von Ulrich Kaufmann
„Frei blieb, wer
keinen Herren fand.“
Harald Gerlach über
Johann Christian Günther (1695–1723)
Der Ruhm Johann Christian Günthers ebenso wie die Legenden, die sich um den schlesischen Poeten bildeten, hängen auch damit zusammen, dass Goethe in „Dichtung und Wahrheit“ auf ihn zu sprechen kam. Der deutschen Poesie fehle es, meinte er, an nationalem Gehalt. An Begabungen hingegen gäbe es „niemals Mangel“. „Ein entschiedenes Talent“ sei Günther gewesen, „begabt mit Sinnlichkeit, Einbildungskraft, Gedächtnis, Gabe des Fassens und Vergegenwärtigens, fruchtbar im höchsten Grade, rhythmisch bequem, geistreich, witzig und dabei vielfach unterrichtet“. Allerdings bescheinigte Goethe ihm „Charakterlosigkeit“: „Er wußte sich nicht zu zähmen, und so zerrann ihm sein Leben wie sein Dichten.“
Johann Christian Günther wurde 1695 im schlesischen Striegau geboren. Sein Vater war ein vermögensloser Arzt, der den Weg des Sohnes zum Poeten mit allen Mitteln zu verhindern suchte. In der Gnadenschule in Schweidnitz erhielt Johann Christian Poetik- und Rhetorikunterricht. Mit der schlesischen Dichterschule machte sich Günther schon früh vertraut.
Nach der Schulzeit verliebte sich der Neunzehnjährige in die sechs Jahre ältere Leonore Jachmann, der er zahlreiche Liebeslieder und Versbriefe schrieb. Mit diesen Gedichten, die einem tiefen Erleben entsprangen und zu seinen schönsten zählen, sprengte Günther früh den Rahmen der Gelegenheitspoesie des Spätbarocks. Leonore blieb die Unvergessene, die sich in seinem Gesamtwerk in veränderter Gestalt finden lässt.
Seit 1715 studierte Günther in Wittenberg, Leipzig und zuletzt in Jena Medizin. In der Lutherstadt erlebte er ein ausgeprägtes Studentenleben – Raufereien unter Zechkumpanen waren keine Seltenheit. Prägender waren die Jahre in Leipzig, einem Zentrum der Frühaufklärung. Seine literarische Bildung konnte Günther in Leipzig vertiefen, indem er die antiken Vorbilder wie Anakreon, Ovid und andere studierte. Viele der circa 600 Gedichte Günthers waren Gelegenheitsgedichte auf Trauerfälle, Eheschließungen und akademische Anlässe.
Als Misserfolg erwies sich 1719 die Bewerbung am Hofe August des Starken. Günthers „Mäcenatenkonzeption“ (Harald Gerlach) war damit gescheitert. Als wandernder Poet, als Außenseiter, kam er in sein schlesisches Vaterland zurück und setzte sein unstetes Leben fort.
Mittellos und psychisch gebrochen, erschien der „deutsche Ovid“ im Oktober 1722 („zur Zeit der Weinlese“) in Jena. Die These, wonach Günther in der Saale-Stadt ein völlig Isolierter und Verlassener gewesen sei, wird von der Forschung revidiert. Förderung erfuhr er durch seinen schlesischen Freund von Eben und Brunnen, Umgang hatte er mit dem Historiker Burkhard Gotthelf Struve, in dessen Tischgesellschaft er verkehrte. Auch konnte der Dichter in der bekannten Bibliothek Christian Gottlieb Buders arbeiten. 1723 starb Günther, wahrscheinlich an Tuberkulose. Schlesische Landsleute trugen den mit nur 27 Jahren verstorbenen bedeutendsten deutschen Poeten des frühen 18. Jahrhunderts, den ersten Erlebnislyriker deutscher Zunge, auf dem Jenaer Johannisfriedhof zu Grabe.
In der DDR-Literatur spielte Günther – als Vertreter des nicht klassischen Erbes – eine Rolle, so auch bei dem selbst aus Schlesien stammenden Harald Gerlach, der in allen drei Gattungen an Günther erinnerte: 1979 in seinem Stationendrama „Die Straße“ (in dem auf phantastisch-anachronistische Weise Goethe als Figur auftaucht) sowie in dem Erzählungsband „Vermutungen um einen Landstreicher“. In seinen Gedichten blickte Gerlach zweimal auf den schlesischen Poeten: 1973 thematisierte er das „Kreuzburger Jahr“ des gescheiterten Landarztes Günther und 1995 den „Tod in Jena“.
Günthers Werk wirkt bis in die Gegenwart. Das belegte nicht zuletzt 1969 eine Prachtausgabe des Leipziger Reclam Verlages, die mehrere Nachauflagen erlebte, heute jedoch nur noch antiquarisch zu bekommen ist. Der Erfolg des Buches „Johann Christian Günther – Gedichte und Studentenlieder“ ist ganz wesentlich auch auf die sinnlichen Federzeichnungen Werner Klemkes zurückzuführen. Der Künstler (1917-1994) schuf auch den farbigen Umschlag, wie er dies ebenso von 1955 bis 1990 für die gefragte Monatszeitschrift „Magazin“ tat.
Mit sicherem Gespür dafür, was von Günthers Werk bleibt, konzentrierten sich die Herausgeber Hans Marquardt, Leiter des Leipziger Reclam Verlags, und Horst Wandrey im ersten und zweiten Kapitel der Edition auf die Liebes- und Studentenlieder des Dichters. Die dritte Abteilung bringt Proben seiner Auftrags- und Gelegenheitsdichtung. Im Nachwort, das auf den Forschungen Hans Dahlkes basiert, nennen die Herausgeber Günther den „ersten Sänger bürgerlichen Weltgefühls“, der in einer elenden Zeit, ein halbes Jahrhundert nach dem Dreißigjährigen Krieg aufwuchs. Er gehöre zu jenen deutschen Dichtern, die von der Nachwelt eher über die Biografie als ihr „nicht leicht zugängliches Werk“ rezipiert wurden.
Eine Frau und ein Buch
Es soll uns eine Frau so wie ein Buch vergnügen:
Wer aber will denn nun stets über Büchern liegen?
J.Ch. Günther
Schlagwörter: Dichter, Harald Gerlach, Johann Christian Günther, Lyrik, Spätbarock, Ulrich Kaufmann