von Erhard Crome
In der Hamburger Die Zeit war kürzlich zu lesen, US-Präsident Donald Trump sei kein Feind der NATO, aber ein Feind der EU. Deshalb könnte sich die „Abwicklung beider Bündnisse“ in umgekehrter Reihenfolge vollziehen: historisch hätte es ohne den Schutz der NATO keine EU gegeben; wenn es „kein vereintes Europa mehr zu schützen“ gäbe, brauche es aber auch die NATO nicht mehr. Das ist schon logisch betrachtet Unsinn: Es gibt mehrere NATO-Staaten, die nicht in der EU sind (neben den USA und Kanada sind dies Island, Norwegen, Türkei, Albanien) und etliche EU-Länder, die nicht in der NATO sind (Finnland, Irland, Malta, Österreich, Schweden, Zypern). Die NATO ist – dem Wortlaut des Vertrages nach – ein Verteidigungsbündnis von Staaten, derzeit 28. Weshalb also sollte die NATO ein Schutz- und Trutzbündnis für die EU sein, die dort gar nicht Mitglied ist?
Eine solche Perspektive ergibt sich nur, wenn man davon ausgeht, dass die EU ein Machtkonstrukt ist, in dem Deutschland bestimmend ist. Deutsche Politiker und Medien werfen Trump gerade diese Sichtweise vor. Sie erwarten nun aber US-amerikanische Unterstützung für die deutsche Politik im Innern der EU wie nach außen, etwa bei der Angliederung der Ukraine. Der zitierte Text begann mit dem aufschlussreichen Satz: „Nach drei Monaten der außenpolitischen Panik soll diese Woche also Klarheit bringen. […] Gleich drei von Trumps wichtigsten Kabinettsmitgliedern werden dieser Tage zu dieser Frage vernommen.“ Gemeint sind die Teilnahme von Außenminister Tillerson am G20-Außenministertreffen in Bonn und von Vizepräsident Pence sowie Verteidigungsminister Mattis an der sogenannten Sicherheitskonferenz in München.
Der Deutsche als „Vernehmer“, zumal wenn die „Vernommenen“ Spitzenpolitiker einer der Siegermächte des zweiten Weltkrieges sind – das ist schon starker Tobak. Der dies schrieb, heißt Jochen Bittner, Jahrgang 1973. Die deutsche Großmannssucht ist wieder da, bereits in der ersten Generation, die nach der deutschen Einheit sozialisiert wurde. Der Mann hat immerhin Jura studiert und ist politischer Redakteur bei der Zeit, etliche Jahre war er Korrespondent in Brüssel. Bei Wikipedia ist nachzulesen, dass er auch mit dem German Marshall Fund zu tun hat und zuweilen Gastautor ist bei der International New York Times, der Auslandsausgabe der New York Times. Hier ergibt sich die Frage, ob der Mann ein deutsches Spiel spielt, das auf eine weitere Stärkung deutscher Weltmachtambitionen zielt und mit jenem Teil der herrschenden Klasse der USA zusammenspielt, der die seit dem zweiten Weltkrieg betriebene globale Interventionspolitik unbedingt fortsetzen will – wofür politisch Obama und Hillary Clinton standen und publizistisch auch die New York Times. Oder ob er ein amerikanisches Spiel treibt, weil jene Kräfte, die durch die Wahl Trumps zunächst eine Niederlage erlitten, sich stärker fühlen, wenn ihre Positionen aus dem Ausland in die innenpolitischen Auseinandersetzungen der USA zurückgespiegelt werden.
Die spannende Frage nun ist, was herauskam. Zunächst einmal keine Vernehmung. Rex Tillerson hat seinem frischgebackenen Amtsbruder Sigmar Gabriel Nettigkeiten gesagt, die zu erwarten waren. Verteidigungsminister Jim Mattis betonte Artikel V des NATO-Vertrages, der die militärische Beistandsverpflichtung fixiert. Etwas anderes war nicht zu erwarten. Zugleich wiederholte er die Forderung, dass alle, die sicherheitspolitisch von der NATO profitierten, sich auch proportional an den Kosten zu beteiligen hätten – also die Grundforderung der Trump-Regierung an die Adresse der NATO-Partner. Da er das schon in Brüssel in der NATO-Verteidigungsministerrunde erklärt und Ursula von der Leyen ihm beigepflichtet hatte, konnte er das in München unter Bezug auf die deutsche Ministerin erklären. Hinzu kam der interessante Satz zu den „Bedrohungen“, mit denen das Bündnis konfrontiert sei: „Wir dürfen nicht nur die strategischen Realitäten anerkennen, sondern auch die politischen Realitäten“. Was das bedeutet, muss sich erst noch erweisen. In seiner Pressekonferenz in Japan einige Tage zuvor hatte Mattis gesagt, dass die erste Verteidigungslinie die Diplomatie sei.
Vizepräsident Mike Pence hatte eine Rede vorgetragen, die ausdrücklich als mit Trump abgestimmt deklariert war. Ebenfalls eine bekenntnishafte Bestätigung der Verbundenheit mit der NATO, verknüpft mit der Reminiszenz an einen Besuch, den er als 18-Jähriger Berlin abgestattet hatte, im bunten Westen und im „grauen“ Osten. Dann die bekannte Lagebeschreibung des „radikal-islamistischen Terrorismus“ als Hauptfeind, der die westliche Zivilisation zu zerstören bestrebt ist, sowie Verweis auf Iran und Nordkorea. In Sachen Iran wurde die Position, den Vertrag der sechs Mächte mit Iran aufzukündigen, nicht wiederholt und betont, die USA wollten unter Präsident Trump sicherstellen, dass der Iran nicht in den Besitz von Atomwaffen kommt, die er gegen andere Staaten, auch nicht in der Region und speziell gegen Israel einsetzen könnte. In Bezug auf Russland Kontinuität: Es versuche, internationale Grenzen mit Gewalt zu verändern; zugleich Betonung des Minsker Abkommens, Russland solle zur De-Eskalation der Gewalt in der Ostukraine beitragen. Die USA wollten „Russland aus der Verantwortung nicht entlassen“ und suchten zugleich „nach einer neuen gemeinsamen Grundlage, wovon, wie Sie wissen, Präsident Trump glaubt, dass sie gefunden werden kann“.
Auf der Münchener Tagung waren auch die US-Senatoren John McCain und Lindsey Graham, beide erklärte Gegner Trumps und Vertreter einer absichtsvollen weiteren Verschlechterung der Beziehungen zu Russland. Graham tönte, wieder unter Verweis auf die angebliche Rolle Russlands im US-Wahlkampf: „2017 wird das Jahr, in dem der Kongress Russland in den Hintern tritt.“ Er wolle mit anderen Republikanern, die kritisch gegen Trump und Russland feindlich gegenüberstehen, und zusammen mit den Demokraten entsprechende Beschlüsse im Kongress herbeiführen. Das war offenbar Balsam für die Seelen der Anwesenden Russland-Hasser in München.
Trump hatte in einer seiner berühmt-berüchtigten Twitter-Nachrichten bereits am 29. Januar geschrieben, die beiden Senatoren sollten sich lieber mit dem Kampf gegen den IS, der illegalen Migration und der Grenzsicherheit befassen, „statt ständig zu schauen, wie sie den Dritten Weltkrieg beginnen können“. Über die Pressekonferenz am 16. Februar in Washington, die Trump kurzfristig angesetzt hatte, wurde nahezu einhellig in allen Medien, in Deutschland wie in den USA berichtet, er habe die Presse beschimpft, gelogen und die gestellten Fragen nicht beantwortet. Die New York Times hatte ein Wortprotokoll ins Netz gestellt.
Darin finden sich jedoch Passagen, über die ebenso einhellig nicht berichtet wurde. Trump bezeichnet die Fragen zu Russland, im Sinne des angeblichen russischen Hackings und seiner vorgeblichen Beziehungen nach Russland, als Trick. Wenn die beiden Staaten zusammenkämen und Gemeinsamkeiten fänden, wäre das gut. „Und vergessen Sie nicht, wir sind eine sehr starke Nuklearmacht und sie sind es ebenfalls. Daran kann kein Zweifel bestehen.“ Bei einer Zuspitzung könnte es „einen nuklearen Holocaust ohnegleichen“ geben. „Wenn wir gute Beziehungen zu Russland hätten, wäre das eine gute Sache, nicht eine schlechte.“ Nur hinderten die Auseinandersetzungen in Washington ihn, den Präsidenten Trump daran, einen „guten Deal“ mit Putin auszumachen.
Wenn man die Minderung der Gefahr eines Atomkrieges als das eigentliche Problem der Gegenwart ansieht, sind wir keinen Schritt weiter. Der Kampf in Washington tobt weiter, Ausgang offen. Nur sind die deutschen politischen und medialen „Eliten“ Teil dessen.
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