von Stephan Wohanka
Ein gutes halbes Jahr nach Donald Trumps Amtseinführung war im Blättchen (Nummer 15/2017) zu lesen: „Weshalb aber Trump der Errichter einer Tyrannei sein soll, ist mit keinem Wort begründet. Es gibt nur ein paar Satzfetzen aus Wahlkampfreden Trumps und Zitate von Steve Bannon, der als Präsidentenberater umgeht, von dem aber niemand genau weiß, ob er wirklich den ihm zugeschriebenen Einfluss hat“. „Tyrannei“? Nicht ganz, aber keinen Deut besser …
Ich weiß auch nicht, welchen Einfluss Bannon vor seinem Abgang auf den Präsidenten hatte, zumal er in der Hierarchie seiner Berater mal näher und mal ferner zu Trump gesehen wurde. Aber eines ist klar, es ist nachzulesen: Bannon deklarierte sich mehrmals stolz als „Leninist“. Einer seiner Gesprächspartner, ein ausgewiesener Kenner der Sowjetunion, fragte zurück: „Was zum Teufel meinen Sie?“ Bannon darauf: „Lenin wollte den Staat zerstören und das ist auch mein Ziel. Ich will alles zusammenbrechen lassen und das heutige Establishment zerstören.“ Dabei keinen Zweifel daran lassend, wen oder was er für das Establishment hält – nicht nur die gegnerischen Demokraten, nein auch die – wenn man so will – „Regierungspartei“ der Republikaner einschließlich ihrer Führer in Senat und Repräsentantenhaus, die traditionell konservative (!) Presse … Was das Zerstörte ersetzen sollte – dazu ist von Bannon nichts zu hören.
Schon vor dessen Rauswurf, oder freiwilligem Rückzug, was zählt das schon, war Trump bereits der bessere „Leninist“; der Duktus seiner Wahlkampfreden zeugt davon. „Die Kunst eines jeden Propagandisten und Agitators besteht eben darin, einen gegebenen Hörerkreis auf die beste Weise zu beeinflussen, indem er eine bestimmte Wahrheit so darstellt, dass sie für diesen Hörerkreis möglichst überzeugend ist, dieser Kreis sie sich möglichst leicht zu eigen machen kann, sie für ihn möglichst anschaulich und fest einprägsam ist.“ Nur dass es bei Trump nicht mal mehr – wie noch in Lenins Formulierung – um „Wahrheit“ ging. Seine Lügenpropaganda war so erfolgreich, dass sein „Hörerkreis“ bis heute freiwillig in geistiger Unterwürfigkeit zu seinem Idol verharrt, trotz einer desaströsen Regierungsbilanz, nichterfüllter Versprechen. Von dort wird ihm weiter applaudiert, wenn er an der Pressefreiheit sägt, den Kongress zu entmachten und die Justiz zu delegitimieren sucht. Er beleidigt, er lügt, er pöbelt und hetzt. Er ruft zu Polizeigewalt auf und nennt das nachher einen Scherz. Er unterminiert die amerikanische Gesellschaft.
Wenn in der Presse vom „entfesselten Darwinismus“ in Trumps unmittelbarem Arbeitsumfeld die Rede ist, der „dem narzisstischen Ego des Milliardärs“ gefalle, dann ist das eine richtige, jedoch unzureichende Beobachtung. Der „Personenverschleiß des Präsidenten in nur sechs Monaten“ ist nicht nur „beachtlich“; nein, er ist Programm! Die Bestallung der Mitarbeiter mit immer den gleichen Floskeln von „doing a great job“ und anschließend die öffentliche Erniedrigung und der Rausschmiss „you are fired“ untergräbt systematisch die zivilisatorischen Usancen, die Formen von Höflichkeit und Respekt, die die Zusammenarbeit von Menschen prägen.
Meinten einige mit der Nominierung des Exgenerals John Kelly als neuem Stabschef des Weißen Hauses Hoffnung auf geordnetere Abläufe schöpfen zu können, so währte diese gerade elf Tage, bis Trumps Verbalattacke gegen Nordkorea auch Kelly „überraschte“. „Fire and fury“ (Feuer und Zorn) – Trumps Worte – finden sich bei Jesaja 66:15; wahrscheinlicher ist, dass er sie aus dem Online-Kriegsspiel „World of Warcraft“ kennt, zu dessen Investoren Bannon zählt. Inmitten der verbalen Eskalationsspirale gegenüber Nordkorea drohte Trump eben mal en passant auch Venezuela mit Krieg – was ist das anderes als die Desavouierung, die Kompromittierung jedweder Außenpolitik? Zumal wenn er dem auf seine Drohungen hin von Nordkorea ins Visier genommenen US-amerikanischen Territorium Guam so wachsende Bekanntheit und touristische Perspektiven bescheinigt. Real-satirischer Höhepunkt ist der Dank Trumps an Putin dafür, dass der Rauswurf von 755 Mitarbeitern der Botschaft in Russland den USA „eine Menge Geld“ spare. Ein aktiver Außenamtsmitarbeiter dazu: „Ich habe keine druckfähigen Worte, um meine Reaktion zu beschreiben.“ Ins Bild passt, dass der Etatentwurf für das State Department massiv zusammengestrichen wurde, fünf von sieben Staatssekretärsposten verwaist und noch 60 Botschafterposten weltweit vakant sind … Kritisierte Trump seinen Vorgänger Barack Obama dafür, der mache eine „vorhersehbare“ Außenpolitik, so macht Trump nicht nur keine „unberechenbare“, sondern verachtet, ja zerstört sie.
Auch die Destruktion im Innern treibt Trump voran. Nachdem hunderte Neonazis mit Fackeln und Hakenkreuz-Fahnen marodierend durch das friedliche College-Städtchen Charlottesville gezogen waren, den Hitler-Gruß gezeigt und „Sieg Trump“ gegrölt hatten, wandte sich der Präsident, um einen direkten Kommentar zum Terror des weißen Rassistenmobs gebeten, wortlos ab. (Später korrigierte er sich ein wenig, um danach auch die Korrektur wieder zurückzunehmen.) Trumps Schweigen ist nur folgerichtig: Er hat mit rassistischen Parolen, die in der Verleumdungskampagne gegen seinen angeblich unamerikanischen Vorgänger gipfelten, die spalterische Saat gesät, die nun aufgeht. Er hat die krebsgleiche Wucherung des Hasses in der Gesellschaft mit maßlosen Ausfällen gegen seine Gegenkandidatin Hillary Clinton („Werft sie in den Knast“), die Presse („Feinde des Volkes“) und ausländische Straftäter („Tiere“) ausgelöst.
Auch wenn Kommentatoren meinen, Trump ginge es vor allem darum, seine weiße, nur mäßig gebildete und zornige Wählerschicht nicht zu vergrätzen, indem er die extreme Rechte mit der „politisch korrekten“ Sprache des „liberalen Washingtoner Establishments“ verurteile und so marginalisiere, ist es doch klar, dass er auch jene widerliche Mischung aus Islamhassern, Rassisten und Neonazis um keinen Preis verlieren will. Trump braucht diese Basis mehr denn je. Je magerer seine Regierungsbilanz, desto dringender muss er dieselbe mit politischem Spektakel und der emotionalen Aufladung der Konflikte bei Laune halten; was er auch regelmäßig mit morgendlichen Twitterergüssen und proletenhaften Auftritten im Lande tut.
Geordnete Verfahren im Inneren und im Äußeren interessieren den brachialen Choleriker nicht; er verachtet sie. Statt mühsamer Absprachen mit Senat und Repräsentantenhaus oder diplomatischer Verhandlungen mit anderen Nationen setzt er auf Konfrontation. Nicht der Kompromiss ist sein Ziel, sondern der Deal, der ihn als Sieger dastehen lässt. Trumps dauerndes Spiel von Fakten und „alternativen“ Fakten, selbst wenn es um rundum gesicherte Erkenntnisse geht, führt am Ende dazu, dass die Menschen den Faden verlieren. Dem pathologischen Lügner ging und geht es nie um Tatsachen und deren Bewertung – sein Ziel ist die Zerstörung der gegenwärtigen US-amerikanischen Gesellschaft, die Annihilation ihrer zivilgesellschaftlichen Werte. Was danach kommen soll – davon ist auch von ihm nichts zu hören. Sich politisch nur über Feindbilder zu definieren, dürfte aber selbst für Trump auf Dauer schiefgehen.
Schlagwörter: Donald Trump, Lenin, Rechtsstaat, Stephan Wohanka, Steve Bannon