von Wolfgang Brauer
Der Titel führt in die Irre. Die „Geschichte des Geldes“ von Alan Pauls ist mitnichten ein historischer Roman, es ist auch keine in eine erzählende Form gekleidete finanztheoretische Abhandlung. Mit ein wenig Phantasie könnte man dem Autoren Alan Pauls die Absicht in sein Buch hinein interpretieren, er habe darstellen wollen, wie das Geld einem Streukrebs gleich den Organismus einer einstmals einigermaßen stabilen argentinischen Gesellschaft zerfressen habe. Natürlich finden Staatsterror und linke Montoneros Erwähnung. Natürlich bilden Kapitalflucht, galoppierende Inflation und eine in Lateinamerika nicht unübliche durch und durch korrupte Gewerkschaftsbewegung eine Rolle. Die Verhältnisse jener Jahre waren wohl auch für die seinerzeitigen Protagonisten so undurchsichtig, wie sie es heute als Folie für das Handeln beziehungsweise Nicht-Handeln der Figuren Pauls sind. Das wäre aber zu einfach. Zudem liefe es auf ein Akzeptieren der großen Lüge der Junta hinaus, die ihr Mord-Regime als „Prozess der Nationalen Reorganisation“ eines vollkommen destabilisierten Landes darstellte. „Der Preis des Lebens“, wie der Held des Romans es nennt – der Autor spricht von ihm nur in der dritten Person –, ist auch im Buch stetigem Wechsel unterworfen. Es gibt ihn, aber er ist nicht berechenbar. Er verschwindet auf ominöse Weise in frischen Banknotenbündeln bei einem dubiosen Helikopterabsturz, er wird in klebrigen Scheinen in die Hosentasche geknüllt oder erscheint in abgewetzter kleiner Münze in die Faust eines Kindes geballt. Er ist genaugenommen unwichtig. Es zählt lediglich das Zählen des Geldes (für den Vater) „aus Liebe zur Kunst“ oder dessen absichtsvolle Vernichtung durch die Mutter und deren Partner beim Bau eines Hauses ausgerechnet am uruguayischen Ufer des Rio de la Plata. Dieses Haus, der Held des Romans nennt es „die Bestie“, vernichtet Vermögen und Persönlichkeit aller, die mit ihm zu tun haben. Letztendlich dominiert der Tod – und der Held des Buches „hat jetzt Geld im Überfluss […] Aber es ist verlorenes Geld, verödet und glorreich zugleich […] “. Es triumphiert eine Tristesse geradezu kosmischen Ausmaßes. „Geschichte des Geldes“ hätte ein großer erzählerischer Wurf werden können. Leider verzettelt sich der Autor in den Strängen des eigenen Erzählens. Das Bemühen, vielfach mehrere Geschichten und Sichten in einem einzigen, endlos langen Satz unterzubringen zerstört letztendlich seinen dennoch über weite Strecken faszinierenden Roman.
Alan Pauls: Geschichte des Geldes. Roman, Klett-Cotta, Stuttgart 2016, 271 Seiten, 19,95 Euro.
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Wer in diesem Sommer Richtung Jütland will, wird sicher an den flammenden Blumen- und Himmelsbildern Emil Noldes nicht vorbeikommen. Noldes Geburtstag jährt sich am 7. August zum 150. Male. Seine Nachlassverwalter verfügen über beeindruckende PR-Talente. Wenn es Ihnen aber möglich ist, machen Sie ein paar Stunden in Husum Station. Da ist ein anderes Jubiläum zu feiern. Aber das eines ungleich stilleren Künstlers. Der Erfinder des kleinen Häwelmann und der Regentrude, der geniale „Spökenkieker“ und Schimmelreiter-Beschwörer Theodor Storm hat am 14. September seinen „200.“. Machen Sie in Husum Station, streifen Sie durch die Gassen der Stadt. Die sind zu guten Teilen immer noch so, als könnte der Amtsrichter Storm jederzeit um die Ecke biegen. Wenn Sie seine Novellen kennen, dann sollten Sie gelegentlich stehen bleiben, ein kleines Büchlein aus der Tasche ziehen und immer mal wieder auf dessen letzten 25 Seiten nachblättern: „Ach, hier war das…“ Ich spreche von Gerd Eversbergs aktueller Theodor-Storm Biografie, die leider einen etwas abschreckenden Untertitel hat. Aber seine kenntnisreiche Handreichung zum Storm-Rundgang durch Husum ist empfehlenswert. Eversberg war 22 Jahre Direktor des dortigen Theodor-Storm-Zentrums und kennt sich aus. Auf den etwas mehr als 100 Seiten davor schrieb er eine sehr kompakte, leicht verständliche und dennoch einfühlsame Biografie. Nicht-Fachleute werden sie mit Gewinn lesen. Storm-Kenner werden sich an einigen Wiederholungen im Text stoßen – das Lektorat hätte hier etwas aufmerksamer sein sollen –, aber durchaus Anregungen durch Eversbergs Lesarten, vor allem der Stormschen Lyrik, erhalten. Das Büchlein ist trefflich illustriert. Wenn Sie die Lektüre vor einem Besuch des Storm-Museums in der Wasserreihe 31 schaffen sollten, werden Sie mit noch größerem Gewinn durch das Haus gehen. Und Sie werden die Bedeutung der Stiefmütterchen auf dem Wohnzimmertisch verstehen und „Viola tricolor“ mit anderen Augen sehen. Haben Sie ein wenig mehr Zeit übrig, dann besuchen Sie nach dem Storm-Haus die Hattstedter Marsch nördlich von Husum. Das ist die „Schimmelreiter“-Landschaft. Eversberg hat auch dazu gearbeitet. Der Rezensent findet es schade, dass er die noch auffindbaren Spuren in seinen „Rundgang“ nicht als Exkurs mit aufnahm. Aber in einer (überarbeiteten) zweiten Auflage ließe sich das sicher leicht ändern.
Und wenn Sie nicht in den Norden reisen können oder wollen: Gerd Eversbergs Buch ist eine treffliche Einführung in eine wissendere Storm-Lektüre. Wissende Leser lesen mit größerem Gewinn…
Gerd Eversberg: Theodor Storm. Künstler – Jurist – Bürger, Weimarer Verlagsgesellschaft in der Verlagshaus Römerweg GmbH, Wiesbaden 2017, 160 Seiten, 16,90 Euro.
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Zum Schluss noch etwas für Freunde der Kriminalistik. Nein, nicht des „Tatortes“ und der in Mode gekommenen Regionalkrimis. Es geht um echte Fälle, und das ist eher etwas für Hartgesottene. Remo Kroll und Blättchen-Autor Frank-Rainer Schurich blättern im jüngsten Band der „Historischen Kriminalistik“ der Schriftenreihe Polizei des Verlages Dr. Köster fünf Fälle aus der Zeit der deutschen Teilung auf. Vier davon widmen sich Mordfällen, die mit einer Ausnahme nicht auf dem Territorium der DDR begangen wurden, deren Opfer aber alle von den Tätern entlang der Transitautobahnen Richtung Marienborn oder Hirschberg „entsorgt“ werden sollten. Die Mörder gingen offenbar davon aus, dass die Kriminaldienststellen der DDR einerseits sowieso unfähig und andererseits der Arm der „Vopos“ nicht über die „Zonengrenze“ reichen würde. Sie irrten sich. Seite für Seite blättern die Autoren die Ermittlungsakten auf und lassen uns die kriminalistische Kleinarbeit en détail nachvollziehen. Ich muss warnen: Für sensible Gemüter ist das nicht immer etwas. Und sie schildern, wie das gegenseitige Interesse an der Ergreifung der Täter auch bei Wahrung der politischen Kleiderordnung selbst die Staatsanwaltschaften auf beiden Seiten der Mauer zusammenarbeiten ließ. Übrigens sind in allen geschilderten Fällen die Ermittler der Hauptabteilung IX/7 beziehungsweise die SK der jeweiligen Abteilung IX der Bezirksverwaltungen des Ministeriums für Staatssicherheit federführend gewesen. Kaum vorstellbar, dass das im Westen nicht bekannt war…
Absicht der Autoren war, „die komplexe und aufwändige Arbeit der Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, der Volkspolizei und der Westberliner Polizei (zu) würdigen, die durch ihre Arbeit dazu beigetragen haben, dass die Täter für ihre schweren Straftaten durch Westberliner bzw. bundesdeutsche Gerichte zur Verantwortung gezogen werden konnten.“ Das ist ihnen gelungen und hebt sich wohltuend von den reißerischen „Dokumentationen“ des Aufarbeitungskartells ab, mit denen uns die „Öffentlich-Rechtlichen“ seit Jahren den Verstand verkleistern. Damit soll mitnichten davon abgelenkt werden, dass das gegenseitige Feindbild 40 Jahre lang klar war.
Remo Kroll / Frank-Rainer Schurich: Transitleichen in der DDR. Exemplarische Fälle deutsch-deutscher Kriminalistik im Kalten Krieg, Verlag Dr. Köster, Berlin 2016, 270 Seiten, 24,95 Euro.
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