von Dieter Naumann
Der rügensche Heimatforscher Johann Jacob Grümbke (1771–1849) schrieb 1803 bei seinem Besuch von Mönchgut über die dortige Bevölkerung: Dem Mönchguter „ist sein Ländchen seine Welt, wohin er immer wieder zurückkehrt […] Er lebt unter Brüdern und Verwandten, und da selbst seines Landes Lage ihn isoliert und er mit dem übrigen Rügen in keiner persönlichen Verbindung steht (denn die Mönchguter heiraten in der Regel bloß untereinander), hat sich unter diesem Fischervolk noch eine gewisse patriarchalische Einfalt des Charakters und in der Sprache, Kleidung, den Sitten usw. eine Eigentümlichkeit erhalten, die den Mönchguter vor allem rügianischen Landvolk auszeichnet.“
Carl Schneider vermerkte in seinem „Reisegesellschafter“ von 1823 :„[…] selten nur heirathet eine Mönchgutherin einen Ausländer“. In Volckmanns Reiseführer von 1913–1914 heißt es, diese Abschottung habe „nicht gerade zur Veredelung des Völkchens beigetragen“. Auch Fritz Worm stellte 1898 in diesem Zusammenhang in seinen „Mönchguter Bildern“ sarkastisch fest: „Wer nicht Looks und Koos heisst, nun, der heisst dann entweder Besch, Wittmiss od. Kliesow, denn andere Namen sind fast ausgeschlossen.“
Was hier am Beispiel von Mönchgut dargestellt wird, traf durchaus auch auf andere Teile der Insel zu, beispielsweise auf Ummanz und Wittow sowie auf Hiddensee. Die Bewohner der Inselteile erkannten einander häufig gar nicht als Landsleute an. So sagten die Wittower noch vor gar nicht so langer Zeit, wenn sie mit dem Kleinbahntrajekt der Wittower Fähre über den Boddenstrom fuhren: „Nu geiht dat na Rügen.“
Zurück zu Mönchgut. Unter den geschilderten Bedingungen konnten einzelne Familiennamen mehrfach innerhalb einer Ortschaft vorkommen. So gab es auf Mönchgut mehrere Familien mit dem Namen Lokenvitz. Wenn in diesen Familien die Söhne zufällig den gleichen Vornamen trugen (zum Beispiel Korl), so war es natürlich schwierig zu unterscheiden, zu welcher Familie der eine und zu welcher der andere Korl Lokenvitz gehörte. Um dennoch Familien und Personen voneinander unterscheiden zu können, half man sich mit „Binamen“ (Beinamen). Der Rufname des Sohnes wurde mit dem des Vaters zusammengesetzt, wobei des Vaters Vorname an erster Stelle stand. Johannkorl war folglich der Sohn von Johann Lokenvitz, Franzkorl der von Franz Lokenvitz. Oder der Vorname wurde mit einer Ortsbezeichnung verbunden, die sich auf die Lage das Hauses bezog: Eckkorl wohnte an einer Biegung, Nedkorl hatte sein Haus unten im Dorf, Brinkkorl wohnte auf einem freien Platz im Dorf, dem so genannten Brinken. Lüttkorl und Grootkorl wurden wegen ihrer Körpergröße, Rootkorl wegen seiner roten Gesichts- oder Haarfarbe mit entsprechenden Binamen versehen. Käterkorl hatte einen Großvater, der Kossat war, Jägerkorl hatte früher bei den Jägern gedient, der Tuter spielte in einer Mönchguter Kapelle – sein Sohn hieß folgerichtig Tuter-Korl, ein ehemaliger Tambour beim Militär hieß Tambur oder auch Trommelschläger.
Frauen wurden übrigens niemals nach ihren Männern benannt, ihre Beinamen standen stattdessen häufig in Verbindung mit den Namen ihrer Väter. So hieß Marie, die Tochter von Franzkorl, Franzmarieken, die Tochter des Bürgermeisters (Dorfschulzen) wurde Schultenhanne gerufen, die Tochter von Nedkorl, Regine, hieß Nedsregin.
Nur unter den Männern gab es darüber hinaus sogenannte Ökelnamen (wörtlich: Ekelname, möglicherweise abgeleitet vom germanischen „auk“ = mehren), das waren reine Spott-, Neck- oder Spitznamen, die von der scharfen Beobachtungsgabe und vom Witz der Mönchguter zeugten. Nicht zu Unrecht stellte der vermutlich kleinste Rügen-Reiseführer aus der Reihe Miniaturbibliothek bei den Mönchgutern einen gesunden, etwas derben Humor fest, „den allerdings meist nur der Sprachkundige recht versteht“.
Die Rügenliteratur (hier eine unveröffentlichte Ortschronik) kennt viele Beispiele: Ein Mönchguter wurde wegen seines Riechorgans „Nasenkönig“ genannt, ein weiterer wegen seines gravitätischen Gebarens „Graf“. Der „Klätterjakob“ hatte früher bei den Ulanen gedient und in seiner Eitelkeit gern mit den Sporen geklappert, der weißhaarige „Schimmelpost“ war begierig, Liebesgeschichten zu erfahren, um sie brühwarm im Dorf erzählen zu können. „De Schepper“ war ein Büdner, der sich auf der gemeinsamen Weide immer mehr Schafe hielt, als ihm rechtlich eigentlich erlaubt war, „Passiert“ hatte die Angewohnheit, jeden, den er traf zu fragen: „Wat is denn passiert?“
Die Spottnamen konnten sich durchaus über viele Jahrzehnte erhalten. So ist im Kirchenbuch von Groß Zicker 1760 ein Looks eingetragen mit der Bemerkung „de Schriewer genannt“, weil er sich wohl zu jener Zeit bereits aufs Schreiben verstand. Da sich die Ökelnamen teilweise von Generation zu Generation vererbten, konnte man sich bei einigen Personen bald nicht mehr an deren richtige Namen erinnern.
Einige der Ökelnamen fanden sogar Eingang in Verwaltungs- und Geschäftsvorgänge: Ein Bauer hieß „Vize“, weil nicht er, sondern seine Schwiegermutter das Regiment im Haus führte. Eines Tages kam ein Brief von einem Kaufmann aus Stralsund, gerichtet an „Herrn Vize in Groß Zicker“.
Um die hohen Kosten für größere Fischfanggeräte und Boote sowie die allein kaum zu bewältigenden Mühen ihrer Handhabung zu teilen, schlossen sich die Fischer schon frühzeitig zu Gemeinschaften zusammen, die Fischerkommunen, -kommünen, -partien oder -kompagnien genannt wurden. Auch für sie verwendete man gern Ökelnamen, um sie durch möglichst treffende und leicht zu merkende Bezeichnungen unterscheiden zu können. Reinhard Peesch hat viele von ihnen in „Die Fischerkommunen auf Rügen und Hiddensee“ (Berlin 1961), einem der Standardwerke der Rügenliteratur, gesammelt:
Einige der Kommünen hatten Spitznamen, die sich an den Heimatorten orientierten – wie „de Dörpchen“ und „de Höftschen“ (in Gager) sowie „de Wreecher“ (in Wreechen) oder „de Zuderschen“ (in Zudar). Andere Ökelnamen spielten auf das Alter der Kommüne oder das ihrer Gründungsmitglieder an – wie „de Olln“ (in Neukamp und in Baabe) oder „de groten Jungs“ und „de lütten Jungs“ (in Saßnitz). Auch auf die Anzahl der Mitglieder oder deren soziale Stellung wurde Bezug genommen – „de Nägenmänner“ (neun Mitglieder) und „Zwölfapostel“ (in Neukamp), „de Buern“ und „de Büdners“ (in Alt Reddevitz), „de Husbesitzer“ (in Sellin). Andere Namen dürften einfach nur spöttisch gemeint gewesen sein – wie „de Schinners“, die ihre Arbeit wohl besonders eifrig betrieben haben (in Neuendorf-Lauterbach), und „de Schnurrer“ (in Sellin).
Mit Ökelnamen versah man auch gern die von den Fischern und ihren Kommünen benutzten Ruderboote, sicherlich weniger zur Unterscheidung als dazu, sich gegenseitig aufzuziehen. Wolfgang Rudolph (Die Boote der Gewässer um Rügen, Berlin 1961) hat einige davon mit den entsprechenden plattdeutschen Erläuterungen versehen, die hier zum besseren Verständnis „übersetzt“ werden: In Baabe hieß eines der Boote „Flunner“ (Flunder), weil es breit und mit flachem Bug versehen war. „Trünnelschipp“ hieß ein Boot, das leicht aus dem Kurs dründelte (drehte). „Dat Uboot“ nahm so viel Wasser auf, das es angeblich ständig unter Wasser fuhr. „Gambrinus“ soll so „breedbostig“ (breitbrüstig) wie eine Schlachtermamsell gewesen sein. In Thiessow wurde ein Boot „Blasius“ genannt, weil es beim Teeren (Konservieren) ständig Blasen aufwarf. „Lahme Ent“ muss nicht erklärt werden, „Rottgoos“ (Brandgans) hieß ein Boot wegen seiner Rostflecke, „Osterei“ ein anderes, das vorn und hinten scharf geschnitten, in der Mitte aber von ganz runder Gestalt war. Um das Göhrener „Rewoluzjonsboot“ hatte es in der Vergangenheit viel aufregende Eignerschaftsstreitigkeiten gegeben.
Wie viele andere Mönchguter Eigenheiten dürften auch die Ökelnamen mehr und mehr der Vergangenheit angehören …
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