20. Jahrgang | Nummer 6 | 13. März 2017

Schiller, Goethe & Co.

von Mathias Iven

Seit einigen Jahren schon folgen die Autoren der „Wegmarken“ an verstreuten, oftmals nicht mehr existenten Erinnerungsorten den Spuren berühmter Literaten, Denker und Künstler. Demgegenüber lenkt die mittlerweile auf mehr als 30 Hefte angewachsene Kollektion „Menschen und Orte“ den Blick konkret auf Häuser, Gärten, Ateliers oder Werkstätten, die eng mit der Biographie einer bekannten Persönlichkeit verbunden sind. In jedem Fall machen diese beiden, von der Berliner Edition A·B·Fischer herausgegebenen Reihen mit ihrem überzeugenden Konzept, der bibliophilen Ausstattung und den qualitativ hochwertigen Photographien Lust auf Entdeckungen vor Ort.
Ein ähnliches Ziel setzt sich seit Jüngstem eine Reihe mit „biografischen Leckerbissen“. Auch dabei geht es um Menschen und Orte, doch im Zentrum der klein und fein daherkommenden Bändchen steht immer zuerst das Ereignis, der Tag – die Station, die alles veränderte. Und so erzählen die „Stationen“ des Heidelberger Morio Verlages (Imprint des 1946 gegründeten Mitteldeutschen Verlages) von Personen und Schauplätzen, „an denen sie oft nur kurz verweilten, aber dennoch Entscheidendes erlebten“. Dass sich die Autoren dabei meistenteils Ereignissen zuwenden, die in dieser Ausführlichkeit und Frische nicht gleich in jeder Biographie behandelt werden, macht den besonderen Reiz aus. Die Idee zu dem neuen Format kam von Roland Krischke, der als Programmleiter nicht nur für die Reihe verantwortlich zeichnet. Aus seiner Feder stammen auch mehrere der insgesamt 23 seit 2013 erschienenen Titel, von denen drei hier vorgestellt werden sollen.

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Dresden, 12. September 1785 – Im Hause des Oberkonsitorialrates Christian Gottfried Körner herrscht Erleichterung: Friedrich Schiller, den man schon lange erwartet hatte, ist endlich eingetroffen. Gern hat er die Einladung seines Freundes angenommen: „Durch Dich, theurer Körner, kann ich vielleicht noch werden, was ich je zu werden verzagte.“ Noch am Nachmittag bricht man nach Loschwitz auf, Körners Landhaus ist das Ziel. Schiller, der seit Jahren auf der Flucht ist, fühlt sich sofort heimisch. Die „schwesterliche Ähnlichkeit dieser Gegend mit dem Tummelplatz [seiner] frühen dichterischen Kindheit macht sie [ihm] dreifach theuer“.
Auch wenn er im Rückblick Dresden abfällig als eine „Wüste der Geister“ beschreiben wird, so ist es doch gerade die in der Elbestadt verbrachte Zeit, die Schillers Leben eine neue Richtung gibt. Die ihn lange bewegende Frage: Arzt oder Dichter? – hier entscheidet sie sich. Das für seine Arbeit am „Don Karlos“ notwendige Quellenstudium lässt Schiller in die Historie eindringen und weist ihm den Weg zu einem Leben als Schriftsteller. „Ich wollte“, gesteht er Körner, „daß ich zehen Jahre hintereinander nichts als Geschichte studiert hätte. Ich glaube ich würde ein ganz anderer Kerl sein.“
Nach zwanzig Monaten verlässt Schiller im Juli 1787 Dresden. In den kommenden Jahren wird er sich neben der Geschichte auch der Philosophie und Ästhetik zuwenden. Sein Weg vom literarischen Rebellen hin zum Klassiker ist vorgezeichnet. – Das einmal mehr bewusst gemacht zu haben, ist das Verdienst von Anett Kollmann, die schon 2013 mit ihrem Buch „Dresden. Eine Stadt in Biographien“ den Blick auf die sächsische Metropole gelenkt hat.

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Erfurt, 2. Oktober 1808 – Es ist der sechste Tag des Erfurter Fürstenkongresses, an dessen Ende die Unterzeichnung eines Bündnisvertrages zwischen Napoleon I. und Zar Alexander I. stehen wird. Um 10.00 Uhr morgens treffen sich Goethe und Napoleon zu einem einstündigen Gespräch. Geist und Macht begegnen einander, der Dichter steht dem von ihm bewunderten Imperator gegenüber. Worüber man sich unterhält? Zu seinen Lebzeiten wird Goethe nichts darüber veröffentlichen. Und das, obwohl ihn die Begegnung – in deren Nachgang ihm das Kreuz der Ehrenlegion verliehen wird – sichtlich beeindruckt, wie er seinen Verleger Cotta im Dezember 1808 wissen lässt: „Ich will gerne gestehen, daß mir in meinem Leben nichts Höheres und Erfreulicheres begegnen konnte, als vor dem französischen Kaiser und zwar auf solche Weise zu stehen.“
Goethe wird sich in den folgenden Jahren noch mehrmals in Erfurt aufhalten. Zwischen 1765 und 1815 kommt er, zumeist in Amtsgeschäften unterwegs, fast vierzig Mal in die Stadt (Durchfahrten beziehungsweise -ritte nicht gerechnet). Entstehen in Weimar seine großen Werke, so ist Erfurt für ihn die „Stadt großer Begegnungen“. Dennoch, so sieht es Torsten Unger, wird Erfurts „Bedeutung für Goethe bislang unterschätzt“. Das Fazit seiner kenntnisreichen Recherche lautet deshalb zu Recht: „Erfurt als Goethe-Stadt ist erst noch zu entdecken.“

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Weimar, 13. September 1811 – Schon lange schwärmt Catharina Elisabetha Ludovica Magdalena Arnim, die kurz Bettine genannt wird, für Goethe. Bereits die dritte Woche ist sie jetzt ganz in seiner Nähe. Auf ihrer Hochzeitsreise, die sie und ihren Mann Achim von Arnim zu den Verwandten nach Frankfurt am Main führen soll, macht sie Station in Weimar.
Goethe, im sechsten Lebensjahrzehnt stehend, „lässt sich den provokanten Charme der 26-jährigen Wahlberlinerin gefallen“. Anders dessen Frau Christiane. Beim Besuch einer Kunstausstellung kommt es zu einem „heftigen und pöbelhaften Streit“ zwischen den beiden Rivalinnen. Und dabei blieb es nicht. Christiane, so berichtet es Pauline Gotter ihrem zukünftigen Ehemann Friedrich Wilhelm Schelling, provozierte ein Handgemenge, „indem sie der unglücklichen Bettina die Brille von der Nase gerissen und auf dem Boden zertrümmert hat“. Ganz anders beurteilt Achim von Arnim die Situation, der Savigny erklärt, dass die Geheimrätin gegen seine Frau ganz „ohne deren Veranlassung“ vorgegangen sei. Wer auch immer die Schuld trug: Goethe nimmt den Streit zum Anlass, die Beziehung zu Bettine abzubrechen.
Nach dem Tod Christianes versucht Bettine, die Verbindung nach Weimar neu zu knüpfen. Doch eine Antwort bleibt aus. Erst 1835, drei Jahre nach Goethes Tod, erscheint das letzte Wort in dieser Angelegenheit: Bettines Buch „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“. – Und was passierte in der Zwischenzeit? Auch darüber geben Reinhard und Karoline Griebner Auskunft. Gekonnt setzen sie alle überlieferten Zeugnisse zueinander in Beziehung und lassen so – um ein Wort von Friedrich Wilhelm IV. aufzugreifen – ein lebendiges Bild von Bettines „Goetholatrie“ vor uns entstehen.

Anett Kollmann: Friedrich Schiller in Dresden / Torsten Unger: Johann Wolfgang von Goethe in Erfurt / Karoline und Reinhard Griebner: Bettine von Arnim in Weimar. – Die Reihe „Stationen“ erscheint im Morio Verlag, jeder Band ist reich bebildert, enthält eine Zeittafel und ein Literaturverzeichnis, hat 72 Seiten und kostet 7,95 Euro.