von Wolfgang Brauer
Seit Ende 1976 entwickelte sich die Zusammenarbeit zwischen der DDR und Äthiopien intensiv. Man versuchte alles, um dessen afrikanischen Sozialismus-Versuch zum Erfolg zu verhelfen. Das Land wurde wichtig auch für den Einsatz von FDJ-Freundschaftsbrigaden. Im September 1987 flog der Dichter Henry-Martin Klemt nach Addis Abeba. Er war der Brigade „Werner Lamberz“ zugeordnet worden. Dass der Poet einer bei der Getreideernte eingesetzten Brigade angehörte war nicht ungewöhnlich – auch wenn er erstmals in Afrika einem Mähdrescher nahekommen sollte. Der Zentralrat wollte, dass Künstler die Solidaritätsarbeit verewigen. Zudem setzte man darauf, dass diese ideenreich das „gesellschaftliche Leben“ vor Ort bereicherten. Klemt blieb bis zum Abschluss der Ernte der Staatsfarm Sirofta bei der Brigade und reiste mit ihr Ende 1987 zurück.
Sein über dieses Vierteljahr akribisch geführtes Tagebuch legte er jetzt in Buchform vor. „Und schreibe die Wahrheit“, forderte er sich selbst auf, als er seinerzeit mit verlogener Berichterstattung nach Berlin konfrontiert wurde. Klemt hielt das durch. Sein Buch ist abgrundtief ehrlich geschrieben. Ungeschönt stellt er dar, mit welchen Problemen die Brigade in Sirofta konfrontiert wurde und wie wenig die reale Lage auf den Staatsfarmen mit der ideologischen Schönfärberei des erklärten „Überganges vom Feudalismus zum Sozialismus“ („Ethiopia tikdem!“ – „Äthiopien voran!“) zu tun hatte. „Wie weit Ideologie und Leben auseinanderklafften, das war an den Ufern der Saale so deutlich, wie an denen des Wabe Shedele“, sagt er im Nachwort.
Klemt schrieb kein Buch über „Entwicklungshilfe in den Farben der DDR“. Er versucht sich erst gar nicht an einer x-ten Neuinterpretation der Ursachen des Scheiterns eines von vielen afrikanischen „Sozialismen“. Natürlich räumt er die ideologischen Überformungen des Einsatzes der FDJ-Freundschaftsbrigaden – und die teils recht unterschiedlichen Motivationen ihrer Mitglieder ein. Dabei war den Brigadisten von Anfang an klar, was ihr Auftrag war: „Wir wissen, dass wir gegen den Hunger kämpfen sollen.“ Zuvörderst kämpften sie aber gegen Maschinenschäden an den E512-Mähdreschern, gegen Ersatzteilmangel und Bürokratie selbst hier im äthiopischen Hochland. Klemts Bericht ist schonungslos: Wenn statt der erwarteten Werkzeugkisten solche mit Propagandamaterial angeliefert wurden, so war das nicht nur wenig hilfreich für die Arbeit der Brigade – es führte zu entsprechenden Frustrationen der jungen Leute selbst. Wenn die dann auch noch aufgefordert wurden, in einem Land, dem sie solidarische Hilfe gegen das Verhungern leisten sollten und wollten, „Solidaritätsbasare“ für die Dorfbevölkerung abzuhalten, musste auch der hartgesottenste Kommunist ins Grübeln kommen. Noch dazu, wenn sich zeigte, dass selbst auf diesen Basaren sich die Funktionärskaste zuerst bedienen durfte – das Erstandene wurde vor der Tür zu einem deutlich höheren Preis weiterverhökert… Solche Privilegienwirtschaft war den Brigadisten von zu Hause vertraut. Dazu die unübersehbare Armut als Zwillingsschwester einer sozialen Kluft, die das Land zerriss, die bettelnden Kinder, die allgegenwärtige Prostitution, die Gewalt der Waffenträger.
Das Fazit ist bitter: „Um an diesem Land zu hängen, bräuchte es mehr als wir hatten, und dies, Gesehenes zumeist, war nicht angetan, uns dran zu binden, oder nur sehr selten, sehr vage. Kein leichtes Land, vielleicht gerade auch für uns.“
Dennoch: Die Brigade hatte ihren Auftrag erfüllt. „Ihre“ Maschinen konnten die – weit unter den erwarteten Erträgen liegende – Ernte einbringen. Mit der Beschreibung ihres Lebensalltags liefert Klemt einen spannenden Beitrag zu einem Psychogramm der Angehörigen einer Generation, die in die DDR hineingeboren wurde, sich in und mit ihr verwirklichen wollte – und von der viele zwei Jahre später ihr Land nicht schnell genug loswerden konnten. Wer dieser Widersprüchlichkeit nachspüren möchte, sollte Klemts Buch lesen. Nicht zuletzt ist es ein Hohelied auf die Menschen geworden, mit denen der Autor ein Vierteljahr in Afrika lebte und arbeitete: „Ja, sie verdienen, dass man sich ihrer erinnert.“
Henry-Martin Klemt: Das Licht des 13. Mondes. Äthiopisches Tagebuch, Books on Demand, Norderstedt 2017, 284 Seiten, 10,00 Euro (e-Book 6,99 Euro).
Schlagwörter: Äthiopien, DDR, FDJ, Henry-Martin Klemt, Wolfgang Brauer