir bauen unser Land um, aber wir machen das auch mit einer europäischen Ambition“, zitiert er Macron. Drei Tage später antwortete Klaus-Rüdiger Mai an selbiger Stelle, Deutschland zahle ohnehin schon am meisten. Wieviel der Exportweltmeister durch den gegenüber der deutschen Wirtschaftskraft unterbewerteten Euro zusätzlich erlöst, erwähnte er nicht. Stattdessen meinte er, Macron habe zwar gefordert, Europa nicht den „Bürokraten“ zu überlassen, seine Vorschläge aber hätten zur Folge, neue, riesige Bürokratien zu schaffen, ein EU-Finanzminister werde ein Ministerium brauchen, ebenso eine neue EU-Asylbehörde. Macron sei „auf dem Holzweg in die Universalrepublik“. Auf diese Weise bestätigte der Autor Mai aber nur den Satz Macrons: „Ich habe keine roten Linien. Ich habe nur Horizonte.“
Merkel-Deutschland dagegen hat nur rote Linien. Und keine Horizonte. Schon der vorherige Präsident Frankreichs, François Hollande, war mit ambitionierten Vorstellungen zu EU-Europa angetreten und bei Merkel und den anderen Regierern in Deutschland gegen eine Wand gelaufen. Sein Scheitern war gewiss nicht nur Ergebnis der deutschen Intransigenz. Nach ihm kam Macron. Und wer kommt, wenn auch er scheitert?
Schlagwörter: Deutschland, Emmanuel Macron, EU, Euro, Frankreich