von Günter Hayn
Der griechische Philosoph Aristoteles hat auch darüber nachgedacht, wie ein Land am besten zu regieren sei. Immerhin war er Lehrer des Prinzen Alexander, der einmal die halbe Welt erobern sollte. Aristoteles favorisierte die Monarchie und die Politie, eine Art „Vernunftdiktatur“. Tyrannis und Demokratie lehnte er gleichermaßen ab, da sie nur dem Eigennutz der Herrschenden dienten. Allenfalls die Quantität der Herrschenden mache seines Erachtens den Unterschied zwischen beiden aus.
Auch der Fraktionsvorsitzende der Berliner Linksfraktion, Udo Wolf, hatte mit seiner Kollegin Carola Bluhm vor einem knappen Jahr über die Fragestellungen des Aristoteles nachgedacht. Dann beschrieben beide ein mehrseitiges Papier, das sie in der blumenreichen Sprache des Ostens „Besser regieren heißt auch anders regieren“ übertitelten. Im Kern handelt es sich um eine Art Polit-Knigge für Koalitionsparteien. Dieser Verhaltenskodex läuft darauf hinaus, dass das Parteivolk, wie Heinrich Heine sagen würde, „das Maul zu halten“ habe. Die Regierenden jedoch müssten einander „auf Augenhöhe begegnen“ und dann bei verschlossenen Türen – Medien, igittigitt, die sind uns ja feindlich gesonnen … – die Konflikte wegbesprechen, um eine stressfreie Position präsentieren zu können. Wolf nannte das jetzt im Interview mit der Berliner Zeitung „gemeinsam Ergebnisse liefern“.
Das erinnert an die Politie des Aristoteles.
Udo Wolf wird protestierend einwenden, dass er und seine Kollegen vom Volke gewählt worden seien und unser Land ja demokratisch verfasst sei. Das stimmt. Ich bin mir nun nicht sicher, ob Wolf den Aristoteles gelesen hat. Diesen Satz aber kennt er unter Garantie: „Das Kriterium der Wahrheit kann nur die gesellschaftliche Praxis sein.“ Das stammt von Mao Tse-Tung. Maos Schriften wurden in der Kreuzberger WG, in der die Brüder Wolf neben anderen West-Berliner AL-Matadoren vor dem Mauerfall kampierten, intensiv gelesen.
Nehmen wir also Mao anhand eines praktischen Beispiels wörtlich. Selbst Wolf geht davon aus, dass der Berliner Senat im September den Volksentscheid zur Offenhaltung des Flughafens Tegel verlieren könnte. Natürlich werde man dann, so der Vordenker, prüfen, ob man den Flughafen Tegel nach der Eröffnung des BER offen halten könne: „Nach Lage der Dinge wird dabei rauskommen, dass es keinen rechtlichen und fiskalischen Spielraum gibt.“ Hier liegt die Schnittmenge zwischen Aristoteles, Mao und Wolf verborgen: Demokratie ist, wenn gemacht wird, was ich richtig finde, und eine Prüfung hat immer „ergebnisorientiert“ zu verlaufen.
Man muss dem LINKE-Fraktionschef allerdings zugutehalten, dass er selbst in der eigenen Partei als „Generalist“ eingestuft wird. Generalisten in der Politik sind Leute, die von vielem ein wenig, aber von nichts richtig Ahnung haben. Udo Wolf ist ein guter Bergsteiger. Und er ist felsenfest der Überzeugung, dass das Nichthandeln seiner Koalition in entscheidenden Lebensfragen der Hauptstadt damit zu tun habe, dass sich in der „in Deutschland immer noch relativ neuen Dreierkonstellation […] manches erst einüben müsse“.
Vielleicht sollte er „Besser regieren heißt auch anders regieren“ als kleines, in rotes Leder gebundenes Taschenbüchlein für die stets Dienstagmorgen stattfindende Koalitionsteestunde produzieren lassen. Jede Woche trägt ein anderer Senator jeweils einen anderen Absatz vor. Der Regierende Bürgermeister muss zuhören.
Und bis das Büchlein fertig ist, wird ein Couplet des berühmten Berliner Varieté-Künstlers Otto Reutter eingespielt: „Der gewissenhafte Maurer“.
Genauso funktioniert der Laden.
Schlagwörter: Aristoteles, Berliner Linksfraktion, Carola Bluhm, Günter Hayn, Udo Wolf