von Erhard Crome
Nach dem Interview von Donald Trump für die deutsche Bild-Zeitung und die britische Times sowie seiner Antrittsrede als Präsident schwanken hierzulande die Interpretationen in den Großmedien zwischen Verunsicherung, Trump-Beschimpfung und Größenwahn. Besonders aufmerken lässt Letzteres.
Der Außenpolitik-Chef der Süddeutschen Zeitung und bekennende Hagiograph Merkels, Stefan Kornelius, kommentierte, Trump sei mächtig angesichts seiner Unberechenbarkeit. Demgegenüber wirke „die Zähigkeit und Abwägerei etwa einer Angela Merkel einschläfernd“. Trump wolle die Welt „nach seinem Bild formen“. Er habe „das Zeug zum Revolutionär“. Das war nicht als Kompliment, sondern als Drohung gemeint.
Constanze Stelzenmüller, bekannt geworden 2013 als eine der Leiterinnen des Projekts „Neue Macht – neue Verantwortung“, mit dem eine neue deutsche Weltpolitik konzipiert werden sollte, heute bei der US-amerikanischen „Brookings Institution“ tätig, verkündete forsch, Trump hätte ein „sehr unverständiges Verständnis“ von der Welt. Das zeige sich schon daran, dass er Merkel und Putin auf eine Stufe gestellt habe. Das würde wohl sonst kaum jemandem in Washington einfallen. Das mag zutreffen. Alle diejenigen aus der zahlreichen Gilde der imperialistischen Globalstrategen, die auch Obamas interventionistische und anti-russische Politik bestimmten, hatten eine andere Sichtweise. Wenn man nach dem „America First“-Motto jedoch auf die Welt vor allem unter der Perspektive von Macht- und Handelskonkurrenzen schaut, sind Russland wie Deutschland mit den USA konkurrierende Mächte.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung glänzte durch eine wohltuende Meinungsvielfalt. Berthold Kohler, einer der vier Herausgeber des Blattes, jüngst hervorgetreten durch die Forderung nach der deutschen Atombombe, räsonierte: „Wenn der neue amerikanische Präsident tatsächlich das tut, was er sagt, dann wird der Westen in eine Krise stürzen. Schon seine bloßen Äußerungen zur Nato verringern die Sicherheit und die Stabilität in Europa.“ Durch die Auflösung dieser Bande würden die USA „nicht stärker, […] sondern schwächer werden“. Aber Trump habe „für strategische Fragen der Weltpolitik ganz offensichtlich keinen Sinn“. Holger Steltzner, ein anderer der vier Herausgeber, dagegen konterte: „Die Offenheit, mit der Trump die Dinge beim Namen nennt, ist irritierend und erfrischend zugleich. […] Der Unternehmer Trump nahm auf Konventionen und Regeln wenig Rücksicht, um den optimalen Deal zu erreichen. Anstatt das zu beklagen, sollten sich seine Kritiker in Europa darauf einstellen. Bricht nicht auch die EU ständig ihre Regeln, um etwa den Euro zu retten oder neue Schulden zu machen?“
Der britische Historiker Adam Tooze – der vor einiger Zeit mit einem umfänglichen Werk über die Zwischenkriegszeit hervorgetreten war, in dem er dargetan hatte, dass die USA bereits seit dem Ersten Weltkrieg die letztlich entscheidende Weltmacht waren – kommentierte nun: „Das amerikanische Jahrhundert ist vorüber.“ Es war „durchdrungen von etwas Höherem, nicht nur von der Idee seiner Größe, sondern von seiner Überlegenheit, von der Gewissheit, berufen zu sein, egal ob diese Auserwähltheit nun gottgegeben oder säkular verstanden wurde, berufen eine Rolle zu spielen, die nicht nur einzigartig war, sondern über allen anderen stand.“ Trump werde „nicht das Ende von Amerika als Weltmacht bedeuten […], aber was es tatsächlich nicht mehr erhebt, ist der Anspruch, ‚Anführer der freien Welt‘ zu sein.“ Am Ende schaut Tooze dann auf Deutschland: „Eine durch die US-Wahlen ermächtigte Minderheit will Amerikas Ankerfunktion in der diskursiven Gemeinschaft des Westens über Bord werfen. Daraus erwächst eine fundamentale Herausforderung: Wenn Amerika seinen Sonderweg aufgibt, wo ist dann Deutschlands Platz in der Welt?“ Bisher war „Sonderweg“ in Bezug auf Deutschland negativ konnotiert. Nun also „Normalität“, das heißt keine Anführerei mehr seitens der USA oder von wem auch immer? Oder wieder deutscher Sonderweg?
In diesem Tagen wurde auch der einstige Bundesverteidigungsminister und Plagiator Karl-Theodor zu Guttenberg als USA-Experte reaktiviert. Er meint: „Angesichts der geopolitischen Bedrohungen Europas, der Schwäche vieler Mitgliedsländer und gebremsten amerikanischen Engagements wächst Berlin, ob es dies will oder nicht, zwangsläufig eine Führungsrolle zu. […] Dies mag nun der Moment sein, um auch in unserem Land aus der rührend gepflegten ‚Kultur der Zurückhaltung‘ endlich eine ‚Kultur der Verantwortung‘ erwachsen zu lassen.“
Der Chefredakteur der Zeitung Die Welt, Ulf Poschardt, formulierte denselben Gedanken, nur sehr viel offener, forscher: „Wie kein Land profitieren die Deutschen von der Globalisierung. Wenn es irgendwo neoliberale Reformen gibt, hilft das unserer weiterhin innovativen, qualitätsversessenen Produktion. Nicht zuletzt deshalb haben Kanzlerin Angela Merkel und ihr Kabinett recht gehabt, diese Offenheit zu fördern […].“ Porschardt fordert, „wir Deutsche“ sollten nun „machtbewusst unsere Interessen verfolgen“. Und weiter: „Unser Ehrgeiz sollte geweckt sein. Die Verteilung globalen Wohlstands wird von den USA künftig aggressiv zu ihren Gunsten entschieden werden – wenn wir uns nicht wehren […]. Wenn die Deutschen diesen Konflikt aushalten und sogar Punkte machen, verteidigen sie damit auch die Segnungen einer liberalen, offenen Gesellschaft.“ Hier wird zur Kenntlichkeit gebracht, dass auch in der heutigen spätbürgerlichen Gesellschaft die „liberale, offene Gesellschaft“ funktional in Bezug auf die Wirtschafts- und Handelsinteressen ist.
Das Gemeinte geht jedoch weit darüber hinaus. Der Historiker Ludwig Dehio verwies Anfang der 1950er Jahre darauf, dass Deutschland bereits im ersten Weltkrieg keine handlungsleitende Idee gehabt hätte, auf die es sich zum Zwecke der Kriegsführung ideologisch hätte berufen können. Die Habsburger im 16. Jahrhundert beriefen sich auf die Gegenreformation, Napoleon auf die Revolution, die USA und Großbritannien im 20. Jahrhundert auf die Freiheit. Deutschland dagegen „verfügte über keinen vergleichbaren ostensiblen Missionsauftrag an die Menschheit schlechthin“. Im zweiten Weltkrieg noch weniger als im ersten.
Die Herrschenden in diesem Lande meinen nun, Deutschland habe ausreichend „gelernt“ und sei inzwischen genug umerzogen, demokratisiert, verfreiheitlicht und damit historisch exkulpiert, dass es ermächtigt sei, die Mütze der Führerschaft im Namen der „Freiheit“ aufsetzen zu sollen, wenn die USA sie absetzen. Die Führerschaft in zwei Weltkriegen mit Gewalt, Rassismus und ohne „Missionsauftrag“ zu erringen ist gescheitert. Jetzt sollen es Freiheit, Offenheit und Globalisierung bringen.
Ich dagegen behaupte, die Geschichte hat für die Deutschen einen wie auch immer gearteten „ostensiblen Missionsauftrag an die Menschheit“ nicht vorgesehen. Keinen. Auch ein dritter Versuch wird zum Scheitern verurteilt sein.
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