20. Jahrgang | Nummer 6 | 13. März 2017

Donald and the bomb

von Sarcasticus

Das Absurde hat nur insofern einen Sinn,
als man sich nicht mit ihm abfindet.
Albert Camus

Wahrscheinlich sollten wir uns an den beunruhigenden Gedanken gewöhnen, dass die Wählerschaft der USA mit Donald Trump nicht nur einem drittklassigen Clown – ebenso theatralisch wie soziopathisch – den Weg ins Weiße Hause geebnet hat, sondern dass damit zugleich ein entweder gefährlich ignoranter oder einfach nur struntzdummer Clown zum Oberbefehlshaber des amerikanischen Atomwaffenarsenals und zu dessen alleinigem Verfügungsberechtigten geworden ist.
Bereits während seines Wahlkampfes im vergangenen Jahr war in die Öffentlichkeit gedrungen, auf welchem Niveau Trump nuklear verortet ist. Er wollte von seinen außenpolitischen Beratern ernsthaft wissen: „Wenn wir Atomwaffen haben, warum setzen wir sie nicht ein?“
Ebenfalls im Wahlkampf hatte Trump auf die Frage, ob er Atomwaffen gegen Terroristen oder in Europa einsetzen würde, geantwortet: „I’m not going to use nukes – but I’m not taking any cards off the table.“ („Ich werde keine Nuklearwaffen einsetzen – aber ich werde auch keine einzige Karte aus dem Spiel nehmen.“)
Im Januar hatte Trump gegenüber Russlands Präsident Putin verkündet, dass er das New Start-Abkommen von 2010 für ein „schlechtes Geschäft“ hält, und im Februar machte er klar, was hinsichtlich der US-Atomrüstung von ihm zu erwarten sei; er tat dies so kurz und bündig, wie sein Lieblingsmedium dies zulässt: „Die USA müssen ihre nuklearen Fähigkeiten erheblich verstärken und ausbauen, bis die Welt in Sachen Atomwaffen zur Vernunft kommt.“ Für den etwas bodenständigeren Teil seiner Anhängerschaft wählte er für diese Botschaft folgende Diktion: „[…] solange Staaten Atombomben besitzen, müssen wir die Spitze des Rudels sein.“
Offensichtlich kommen die Lektionen der ersten 50 Jahre des militärischen Nuklearzeitalters in Donald Trumps Denk- und Vorstellungswelten nicht vor, und für wie viele maßgebliche Köpfe seiner unmittelbaren Entourage das ebenfalls zutrifft, weiß man nicht. Unter normalen Umständen wäre es auch in den USA sicher keine Frage, solche Leute vom Zugriff auf die etwa 4000 unmittelbar einsatzfähigen strategischen und taktischen US-Atomsprengköpfe unbedingt fernzuhalten. Doch die Umstände sind nicht mehr normal, seit Trump als Präsident nukleare Waffen von jetzt auf gleich aktivieren und einsetzen könnte. Wer an letzterem Zweifel hegt, dem kann vielleicht Steven Pifer vom Thinktank Brookings Institution in Washington auf die Sprünge helfen: „Als Oberbefehlshaber kann der Präsident allein über den Einsatz von Atomwaffen entscheiden. Das Verfahren, respektive die entsprechende Befehlskette ist im Kalten Krieg entwickelt worden. Die Absicht war, eine schnelle Einsatzentscheidung zu ermöglichen – auch innerhalb von nur wenigen Minuten.“
Bereits 1946, kurz nach der Zündung der ersten Atombomben über Hiroshima und Nagasaki, hatte Bernard Brodie, der Nestor der modernen amerikanischen Strategietheorie, in einem Beitrag für den Sammelband „The Absolute Weapon: Atomic Power and World Order“ den prinzipiellen Unterschied zwischen Kern- und allen bisherigen Arten von Waffen auf den Punkt gebracht, als er hervorhob, dass die neue Waffe aufgrund ihrer Wirkungsweise und Zerstörungskraft jegliche Verteidigung gegen sie unmöglich mache. Das führte Brodie ebenfalls bereits damals zu einer, die neue Logik des Nuklearzeitalters vorausschauend erfassenden Schlussfolgerung: „Bisher hat der Hauptzweck des Militärs darin bestanden, Kriege zu gewinnen. Von jetzt an muss sein Hauptzweck sein, sie zu vermeiden. Es kann geradezu keinen anderen sinnvollen Zweck haben.“
Diese Logik bestimmt das Verhältnis und mögliche Konfrontationen zwischen atomar bewaffneten Staaten, seit die Sowjetunion Ende der 1950er Jahre die Beherrschung der Technik interkontinentaler Trägerraketen (ICBMs) demonstriert hatte, später taten dies auch Frankreich, Großbritannien und China, demnächst wahrscheinlich Nordkorea, Indien und Pakistan.
Seither gilt: Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter – und zwar unabhängig davon, ob der zuerst Schießende von diesem aphoristischen Theorem schon gehört hat oder ob er gegebenenfalls nicht daran glaubt. Allen bisherigen, speziell in den USA immer wieder unternommenen Versuchen, diese Gegebenheit durch strategische Finessen und ausgeklügelte Szenarien wie etwa das für einen „Enthauptungsschlag“ sowie rüstungstechnologische Entwicklungen (von MIRV über MARV bis zu Raketenabwehrsystemen und Waffen mit extrem kurzer Vorwarnzeit wie zu Beginn der 1980er Jahre die Mittelstreckenrakete Pershing II) auszuhebeln und den atomaren Angriffskrieg doch siegreich führbar zu machen, war kein Erfolg beschieden. Und das wird voraussichtlich so bleiben, weil einem potenziellen Angreifer einen vernichtenden Gegenschlag – egal unter welchen Bedingungen – in Aussicht zu stellen, allemal einfacher und kostengünstiger zu bewerkstelligen ist als der Aufbau eines komplexen Potenzials für einen konzertierten Überraschungsangriff. Für den Fall des Falles genügte bereits eine Umstellung der eigenen Systeme auf einen „Launch unter attack“-Startmodus. Russland führt mit der Reaktivierung seiner eisenbahngestützten ICBMs gerade eine weitere Möglichkeit vor.
Für die USA und die Sowjetunion resultierte aus ihrer gegenseitigen existenziellen Verwundbarkeit spätestens seit der Kuba-Krise von 1962, in der sich beide Staaten an den Rand eines Atomkrieges manövriert hatten, ein gemeinsames Interesse, ähnliche Entwicklungen und schon gar einen solchen Krieg auf jeden Fall zu verhindern. Das war die Geburtsstunde nuklearer Rüstungskontrolle und -abrüstung, die über verschiedenste bi- und multilaterale Vereinbarungen und Abkommen – vom Atomteststopp über den Nichtverbreitungsvertrag bis zum späteren SALT-Prozess, dem INF-Vertrag mit der Vernichtung zweier kompletter Klassen von Trägersystemen bis zu den START-Verträgen – Gestalt annahm.
Bisheriger Endpunkt ist das erwähnte New START-Abkommen. Das belässt beiden Seiten immer noch jeweils bis zu 1500 strategische Nuklearwaffen in Gefechtsbereitschaft – als sogenannte strategische Triade aus land- und U-Boot-gestützten Interkontinentalraketen sowie Langstreckenbombern – und damit zusammen weiterhin über 90 Prozent der weltweit vorhandenen Atomsprengköpfe. (Russlands hierzulande gern geschmähter Präsident Wladimir Putin hat Trump übrigens eine vorfristige Verlängerung des Abkommens bis 2026 angeboten.) Wer das als „schlechten Deal“ ansieht, der … – aber Bewertungsvorschläge sind ja eingangs bereits unterbreitet worden.
Die gelten auch im Hinblick auf Trumps Ankündigung, die Atomrüstung weiter zu forcieren. Bereits Jahre vor seinem Amtsantritt waren bekanntlich die Weichen dafür gestellt und entsprechende Programme gestartet worden, um die gesamte US-Triade in den kommenden 30 Jahren mit einem Kostenaufwand von bis zu einer Billion US-Dollar zu modernisieren. Wenn Trump nun seinen Pressesprecher Sean Spicer erklären lässt: „Die USA werden ihre Vorherrschaft in diesem Bereich an niemanden abtreten.“, dann ist das ein weiteres Symptom des Trump und seinem Team offenbar eigenen strategischen Autismus, denn erkennbar niemand lässt ein solches Bestreben auch nur befürchten. Von seiner Realisierbarkeit ganz zu schweigen. Darüber hinaus ist diese Aussage allerdings so aufgeblasen wie sie hohl ist. Ihre „Vorherrschaft“ hat, um es bei wenigen Beispielen zu belassen, weder die militärischen Niederlagen der USA (und ihrer Mitgänger) in Afghanistan, im Irak und in Libyen ver-, noch den IS an seinem Vormarsch gehindert, und auch Russland konnte den Coup mit der Krim wagen. Denn Kernwaffen taugen, wenn überhaupt, zu nichts anderem, als andere von ihrem Einsatz abzuschrecken – und das um den Preis eines permanenten Spiels mit der Apokalypse.
Dass dies nicht in eine solche umschlägt, setzt zu jedem, mindestens zu jedem neuralgischen Zeitpunkt rationales Verhinderungshandeln aller involvierten Player voraus. Zwischen Indien und Pakistan hat es im Jahre 2002 bereits Momente gegeben, wo diese condicio sine qua non nur durch Druck von außen, darunter seitens der USA, überhaupt noch sichergestellt werden konnte. Sollte das durch Trump im Hinblick auf Washington selbst irgendwann vonnöten sein, wer wäre dann zur Hand? Der liebe Gott greift in irdisches Geschehen bekanntlich nicht ein. Vernunftbegabte Außerirdische?
Dem Moment des Erfordernisses jedenfalls könnten wir näher sein, als wir ahnen. Denn wenn man sich Trumps eingangs zitierte Einlassung „Die USA müssen ihre nuklearen Fähigkeiten erheblich verstärken und ausbauen, bis die Welt in Sachen Atomwaffen zur Vernunft kommt.“ unter dem Aspekt ihrer Rationalität auf der Zunge zergehen lässt, besagt sie doch nichts anderes, als dass die noch zu potenzierende Unvernunft der Vereinigten Staaten in Sachen Atomwaffen der Panax gegen die Unvernunft der anderen Atommächte sein soll. Die Diagnose „irre“ ist schon für weniger evidente Symptomatiken gestellt worden …