von Ulrich Busch
Kürzlich berichtete eine große sozialistische Tageszeitung darüber, wie in Griechenland unter dem Druck der Euro-Gruppe drastische Einsparungen im Bildungswesen durchgesetzt worden sind. Insgesamt, so die Meldung, seien die staatlichen Gelder für Universitäten innerhalb von fünf Jahren um 86,5 Prozent reduziert worden. Als Beleg dafür wurde eine Uni in Kreta angeführt, deren Mittel von 17,5 Millionen auf 3,1 Millionen Euro gekürzt worden seien.
Rechnet man nach, so bestätigen die Angaben wohl eine dramatische Kürzung, nicht aber den genannten Umfang von 86,5 Prozent.
In dem gleichen Artikel wird das von Griechenland geforderte Privatisierungsvolumen mit 50 Billionen Euro angegeben. Hier stutzt man nun wirklich, denn bei einem Staatsbudget von 86 Milliarden Euro ist das völlig unmöglich. Offensichtlich handelt es sich bei dieser Angabe nicht um Billionen, sondern um Milliarden. Der tatsächlich vereinbarte Privatisierungsumfang beträgt also nur ein Tausendstel von dem, was da gemeldet wurde. Zudem bezieht sich diese Größe auf einen Zeitraum von drei Jahren, was offenbar nicht für erwähnenswert gehalten wird. – Dies sind eine Ungenauigkeit, ein grober Fehler und eine Unterlassung, also gleich drei Fehlaussagen, in einer einzigen Meldung. Vermutlich würde man in diesem Blatt noch weitere Fehler finden, würde man eingehend danach suchen.
Ich denke sogar, dass jede Zeitung an jedem Tag einige derartige Beispiele liefern dürfte. Aber darum geht es hier nicht. Anhand dieses Beispiels sollte nur gezeigt werden, wie lax und verantwortungslos, mitunter aber auch manipulativ, heutzutage mit Daten umgegangen wird, in der Presse, auf Veranstaltungen, in der Politik, bei der Werbung – eigentlich fast überall.
Das ist ohne Zweifel ein Skandal.
Noch schwerer aber wiegt, dass die meisten Rezipienten dies gar nicht bemerken oder, was noch schlimmer ist, dass es ihnen eigentlich völlig egal ist. Die hierin zum Ausdruck kommende Gleichgültigkeit vieler Bürger gegenüber Zahlen und Daten steht allerdings in völligem Widerspruch zu den Herausforderungen unserer Zeit, zu den Entwicklungstrends von Digitalisierung und Big Data. Mathematik und Informatik sind nun mal die Grundlagen der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung, wie sie sich gegenwärtig als vierte industrielle Revolution, als „Industrie 4.0“, als Informatisierung und Digitalisierung, vollzieht. Ohne mathematische, statistische und informationstechnische Kenntnisse und Kompetenzen lässt sich heute auf keinem Gebiet mehr etwas erreichen, weder in beruflicher Hinsicht noch darüber hinaus. Dies gilt auch für Journalisten.
Die Zeiten, wo es noch als „schick“ galt, mit seiner Unkenntnis in Mathematik zu kokettieren, dürften ein und für allemal vorbei sein. Dies gilt im täglichen Leben ebenso wie in der Wissenschaft. Heute müssen selbst Historiker und Literaturwissenschaftler statistische Methoden beherrschen, wenn sie ihre Arbeit ordentlich machen wollen. Und Politik- und Sozialwissenschaftler, die noch vor wenigen Jahren damit angeben konnten, dass sich in ihren Arbeiten außer den Nummern der Fußnoten und den Seitenangaben keine Zahlen finden lassen, sehen sich inzwischen isoliert.
Bekanntlich lässt sich die Wissenschaftlichkeit einer Disziplin oder einer Theorie, wenn auch nicht ausschließlich, so doch in beachtlichem Maße, am Grad ihrer Mathematisierung messen. Gemeint ist damit die Nutzung quantitativer Methoden entsprechend den spezifischen Anforderungen der jeweiligen Disziplin. Oftmals werden Erkenntnisse und Forschungsergebnisse überhaupt erst durch ihre Quantifizierung brauchbar. Die Biologie hat dies erfahren, ebenso die Geografie, seit längerem auch die Ökonomie. Den Sozial-, Politik-, Geschichts- und Erziehungswissenschaften steht dies im Zuge der digitalen Revolution nun unmittelbar bevor.
Dazu zählen jedoch auch, und damit kommen wir auf das Ausgangsbeispiel zurück, die Herausbildung eines angemessenen Gefühls für Größenverhältnisse und Quantitäten sowie die größtmögliche Exaktheit beim Umgang mit Daten. Hieran aber mangelt es noch ganz erheblich, nicht zuletzt bei Journalisten und Publizisten aller Couleur. Was nützt es zum Beispiel, einen vermeintlich guten wirtschafts- oder sozialpolitischen Vorschlag zu unterbreiten, zum Beispiel zur Verbesserung der sozialen Gerechtigkeit, wenn man nicht in der Lage ist, diesen in Bezug auf seine finanzielle Realisierungsmöglichkeit durchzurechnen, diesbezüglich verschiedene Varianten durchzuspielen und sie unter Zuhilfenahme komparativer Methoden miteinander zu vergleichen, um anschließend abwägen zu können, welche Variante unter welchen Bedingungen die beste wäre?
Millionen und Milliarden sowie Milliarden und Billionen sollte man dabei jedoch nicht verwechseln. Dies würde einen den Kopf kosten, wenn es um die Beurteilung der sachbezogenen Kompetenz geht. Und das sollte es auch! Ähnlich wie es einen schon heute viel Geld kosten kann, wenn man auf einem Überweisungsformular eine falsche IBAN einträgt oder wenn man sich seine PIN nicht merken kann.
Jede Zeit hat eben – und braucht wohl auch – ihre Schlüsselqualifikationen. Heutzutage gehört der qualifizierte Umgang mit Daten, Ziffern, Formeln und mathematischen Algorithmen unbedingt dazu.
Da man sich dieser Herausforderung auf Dauer nur zum eigenen wie zum gesellschaftlichen Schaden entziehen kann, muss man sich ihr stellen. Fehler, wie die oben genannten, würden dann seltener vorkommen und wohl auch härter gerügt werden. Und das wäre richtig so.
Schlagwörter: Digitalisierung, Mathematik, Ulrich Busch, Zahlen