von Hubert Thielicke
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind die Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion bzw. Russland von einem ständigen Auf und Ab gekennzeichnet. Phasen der Spannungen werden von Zeiten der Zusammenarbeit im Zeichen von Verträgen abgelöst, auch in den Jahren seit Beendigung des Kalten Krieges. Gerade in der Endzeit der Regierung Barack Obamas spitzten sich die Beziehungen zu. Moskauer Hoffnungen auf eine Besserung unter dem neuen Präsidenten Donald Trump bestätigten sich nicht, im Gegenteil, die im Sommer 2017 vom Kongress beschlossenen und von Trump bestätigten Sanktionen wie auch die jüngsten Auseinandersetzungen rund um die gegenseitigen diplomatischen und konsularischen Missionen stellen einen weiteren Tiefpunkt dar.
Anfang September löste nun Anatoli Antonow den seit 2008 in Washington tätigen Botschafter Sergej Kisljak ab. Letzterer war im vergangenen Jahr durch seine Gespräche mit Vertretern des Trump-Wahlkampfteams – eigentlich ein normaler diplomatischer Vorgang – in die Schlagzeilen der US-amerikanischen Presse geraten, Teil der Kampagne über eine angebliche Einmischung Russlands in den Wahlkampf.
Sofort nach Bekanntgabe des Botschafterwechsels spekulierten die Medien eifrig über beide Botschafter: Während Kisljak ein Netzwerker sei, der Dinner-Diplomatie vorzöge und die Öffentlichkeit meide, so jedenfalls Spiegel Online, könnte mit Antonow der Stil direkter und lauter werden, er gelte als harter Verhandler. Die Berliner Zeitung apostrophierte Antonow gar als „lautstärksten russischen Propagandasprecher“ und „bärbeißigen Unterhändler“.
Der Stil beider Botschafter, ihr diplomatisches Vorgehen, mag sich unterscheiden, ganz sicher haben sie aber zwei wesentliche Gemeinsamkeiten. Erstens vertreten sie als erfahrene Diplomaten sowjetisch-russischer Schule nachdrücklich die Interessen ihres Heimatlandes. Zweitens kommen beide aus dem multilateralen Bereich des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten (MID), haben dort auf den Gebieten UNO, internationale Sicherheit und Rüstungskontrolle vielfältige Kenntnisse und Erfahrungen erworben.
Eine herausragende Rolle für die russisch-amerikanischen Beziehungen spielte Botschafter Antonow bereits 2009 und 2010, als er als Leiter der russischen Delegation in erheblichem Maße zum Abschluss des neuen START-Vertrages über die strategischen Offensivwaffen beitrug. Seine damalige US-Verhandlungspartnerin Rose Gottemoeller ist heute übrigens stellvertretende NATO-Generalsekretärin.
Der im westsibirischen Omsk 1955 geborene Anatoli Iwanowitsch Antonow absolvierte 1978 das Moskauer Institut für internationale Beziehungen (MGIMO). Danach war er mehr als 30 Jahre im MID-Apparat tätig, darunter 1995-1998 als stellvertretender Direktor der Abteilung für Fragen von Sicherheit und Abrüstung, später als stellvertretender Leiter der Mission bei der UNO in Genf und schließlich 2004-2011 als Direktor der Abteilung für Sicherheit und Abrüstung. Seine Doktorarbeit zum Thema „Die nukleare Rüstungskontrolle als Faktor zur Gewährleistung der nationalen und internationalen Sicherheit“ verteidigte er 2012 am Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen (IMEMO) der Russischen Akademie der Wissenschaften.
Ein beträchtlicher Karrieresprung gelang Antonow 2011, als er zum Vizeverteidigungsminister mit dem Aufgabenbereich internationale militärische Zusammenarbeit im Range eines Generals befördert wurde. Auch in dieser Funktion nahm er an internationalen Verhandlungen und Konferenzen teil. So informierte er auf der Tagung des Russland-NATO-Rates am 24. Juli 2013 nicht nur über das Manöver „Sapad 2013“ und weitere russische Militärübungen, sondern legte auch neue Vorschläge für Vertrauensbildung und Rüstungskontrolle vor, die allerdings infolge der Verschlechterung der Beziehungen nicht zum Tragen kamen. Im Dezember 2016 wechselte er zurück ins MID als stellvertretender Außenminister für militärpolitische Sicherheit. Das erfolgte bereits in Vorbereitung auf seine künftige Position als Botschafter in den USA, zu dem ihn Präsident Wladimir Putin am 21. August 2017 ernannte. Die EU und Kanada setzten ihn allerdings mit Blick auf seine Rolle bei der Eingliederung der Krim auf die Sanktionsliste.
In einem Interview, das die Zeitung Kommersant am 31. August veröffentlichte, äußerte sich Botschafter Antonow umfassend zu seiner künftigen Tätigkeit. Eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen sei möglich, jedoch nur auf der Basis der Prinzipien der Gleichberechtigung, der realen Achtung der Interessen und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, ohne Erpressungsversuche. Er werde alles dafür tun, um den Amerikanern zu verdeutlichen, dass „wir keine Feinde sind, sondern dass wir Partner sein müssen, zum Nutzen der Interessen Russlands und der USA“. Bei all dem dürfe nicht vergessen werden, dass beide Staaten, die über die größten Kernwaffenarsenale verfügen, eine besondere Verantwortung für die globale Stabilität und Sicherheit tragen. Es gebe viele Felder für eine Verbesserung der Beziehungen: Kampf gegen Terrorismus, Drogen und Cyberverbrechen, die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, die Regelung regionaler Krisen. Dazu seien eine ganze Reihe bilateraler Schritte möglich, wie die Zusammenarbeit zwischen dem Sicherheitsrat Russlands und dem Nationalen Sicherheitsrat der USA, Arbeitskontakte zwischen den Verteidigungsministern in Ergänzung zu den regulären Treffen der Außenminister. Außerdem wäre es an der Zeit, die Praxis gemeinsamer Treffen der Minister für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung wieder aufzunehmen – „Zwei plus zwei“. Im Rahmen des Kampfes gegen den Terrorismus seien Treffen der Leiter der Geheimdienste beider Staaten denkbar.
Fazit: Moskaus neuer Botschafter bringt sicher beste Voraussetzungen für seine Tätigkeit in Washington mit: ein erfahrener Diplomat mit militärischem Hintergrund, der nicht nur einen Draht zu Außenminister Rex Tillerson finden wird, sondern wohl auch zu den Generälen Kelly, Mattis und McMaster, die Präsident Trump als Stabschef, Verteidigungsminister und Sicherheitsberater umgeben. Man darf gespannt sein.
Schlagwörter: Anatoli Antonow, Diplomatie, Hubert Thielicke, Russland, USA