20. Jahrgang | Nummer 18 | 28. August 2017

Von Musen und Künsten

von Renate Hoffmann

Ein Gemälde in der Münchner Neuen Pinakothek machte mich aufmerksam und ein Postulat von Christoph Martin Wieland.
Das große Bild versammelt die neun Musen in einer felsigen Ideallandschaft mit Wald und Busch und Fernblick um Apollon, ihren geistigen Führer. Wahrscheinlich ist es der Parnass, der „Berg der Poesie“, auf dem sie lagern und sich dem schöngestaltigen Gott verehrend, bewundernd, elegisch, neugierig, wohl auch ein wenig gelangweilt, sinnend, temperamentvoll, abschätzend, verträumt zuwenden. Bis auf eine: Urania. Als Beschützerin der Astronomie schaut sie nach den Sternen. Ihr zu Füßen liegen die Himmelskugel und als weitere Beigabe ein Zirkel, anstelle des Zeigestabes, den man sonst Uranien zuspricht.
Daneben Thalia, die Schwungvolle, mit der lachenden Maske und zuständig für das Lustspiel. Die besonnene Kalliope, Vertreterin der epischen Dichtung, trägt ein Schreibtäfelchen bei sich. Und Melpomene mit der ernsten Maske und ernsten Miene, Muse der tragischen Dichtkunst, sieht verwundert nach der kämpferischen Schwester Klio, Schutzherrin der Geschichtsschreibung. Der Maler gab ihr Trompete, Schwert und Lorbeerzweig als Attribute ins Bild.
Polyhymnia, melancholisch gestimmt, verliert sich in Gedanken. Die Schriftrolle, ihr zur Seite, enthält gewiss Hymnen und ernste Gesänge, die sie für feierliche Anlässe bereithält. Die Muse des Tanzes und des Lyraspiels – Terpsichore, die „Tanzfrohe“ –  sitzt geruhsam auf einem Stein, die Kithara im Schoß, als Zeichen ihrer Zuständigkeit. Wo bleiben Lebendigkeit und zierliche Bewegung? Euterpe und Erato hingegen, diese mit Rosen im Lockenhaar, der Liebesdichtung gebührend, jene, als Muse der Lyrik und Tonkunst, hält die Flöte (eigentlich die Doppelflöte) in der Hand – sie eilen mit wehenden Gewändern zum Versammlungsort, um ihren Meister nicht zu erzürnen.
Apoll ist der selbstgefällige Mittelpunkt in der Damenschar. Er greift emphatisch in die Saiten der Kithara und lässt sich huldigen. Denn die blumenbekränzten und leichtbekleideten Schönen sind ihm allesamt zugetan. Er ist eben ein mächtiger Gott.
Die Komposition „Apollo und die Musen“ (Öl auf Leinwand, 245 x 449 cm) des Malers Heinrich Maria von Hess (1798–1863) entstand im Jahr 1826 als Auftragswerk des bayerischen Königshauses.
Und was die Musen angeht, so gelten sie als Beschützerinnen der Künste, regen an und sind den Menschen wohlgesinnt. Sie verschenken „Musenküsse“, beflügeln die „Musensöhne“ (und -Töchter) und sorgen für eine harmonische Ordnung.
Das Weitere ergänzt Christoph Martin Wieland (1733–1813) auf kluge Weise. Er schreibt 1775: „Das Unglück ist, dass die meisten, die mitregieren oder regieren helfen, Musik, Poesie, Schauspiel und schöne Künste überhaupt nur als zeitvertreibende Künste, deren Zweck bloß Augen- und Ohrenkitzel sei, betrachten und (entweder aus Vorurteilen einer pedantischen Erziehung oder Mangel an Fähigkeit, ein wenig tiefer in den Zusammenhang der menschlichen Dinge hineinzuschauen) nicht einsehen, was für allvermögende, unerschöpfliche Kräfte zur Vervollkommnung der Menschheit in diesen Künsten liegen.“

Ein Loblied zum 85.

Lesern des Blättchens und auch der Weltbühne aus DDR-Zeiten ist der Name Renate Hoffmann ein Begriff. Zuverlässig holt sie alle zwei Wochen den vielleicht ob der Analysen der besorgniserregenden Entwicklungen in der Welt frustrierten oder erschöpften Leser ab – und verführt ihn mit leichtfüßigen Wanderungen, voll Humor, Schreibkunst und Wissbegier, zu neuen Erkenntnissen und einem Lächeln. Renate Hoffmann spaziert durch Gärten, Parks, Schlösser, durch die Welten der Vergangenheit und der Literatur und lässt den Leser (und die Redaktion) teilhaben an ihrer Freude an deren Schönheit. Und ab und an, manchmal vielleicht, wenn die Sorgen sehr überhand nehmen, vergnügt sie uns mit Gereimtem über die Welt.
Nun feiert sie ihren 85. Geburtstag. Wir danken ihr für die zahlreichen Mutmacher und gratulieren. Wir freuen uns, wenn Sie uns für die nächsten Reisen wieder abholen.

Ihre Blättchen-Redaktion