von Jan Opal, Gniezno
Polens Nationalkonservative haben gewiss gute Gründe, nun plötzlich die deutsche Frage in den Raum der politischen Auseinandersetzung zu schieben. Einer der Gründe ist wieder einmal die geschichtspolitische Offensive, die gebraucht wird, um die innenpolitischen Diskussionen in der Öffentlichkeit auf eingefahrenen Gleisen zu halten. Nichts liegt da näher, als den 1. August, an dem 1944 der Warschauer Aufstand ausbrach, als Gelegenheit zu nutzen, das deutsche Thema wieder in kräftigeren, sogar grellen Farben zu gestalten. Selbstverständlich weiß in Polen jedes Schulkind von den ungeheuren Verbrechen der Deutschen, die während der Okkupation in Polen verübt wurden. Und selbstverständlich weiß jedes Schulkind, dass von einer Wiedergutmachung angesichts dieser Verbrechensbilanz gar nicht die Rede sein kann. Ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis zwischen Polen und Deutschland hat sich seitdem trotzdem eingerenkt – auch das wissen die meisten.
Als erster brachte ein Hinterbänkler im Sejm das Thema der Reparationen ins Spiel, ein Thema, das seinerzeit Lech Kaczyński sehr umtrieb, als er als Stadtpräsident Warschaus im Zusammenhang mit der Errichtung eines Museums für den Warschauer Aufstand, das 2004 eingeweiht wurde, von der Notwendigkeit sprach, die Zerstörungen und das menschliche Leid Warschaus während der deutschen Okkupation materiell aufzurechnen. Begonnen wurde damals bereits mit umfangreichen Bilanzierungen, die allerdings nicht fortgesetzt wurden, nachdem Lech Kaczyński im Oktober 2005 zum Staatspräsidenten gewählt worden war und das Rathaus in Warschau in die Hände der Wirtschaftsliberalen fiel.
In diesem Jahr wurde nicht erst lange gerechnet – die entsprechende Zahl wurde postwendend dem Publikum präsentiert: 1,5 Billionen Euro schuldeten die Deutschen den Polen. Daran ändere die Mitgliedschaft beider Länder in NATO und Europäischer Union, daran änderten die Verträge über gute Nachbarschaft wenig. So der Tenor, der übersetzt eigentlich nur Folgendes besagen kann: Die Oder-Neiße-Grenze, die NATO-Mitgliedschaft und die EU-Mitgliedschaft gleichen genau besehen eher einem Trostpflästerchen, denn in der anderen Schale auf der Waage liegen der Verrat des Westens am polnischen Verbündeten ausgangs des Zweiten Weltkriegs und die schwere, nicht abgegoltene deutsche Schuld.
So weit, so gut. Eigenartig ist nur, dass all diese Argumentation gar nicht so sehr gegen die heute lebenden Deutschen gerichtet ist, auch rechnet wohl niemand bei den Nationalkonservativen damit, dass die Bundesregierung sich auf den Handel einlassen könnte und dass demonstrierende Menschen in Polen öffentlichen Druck in diese Richtung ausüben werden, nein, die Sache wurde eifrig betrieben, um in erster Linie den innenpolitischen Gegner zu treffen. Ein führendes Meinungsblatt im nationalkonservativen Lager machte großartig auf mit dem Bild des berühmten Schlagbaums an der deutsch-polnischen Grenze im damaligen Oberschlesien, den Wehrmachtssoldaten bei Kriegsbeginn einfach beiseiteschoben. Doch unter den deutschen Stahlhelmen grinsen den Leser nun Grzegorz Schetyna und weitere Gesichter aus Oppositionskreisen an.
Hintergrund ist, dass aus dem liberalen Lager heraus schnell eingeworfen wurde, wie wenig Handhabe es gebe, wenn heute von den Deutschen Reparationen gefordert würden, auch deshalb, weil die Volksrepublik Polen 1953 offiziell darauf verzichtet habe. Und schließlich hätten Polens Bischöfe 1965 an die deutschen Bischöfe geschrieben: Wir vergeben und bitten um Vergebung. Von zuvor zu leistender Reparation sei dabei nicht mehr die Rede gewesen.
Auch deshalb gibt es aus dem nationalkonservativen Lager eine Anfrage an das Außenministerium, ob denn die Regierung der sogenannten Volksrepublik Polen eine gesellschaftliche Legitimation besessen habe, auf die Reparation zu verzichten, denn es habe sich um eine Regierung gehandelt, die auf betrügerische Art eingesetzt worden und abhängig von der Sowjetunion gewesen sei. Ein stellvertretender Minister antwortete darauf völlig korrekt, dass das Potsdamer Abkommen die Frage der Reparationen für Polen im Rahmen der Reparationen für die Sowjetunion zu lösen aufgegeben habe. Nachdem Moskau 1953 auf die Reparationen aus der DDR verzichtet habe, habe auch Warschau darauf verzichtet, allerdings nicht nur gegenüber der DDR, sondern gegenüber ganz Deutschland. Unabhängig von heutigen Bewertungen müsse anerkannt werden, dass die damalige Erklärung ein völkerrechtlich bindender Akt des polnischen Staates gewesen sei. Zugleich wurde auf einen Beschluss der Regierung Polens unter Ministerpräsident Marek Belka vom Oktober 2004 verwiesen, wonach die Entscheidung von 1953 der damaligen verfassungsmäßigen Ordnung entsprochen habe und eine mögliche Einmischung seitens der Sowjetunion nicht als Verletzung des Völkerrechts gewertet werden könne. Der Vizeminister betonte ausdrücklich, dass sich die Haltung der Regierung Polens in dieser Frage seit 2004 nicht geändert habe! Ausdrücklich bezog er sich auf die geltende Verfassung.
Allerdings bleibt bis zur Stunde offen, ob auch der Minister sich dieser Lesart in seinem Hause anschließen wird. Im Regierungsfernsehen hatte er etwas ausflüchtend zu Protokoll gegeben, dass die Entscheidung von 1953 insofern fraglich sei, als man ja gar nicht wisse, worauf dort eigentlich verzichtet worden sei. Die Hartnäckigen unter den Nationalkonservativen werden, solange niemand mit politischem Einfluss sie zurückpfeift, wohl nicht locker lassen. Sie gehen weiter davon aus, dass sich aus der deutschen Frage auch im Jahre 2017 politisches Kapital schlagen lässt.
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