von Mathias Iven
Der Gärtner – Vor mehr als einem Jahrzehnt kehrte Eva Eberwein ihrem Beruf als Unternehmensberaterin den Rücken. Der Grund: Hermann Hesses Haus in Gaienhofen hatte es ihr angetan. Seit Ende der neunziger stand die Immobilie zum Verkauf. Jahrelang fand sich kein Käufer und der Abriss drohte. Eberwein kannte den kleinen Ort am Bodensee seit ihrer Kindheit. Ihre Großeltern, Zeitgenossen von Hermann Hesse, betrieben hier bis in die dreißiger Jahre das Gasthaus „Zum Deutschen Kaiser“, und bei ihrer Tante hatte sie oft die Sommerferien verbracht. Im Jahr 2003 war der Entschluss gefasst: „Irgendetwas in mir wollte hinein in Hesses Haus.“ Die im Jahr darauf in Angriff genommene Sanierung des 1907 von dem Basler Architekten Hans Hindermann entworfenen Hauses „war wie das Knacken einer Nussschale“. Und die Mühe lohnte sich, stand doch am Ende die Auszeichnung mit dem Denkmalpreis des Landes Baden-Württemberg 2005.
Doch da war noch etwas Anderes. Von Beginn an ging es auch um die Wiederherstellung des von Hermann Hesse angelegten Gartens. Sicher gab es eine Skizze – aber wo sollte man suchen? Im Sommer 2005 erhielt Eberwein einen Anruf aus dem Marbacher Literaturarchiv. Man hatte den Gartenplan gefunden. Sparsam, wie Hesse zeitlebens war, hatte er dafür die Rückseite einer Honorarquittung der Münchner Neuesten Nachrichten genutzt und ihn am 27. November 1907 einem Brief an seine Familie beigelegt.
Nach einer fast aussichtslos erscheinenden Suche nach einem geeigneten Lebensort hatten Hesse und seine Frau Mia im Sommer 1904 ein altes Bauernhaus am Gaienhofener Dorfplatz bezogen. Sie hatten beschlossen, sich auf dem Land einzurichten und künftig mit dem Wenigen auszukommen, was Hesse durch seine Schriftstellerei verdiente. Die Hinwendung zum Reformleben lag zu dieser Zeit im Trend. Doch irgendwann begannen die Ideale zu bröckeln. Was Hesse am meisten fehlte war ein Garten, der die Familie ernähren würde und wo er, als Ausgleich zur Schreibtischarbeit, „einer erdigen Beschäftigung nachgehen konnte“. Im Sommer 1907, nach nur wenigen Wochen Bauzeit, war es soweit: die Familie Hesse bezog ihr eigenes Haus.
„Ich tat in diesem Garten das, was ich am besten kann: ich las Altes, und das, was ich bewahren wollte, verheiratete ich mit Neuem.“ Das klingt bescheiden und zugleich konsequent. In ihrem sehr persönlichen, mit stimmungsvollen Fotografien ausgestatteten Buch erzählt Eva Eberwein von „der Tiefe und Bedeutsamkeit dieses Gartens, die sich [ihr] allmählich zeigte“. Jedes einzelne Kapitel erschließt ein Stück davon. Sie macht den Leser vertraut mit der Geschichte von Hesses Birnbaum, einem „Relikt der Mostkultur am Bodensee“, blickt auf die letzte der fünf Rosskastanien, für Hesse ein „Anker seiner Kindheit“, oder verweist auf den „Wert des scheinbar Unwichtigen“, den Komposthaufen. Und wer würde denken, dass die Wiederherstellung eines Weges zu einem archäologischen Ereignis werden kann? Stellte sich doch einem Hinweis folgend heraus, dass Hesse als Befestigung „seine überflüssigen Bücher und ausgelesenen Gartenzeitschriften unter dem sandigen Hauptweg vergraben“ hatte.
Selbst, wenn sich der heute auch für Besucher offene Garten über ein Jahrhundert hinweg verändert hat, so hat die Autorin mit ihrer unermüdlichen Arbeit doch den Geist des Ortes bewahrt.
*
Der Vortragende – Ende 1903 wurde Hermann Hesse zum ersten Mal zu einer Lesung eingeladen. Er hatte Vorbehalte. Was erhoffte sich der Veranstalter von ihm? Er war er doch nichts weiter als „ein sehr bescheidener Wald- und Flurpoet, der höchstens einmal zwei Freunden etwas vorgelesen hat“. Und nicht nur das. Fritz Marti, damals Präsident des 1882 gegründeten „Lesezirkel Hottingen“ und Feuilletonredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, erfuhr auch, dass Hesse „ein Feind von Hotels“ sei. Schließlich wäre es auch „lächerlich, einen halben Tag Eisenbahn zu fahren, um ein paar Gedichte vorzulesen“. Der eigentliche Grund war jedoch noch ein anderer: „Daß ich mich drücken will, beruht hauptsächlich auf Feigheit“.
Es ist wohl der Hartnäckigkeit von Marti zu verdanken, dass Hesse dennoch nach Zürich kam und dort am 12. Dezember 1903 vor das Publikum trat. Seine Vortragskunst betreffend sollte er, wie es scheint, allerdings Recht behalten. So hieß es in der Neuen Zürcher Zeitung: „Seine Lyrika las der Dichter einfach, ohne alle Kunstentfaltung, fast puritanisch vor.“ Und die Basler Nachrichten bemerkten: „Er ist kein Rezitator, nicht einmal ein guter Vorleser.“ Dennoch, so hieß es dort weiter, „war bald der Kontakt zwischen Dichter und Zuhörern hergestellt“. Als der Autor des Peter Camenzind im Januar 1905 erneut in Zürich auftrat – an keinem Ort hat er öfter aus seinen Werken gelesen – übte er „eine solche Zugkraft“ aus, dass der Veranstaltungssaal „kaum die enggedrängte Zuhörerschar zu fassen vermochte“.
Wer wissen möchte, wann und wo sonst noch Autorenabende mit Hesse stattfanden, dem sei die herausragende, von Michael Limberg zusammengestellte Dokumentation empfohlen. Schon jetzt hat dieses Buch als unentbehrliches Standardwerk zu gelten. Limberg hat darin akribisch all das zusammengetragen, was es zu den bisher nachgewiesenen insgesamt 106 Lesungen an Unterlagen gibt. So finden sich neben den entsprechenden Angaben zu Zeit und Ort sowie – falls bekannt – zum Programm auch die Texte der Presseankündigungen, Besprechungen und zahlreiche Auszüge aus der zu großen Teilen unveröffentlichten Korrespondenz Hesses.
*
Der Briefpartner – Am 24. Februar 1922 folgte Hesse einer Einladung nach Winterthur. An diesem Abend war er nicht nur Vortragender, sondern auch Zuhörer. Die Sängerin Ilona Durigo brachte Vertonungen seiner Gedichte zu Gehör, begleitet wurde sie am Klavier von dem Schweizer Komponisten Othmar Schoeck.
Die Freundschaft zwischen Hesse und Schoeck, einem der bedeutendsten, 1886 am Vierwaldstättersee geborenen Schweizer Komponisten des 20. Jahrhunderts, wird dokumentiert durch eine soeben erschienene Ausgabe ihrer Korrespondenz. Herausgegeben haben sie der Schoeck-Biograph und Musikwissenschaftler Chris Walton und der Historiker Martin German.
Das erste überlieferte Schreiben Schoecks stammt vom 15. März 1911. Vier Tage zuvor hatte er Hesse in Gaienhofen besucht. Der mehr als 100 Stücke umfassende Briefwechsel weist durchaus Lücken auf, so sind aus den ersten Jahren lediglich Schoecks Schreiben – meist Postkartengrüße von seinen Reisen – erhalten. Gut die Hälfte des Schriftverkehrs stammt aus den Jahren 1919 bis 1944. Mehrfach kommt darin die veränderte politische Situation zur Sprache. Im Sommer 1938 klagt Hesse: „In Deutschland werde ich jetzt ausgehungert, ich kriege zur Zeit keinen Rappen mehr, meine ganze Lebensarbeit liegt in Berlin fest und wird mir allmählich gestohlen.“
Hesse brachte Schoeck eine hohe Wertschätzung entgegen. Im Januar 1941 hieß es in einem Brief an den literarisch ambitionierten Eisenbahnbeamten Alfred Biedermann: „Unter den Heutigen ist Schoeck der bedeutendste Liederkomponist dieser Zeit“. Und an anderer Stelle schrieb er: „In Schoecks Vertonungen ist nirgends das leiseste Missverständnis des Textes […] er liest Verse und sieht Bilder wie ein Jäger Wildspuren liest“. Vor allem Schoecks musikalischer „Erziehung“ verdankte Hesse viel, da dieser ihm „Musikwerke aller Art rekapitulierend, kürzend und gelegentlich erläuternd“ vorführen konnte. Auf der anderen Seite urteilte Schoeck über Hesse: „Seine Prosa ist vielleicht die schönste, die ich kenne.“
Angefangen bei den vier Liedern op. 8 von 1906 bis hin zu den zwei 1953 entstandenen Kompositionen „Gestutzte Eiche“ und „Maschinenschlacht“ für Männerchor a cappella hat Schoeck mehr als zwei Dutzend Hesse-Gedichte meist für eine Singstimme und Klavier vertont. Über seine am 25. März 1930 in St. Gallen uraufgeführten „Zehn Lieder nach Gedichten von Hermann Hesse“ op. 44 urteilte die Presse: „Eine Intensität des Ausdruckes ist hier erreicht, die an das Innerste im Menschen sich wendet und zweifellos zum Beglückendsten gehört, was es auf dem Gebiet des Liedes gibt.“
Dass der ansonsten bemerkenswerte und kenntnisreich kommentierte Band leider nicht die gesamte überlieferte Korrespondenz enthält, zeigt ein Blick in Limbergs Zusammenstellung der Autorenabende. Finden sich doch dort zumindest zwei Schreiben, Hesses Lesungen am 6. Februar 1928 und 31. März 1930 betreffend, die Platz in einer Neuauflage dieses aufschlussreichen Briefwechsels finden sollten.
Eva Eberwein: Der Garten von Hermann Hesse. Von der Wiederentdeckung einer verlorenen Welt (Fotografien von Ferdinand Graf Luckner), Deutsche Verlags-Anstalt, München 2016, 160 Seiten, 29,99 Euro.
Michael Limberg (Hrsg.): Autorenabende mit Hermann Hesse. Eine Dokumentation, Books on Demand, Norderstedt 2016, 364 Seiten, 32,00 Euro.
Chris Walton / Martin Germann (Hrsg.): Hermann Hesse und Othmar Schoeck – Der Briefwechsel, Verlag Schwyzer Hefte, Bd. 105 (2016), 136 Seiten, 25,00 sFr (zu beziehen über: kulturfoerderung.afk@sz.ch).
Schlagwörter: Autorenabende, Briefwechsel, Chris Walton, Eva Eberwein, Gaienhofen, Hermann Hesse, Martin Germann, Mathias Iven, Michael Limberg, Othmar Schoeck