von Jerry Sommer
Nordkorea arbeitet intensiv daran, sein Militärpotenzial zu stärken. Im vergangenen Jahr hat das Land zwei weitere Atomtests durchgeführt. Schon heute verfügt es über Plutonium für etwa ein Dutzend Nuklearsprengköpfe. Auch seine Raketentechnik entwickelt Pjöngjang stetig weiter. Die Raketen könnten schon jetzt nicht nur Südkorea, sondern wohl auch Japan und den US-Stützpunkt Guam erreichen. Die bisherige Politik der internationalen Staatengemeinschaft konnte diese Entwicklung nicht stoppen. Sie sei gescheitert, sagte jüngst auch US-Außenminister Rex Tillerson und fügte hinzu, dass Washington sich alle Möglichkeiten offenhalte. Ein US-Flugzeugträger wurde als Machtdemonstration vor die Küsten Koreas beordert. Die Eskalationsgefahren wachsen.
Auch über präventive Militärschläge gegen das nordkoreanische Atomarsenal wird diskutiert. Doch eine tatsächliche Option dürfte das nicht sein. Denn erstens ist nicht sicher, ob die USA die Atomwaffen zerstören könnten, weil offen ist, wo sie genau lagern. Und zweitens wäre der mit Sicherheit zu erwartende Gegenschlag Nordkoreas folgenschwer. Zehn- oder sogar hunderttausende Opfer wären allein in Seoul durch die vielen nordkoreanischen Artillerie-Geschütze an der Grenze zu erwarten – und das allein durch konventionelle Waffen. Pjöngjang besitzt aber auch chemische und atomare Waffen. Der Machthaber in Pjöngjang würde voraussichtlich bei einem US-Angriff nicht zögern, diese Waffen einzusetzen. Eine Zustimmung Südkoreas zu einem US-Angriff auf den Norden ist deshalb äußerst unwahrscheinlich – zumal im Mai aus den südkoreanischen Wahlen als Sieger vermutlich ein auf Zusammenarbeit und Ausgleich mit Pjöngjang bedachter bisheriger Oppositionspolitiker hervorgehen wird.
Entgegen der Bedrohungswahrnehmung der USA schätzt der Sicherheitsexperte Jim Walsh vom Massachusetts Institute of Technology in Boston ein, dass eine Gefahr eines Angriffs durch Nordkorea nicht besteht: „Nordkorea ist gegenwärtig weder in der Lage die USA anzugreifen noch will es Japan oder Südkorea angreifen. Denn es weiß genau, dass es einen Krieg verlieren und dass auch der Führer Kim Jong-un seine Macht einbüßen würde. Macht ist aber das Wichtigste für ihn.“
Selbstmörderisch sei das Regime in Pjöngjang jedenfalls nicht, so Walsh. Dass Nordkorea Atomwaffen entwickelt hat und diese auch mit entsprechenden Raketen einsatzfähig zu machen versucht, hängt vor allem mit seiner Bedrohungswahrnehmung zusammen, sagt Lora Saalman, die Asien-Expertin des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI: „Sicherheit und Überleben des Regimes – das ist für Nordkorea das wichtigste. Ein weiterer Grund für das Atomprogramm ist Prestige. Pjöngjang will der Welt zeigen, wozu es als kleines Land technologisch fähig ist. Nordkorea strebt zudem nach internationaler Anerkennung und Legitimation.“
Das Land werde deshalb wohl niemals bereit sein, seine Atomwaffen vollständig aufzugeben, glaubt Lora Saalman. Jim Walsh hingegen mag auch eine solche Möglichkeit nicht ausschließen – zu oft habe Kim Jong-un seine Auffassungen schon geändert. Einig sind sich viele Experten jedoch darin, dass die bisherige vor allem von den USA betriebene Politik, Nordkorea durch wirtschaftliche Sanktionen und politische Isolierung zur Aufgabe seiner Nuklearwaffen und Raketen zu zwingen, nicht erfolgversprechend ist. Die Obama-Administration hat in den letzten Jahren zum Beispiel jeden Dialog mit Nordkorea abgelehnt, nachdem 2012 eine diplomatische Einigung hinfällig geworden war. Damals hatte Nordkorea wenige Tage nach der Vereinbarung einen Satelliten ins All gestartet – aus Sicht der USA ein Verstoß gegen die Vereinbarung.
Die neue Mannschaft von Präsident Donald Trump ist noch dabei, ihre eigene Nordkorea-Strategie zu entwickeln. Neben der militärischen Machtdemonstration durch den US-Flugzeugträger werden wohl vor allem weitere Sanktionen erwogen. Das sei aber nicht sonderlich neu, sagt Bruce Bennett von der RAND-Corporation: „Die übliche amerikanische Ansatz ist: Lasst uns noch effektivere Sanktionen beschließen. Aber da zieht China nicht mit. Peking hat zwar gerade angekündigt, keine Kohle aus Nordkorea zu importieren. Aber es gibt viele Berichte, dass nordkoreanische Schiffe trotzdem in China Kohle entladen.“
Das ohnehin international stark isolierte Nordkorea hat einige Möglichkeiten, Sanktionen zu umgehen. Und der Schlüssel liegt nicht, wie Washington glauben machen will, in China. Denn China wird den ökonomischen Druck auf Nordkorea nur in begrenztem Maße erhöhen. Es fürchtet einen Zusammenbruch seines Nachbarn. Der hätte große Flüchtlingsströme zur Folge und – nach einer dann wahrscheinlichen Wiedervereinigung des Landes mit Südkorea – eine Ausweitung des US-Einflusses bis direkt an seine nordöstliche Landgrenze. Der Einfluss Chinas auf den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un wird zudem überschätzt.
Es gibt deshalb keine erfolgversprechendere Politik, als Verhandlungen mit Nordkorea, sagt unter anderem auch der Konfliktforscher Jim Walsh: „Donald Trump rühmt sich ja seiner Verhandlungsfähigkeiten und sagt, er wolle Dinge anders machen als die Obama-Regierung. Ich hoffe deshalb, dass er direkte Gespräche mit Nordkorea in Absprache mit Südkorea und China in Erwägung zieht. Allerdings sind die Anzeichen dafür bisher nicht allzu gut.“
So hat Washington im vergangenen Monat den chinesischen Vorschlag brüsk abgelehnt, dass Nordkorea seine Atomwaffen- und Raketenprogramme einfriert und im Gegenzug die USA und Südkorea ihre jährlichen militärischen Großmanöver aussetzen. Die Aussage von US-Außenminister Tillerson, alle Optionen lägen auf dem Tisch, hat offensichtlich einen entscheidenden Makel: Washington macht seine Bereitschaft zu Gesprächen von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig. Bisher forderten die USA, dass sich Nordkorea zunächst zum Ziel einer vollständigen Denuklearisierung bekennt und entsprechende Schritte einleiten müsse, bevor überhaupt Verhandlungen beginnen könnten. Diese Vorbedingung jedoch verhindert Deeskalation und Verhandlungen.
Manche Experten sehen es deshalb als erfolgversprechender an, einen Dialog ohne Vorbedingungen zu beginnen sowie erst einmal nur ein „Freeze“ anzustreben: Nordkorea mit Gegenleistungen dazu zu bewegen, seine nuklearen und Raketenaktivitäten einzustellen. Asienexpertin Lora Saalman vom Schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI: „Ich denke, Nordkorea wird ein solches Einfrieren in Erwägung ziehen, wenn es im Gegenzug Garantien für seine Sicherheit und seine ökonomische Entwicklung erhält und internationale Legitimität als Nuklearmacht zugesprochen bekommt. Dazu gehört auch die Aufhebung von Sanktionen. Die sind schon verstärkt worden und China macht dabei mit. Deshalb fangen sie an, wirklich weh zu tun.“
Im vergangenen Jahr hatte auch der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un vorgeschlagen, seine Atom- und Raketenprogramme einzustellen, wenn die USA im Gegenzug ihre Militärübungen mit Südkorea aussetzten. Außerdem fordert er einen Friedensvertrag. Denn formal herrscht auf der koreanischen Halbinsel weiterhin ein nur durch einen Waffenstillstand unterbrochener Kriegszustand. Jim Walsh: „Es macht Sinn, einen Friedensvertrag anzustreben – vielleicht parallel zu den Verhandlungen über das Nuklearprogramm. Es weiterhin nur bei einem Waffenstillstand zu belassen, der zahlreiche Fragen der Grenzziehungen zu Land und zu Wasser offenlässt, ist gefährlich.“
Noch hat die Trump-Regierung ihre Strategie gegenüber Nordkorea nicht endgültig festgelegt. Ein Politikwechsel hin zum Vorrang der Diplomatie bei Aufgabe von Vorbedingungen und maximalistischen Forderungen ist notwendig. Auch Bundesregierung und EU sollten sich dafür einsetzen, obwohl deren Gewicht in dieser Frage nur klein ist.
Der Artikel ist eine leicht veränderte Version des Beitrages unseres Autoren für „Streitkräfte und Strategien“ (NDR-Info, 8.4.2017).
Schlagwörter: Atomarsenal, Donald Trump, Jerry Sommer, Kim Jong Un, Nordkorea, USA