von Ulrich Kaufmann
Franz Fühmann – Erzähler, Essayist, Übersetzer, bis 1958 Lyriker und Kulturfunktionär der NDPD, Kinderbuchautor, Librettist, Verfasser kleiner dramatischer Texte, Szenarist und Förderer jüngerer Künstler (um nur an einige seiner Arbeitsfelder zu erinnern) – wäre im nächsten Jahr 95 Jahre geworden. (Er starb bekanntlich 1984, mit nur 62 Jahren.) Ob die Jenaer Herausgeber Peter Braun und Martin Straub im Arbeitsprozess dieses halbrunde Jubiläum vor Augen hatten, ist unerheblich. Entstanden ist im namhaften Göttinger Wallstein Verlag, der bereits in ähnlicher Aufmachung einen Band zu Wolfgang Hilbig herausbrachte, ein Werk, das Fühmann auf vielfältige Weise vorstellt, indem von den Autoren bislang weniger beachtete Aspekte herausarbeitet wurden. Auffallend ist, dass die Kärrnerarbeit der Biografen Hans Richter und Gunnar Decker in diesem Band wenig Beachtung findet.
Das Buch setzt mit persönlichen Erinnerungen an Franz Fühmann ein, die das Multitalent Joachim Hamster Damm zu Papier brachte. Dabei geht er in seine Kindheit und Jugend zurück und zeigt erneut, wie Fühmann Kindern auf Augenhöhe begegnete, ihnen zuhörte, Briefe beantwortete oder, wie hier, auch ein eigens in „Auftrag“ gegebenes Puppenspiel lieferte.
Für fünf Jahre wohnte Hamster Damm mit seiner Mutter in Lohmen bei Güstrow, im Hause des Erzählers Alfred Wellm. Der „Stiefvater“ hatte für den pubertierenden Jungen, der bereits künstlerisch unterwegs war, wenig Verständnis. Des Öfteren zog es Joachim Damm zu einer wirklichen Vaterfigur, zu Franz Fühmann.
Gleich viermal taucht im Inhaltsverzeichnis der Name des Fotografen Dieter Riemann auf, dessen fotografische Arbeiten und Erinnerungen den Band ganz erheblich prägen. Beide Künstler waren sich bei der Arbeit mit behinderten Kindern in Eberswalde begegnet. Es entstand eine Arbeitsfreundschaft, die politische Differenzen durchaus einschloss. So wies Fühmann den Versuch Riemanns, den es später in die Bundesrepublik zog, zurück, die Hitlerdiktatur mit den Verhältnissen in der DDR gleichzusetzen. Riemann und Anja Kampmann dokumentieren Fühmann gar als bildenden Künstler, der aus Flaschen, die er einschmolz, kleine „Kunstwerke“ entstehen ließ, die er an Freunde und Besucher seiner Arbeitsklause in Märkisch-Buchholz verschenkte.
Aus Respekt vor dem großen Autor wagte Riemann es nicht, Fühmann fotografisch zu porträtieren. Stattdessen schuf er einen einzigartigen Nekrolog-Zyklus, der die spartanischen Arbeits- und Lebensbedingungen des rastlos produzierenden Schriftstellers dokumentiert. Auf einem Foto sind lediglich der Arbeitsstuhl und die Jacke zu sehen. Es scheint, als hätte der Dichter den Raum nur für kurze Zeit verlassen.
Den Herausgebern gelang es, mit Barbara Heinze eine exzellente Fühmann-Kennerin als Autorin für den Sammelband zu gewinnen. Heinze, Herausgeberin der opulenten und materialreichen Fühmann-Bildbiografie, stellt ihren Arbeitsplatz vor – das Fühmann-Archiv. Geschildert wird, wie der Unermüdliche Fassung für Fassung schrieb, wie er schichtweise seine Manuskripte überklebte und weiter korrigierte.
Andere Beiträger widmen sich dem Mythischen bei Fühmann (Daniela Danz) oder befassen sich mit einzelnen Werken, der frühen Erzählung „Das Judenauto“ (Frauke Meyer-Gosau), dem gewichtigen Ungarn-Tagebuch „Zweiundzwanzig Tage oder Hälfte des Lebens“ (Helmut Böttiger) sowie dem „Altersstil“ am Beispiel der späten Essayistik (Peter Braun).
Martin Straub, der sich seit Jahrzehnten auch mit dem Thema Arbeit in der Literatur befasste, untersucht Fühmanns letzten, Fragment gebliebenen Roman „Im Berg“. Über Jahre pflegte der Autor engste Kontakte zu Bergleuten, „studierte“ dieses schwere Handwerk. Aber Fühmann begriff, dass er als Apothekersohn und Schriftsteller für die Arbeiter ein Fremder blieb. Dem Leser von Straubs Text wird klar, wie Fühmann zwei seiner Spätwerke, den Großessay zu Georg Trakl und das Bergwerksprojekt, simultan voranzubringen gedachte.
Kurzum, es liegt ein lesens- und sehenswertes neues Buch zu Fühmann vor, einem Dichter, der das Scheitern seines Landes voraussah und sich, freilich zu Unrecht, als ein gescheiterter Autor sah.
Peter Braun und Martin Straub (Hrsg.): Ins Innere – Annäherungen an Franz Fühmann. Wallstein Verlag, Göttingen 2016, 223 Seiten, 19,90 Euro.
Schlagwörter: Franz Fühmann, Literatur, Rezension, Ulrich Kaufmann